Heft 
(1906) 26
Seite
544
Einzelbild herunterladen

544

Am vierten Oktober war's. Und der Jäger mit dem üppigen Haarwuchs und derdriedoppelten Freid" erwartete mich meine Frau war diesmal daheimgeblieben, um sich nicht wieder an Pfannkuchen sättigen zu müssen Mickei erwartete mich Zur Mittagszeit bei dem einsam ge­legenen Bergwirtshaus, um mich auf einen schreienden Hirsch zu führen.

Wieder stiegen wir durch den schönen Fichtenwald hinauf. Doch es herbstelte schon energisch, alle Stauden waren gelb, die letzten Blumen waren welk, verbrannt vom Reif, der um die Mittagszeit noch nicht zerschmolzen war. Und droben auf den Bergen, bis über die steilen Almen herunter, lag schon der Schnee.

Aber nicht nur die Natur, auch der Weißbacher sah ein bißchen anders aus. Das Hemd, natürlich, das stand wieder weit offen bis zum Hosenbund. Aber er hatte seit einigen Wochen nicht mehr Zeit gefunden, sich das Kopfhaar stutzen zu lassen und da hatte sich ein so dichter Schwarzwald entwickelt, daß dem Weißbacher der Hut nicht mehr sitzen wollte. Sonst aber war der Mickei ganz der gleiche. Und ehe wir das Ende des Fichtenwaldes erreichten, bekam er die leuchten­den Augen und sagte:Draußt auf der Liachten, da müassen mer's glei sehgn, mei Häusls

Wir kamen hinaus auf den steilen Schlag, der Weißbacher spähte mit seinen Glücksaugen hinunter ins Tal, wollte deuten mit der Hand und verfärbte sich.

Mar' und Josef!"

Dort unten, wo vor sechs Wochen das blumenfreundliche Haus zwischen den Apfelbäumen herausgeschimmert hatte, quirlte eine schwärzliche Rauchwolke.

Jesus Maria!" Das war ein Schrei, der nichts Mensch­liches hatte, ein Laut, wie ich ihn nie vernommen. Und der Weißbacher warf alles von sich, was er trug. Er drückte den Kopf in den Nacken, daß ihm der schwarze Vollbart senkrecht Herausstand, und preßte die Fäuste auf die nackte Brust. So stand er eine Sekunde wie gelähmt. Dann machte er einen Sprung gleich einem scheu gewordenen Pferd und stürmte über den steilen Hang hinunter. Bei jedem Satz, den er machte, hatte ich das Gefühl: jetzt muß er den Hals brechen. Aber da war er schon dort unten in den gelben Stau­den verschwunden und bevor ich mich noch von meinem Schreck erholen konnte, hörte ich schon ganz tief im Tal seine brüllende Stimme:Hannerl, i kumm scho! Han­nerl, i kumm scho!"

Die Rauchwolke da drunten wuchs immer dicker, und in dem schwarzen Gequirle sah ich ein feines, Helles Aufblitzen, als hätte man ein Zündholz angestrichen.

Hastig raffte ich das Zeug zusammen, das der Weißbacher von sich geworfen hatte Bergstock, Rucksack, Büchse und Hut und eilte über den Steig hinunter. Im Walde sah ich nichts mehr von dem brennenden Haus. Aber ferne Stimmen hörte ich schreien, und drunten im Dorf begann die Feuerglocke zu tönen.

Ich brauchte eine halbe Stunde, um das Haus des Weiß­bacher zu erreichen. Und da schien die Gefahr schon über­wunden. Denn ich sah kein Feuer mehr, nur schwachen Rauch und weißlichen Dampf. Die Feuerspritze war noch gar nicht erschienen. Nur ein paar Dutzend Nachbarsleute waren herbei­gelaufen und schleppten über zwei Leitern in Schäffern, Blech­kannen und Stallzubern das Wasser hinauf, das der Weiß­bacher, der hemdärmelig und mit nackten Füßen dort oben stand, in unermüdlichen Güssen über die qualmende Hälfte des Daches und über die glutenden Balken schüttete.

Das kleine Hansei, dem das Köpfchen völlig kahl geschoren war, saß allein im Gras und guckte mit den runden, stillen Augen zu dem qualmenden Dach hinauf. Die Mutter war bei den Leuten, die unter Geschrei das Wasser schleppten, und beteuerte immer wieder, sie könnte sich gar nicht denken, wie das Feuer entstanden wäre; denn in dem Häuflein Ruß und

Asche, das sie, um das Geld für den Schornsteinfeger zu sparen, aus dem Kamin herausgekratzt und auf dem Dachboden hätte liegen lassen, wäre doch auf Ehr und Seligkeit kein glimmender Funke mehr gewesen.

Ich stellte mich auch an die Leiter. Doch als ich ein paar Kannen gelupft hatte, kam unter Trompetensignalen die Feuer­spritze angefahren. Nun war in wenigen Minuten das letzte Glühen erstickt. Aber jetzt fingen die Leute erst recht zu schreien an. Nur der Weißbacher lachte und kam mit etwas steifen Knieen und triefend von Schweiß und Wasser über die Leiter heruntergestiegen, das Hemd weit offen. Der schwarze Vollbart war in der Nässe ganz schmal und dünn geworden, und wie ein schwarzes Seidentuch klebte das tropfende Haar an seinem Kopf. Mich sah er nicht, auch sonst keinen Menschen nur für das Hannerl hatte er Augen. Und fragte nach seinem Buben. Die Weißbacherin holte den Kleinen und wollte ein schluchzendes Jammern um das Haus beginnen. Aber da legte ihr der Mickei den Arm um den Hals und sagte lachend:Geh, mach d'r nix draus! Dös bissel Dach weard bald wieder droben sein! 's Beste habn mer no allweil beinand! Und mei ganze Freid ..." Er wollte sich zu seinem Buben Hinunterbücken. Da fing er stumm Zu taumeln an und stürzte vornüber aufs Gesicht.

Die Weißbacherin stieß im ersten Schreck einen gellenden Schrei aus. Doch als die Leute zur Hilfe herbeisprangen, nahm sie die Sache schon nimmer gefährlich.A bißl über­schafft hat 'r si halt! Und leicht a wengl verküahlt. Dös gibt si glei wieder. Bal mer eahm an Enzian eingiaßen taten . . . i moan, dös waar net schlecht."

Man trug den Weißbacher in die Stube, von deren Decke und Wänden das Wasser niedertröpselte. Überall hatten sich häßliche Flecken durch die weiße Kalkfarbe gefressen. Und ein scharfer, fast unerträglicher Rauchgeruch war in dem kleinen Raum.

Die hilfbereiten Nachbarn öffneten dem Mickei, als er aus­gestreckt auf dem Ledersofa lag, mit einem Blechlöffel die starren Zähne und gossen ihm den heilsamen Enzian ein. Aber der Weißbacher schluckte nicht der Enzian rann ihm wieder aus den Mundwinkeln heraus.

Ich wollte raten, so gut ich es verstand. Doch niemand hörte auf mich.

Als nach einer Viertelstunde der Dorfarzt kam, ließ er den Weißbacher ins Bett legen, wußte aber sonst nicht viel Rechtes mit ihm anzufangen und redete was von einem Lungenschlag. Am Abend war der Mickei noch immer nicht aus seiner Ohn­macht aufgewacht.

Und am Morgen, als ich Nachsehen wollte, wie es dem Weißbacher ginge, lag in der breiten, verwüsteten Bettstatt ein stiller, kalter Mensch.

Das Hannerl, das, mit dem kurz geschorenen Bübchen auf dem Schoße, stumpf und müd in der Morgensonne vor dem dachlosen Haus gesessen hatte, führte mich zum Mickei hinein, brach in Tränen aus und erzählte mir mit umständlicher Ge­nauigkeit die ganze Geschichte dieser bösen Nacht. Nichts ver­gaß sie, nicht das Geringfügigste.

Während dieser langen Geschichte lag der Weißbacher kalt und stumm in seinem Ehebett, mit einem strengen, fast er­bitterten Ausdruck in dem kupferfahlen Gesicht.

Als die Geschichte zu ihrem Ende kam, weinte das Hannerl nicht mehr. Aber von der nassen Decke fiel manchmal ein Wassertropfen herunter und das berührte mich, als ver­gösse das kleine blumenfreundliche Häuschen schwere Zähren um den Weißbacher, dessenganze Freid" es gewesen.

Doch auch das Hannerl hatte noch feuchte Augen und sah den stillen Mickei mit nickendem Erbarmen an.So a braver Mensch! Und so viel guat hat 'r si allweil gstellt zu mir!" Fürsorglich knöpfte sie dem Weißbacher am Halse das offen stehende Hemd zu.Bal i wieder heiraten müaßt, da kunnt i mi hart an den andern gwöhna!"