Heft 
(1906) 26
Seite
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hinter uns das plätschernde Gelächter in der Hütte da drunten, deren kleine Fensterchen rot hinausglänzten in die stahlblaue Nacht.

Es war meine Absicht gewesen, noch zwei Tage in der Jagdhütte zu bleiben. Aber den Triumphzug, den das butterne Lampel zum Pfarrhof machen würde, .den mußte ich sehen. Früh um drei Uhr, als wir uns zur Gemspirsch rüsteten, faßte ich diesen Entschluß.Mickei, wir gehen heim!" Nach aller Verdrossenheit, die dem Weißbacher eine schlaflose Nacht verursacht hatte, bekam er wieder jene schönen, leuchtenden, glücklichen Augen. Die blieben ihm während des ganzen Heimweges. Und was er schwatzte, hatte einen warmen, fesselnden Klang es war das immer, als wüßte der Weiß­bacher etwas ganz wunderbar Schönes und Tiefes zu sagen und behielte dieses Herrliche nur still für sich, weil andere das nicht verstünden; und von dieser verschwiegenen Schönheit zitterte noch ein feiner Klang hinüber in all das gleichgültige Zeug, das der Weißbacher schwatzte.

Als der Morgen zu grauen anfing, hörten wir ferne Stimmen und einen Jodelruf.Da tragen sie 's Lampel abi!" sagte der Weißbacher. müassen drunt sein vor der Sonn." Nun blieb er stehen und lachte.I siehg's scho, mei Häusl!" Er deutete.Da! Schaugn S'!"

Aber für mich war alle Tiefe dort unten noch ein graues Rätsel.

Immer schwatzlustiger, immer sonniger wurde der Weiß­bacher, je tiefer wir hinunterkamen ins Tal. Und immer seliger leuchteten ihm die Augen. Sogar die Sorgen wegen der Lampelspritzerei erloschen in ihm, und im Glanz seines reinen Gewissens dachte er lachend an die Eifersucht seines Hannerl. Als die Sonne ihre Rosenglut über die Bergspitzen und Ferner hinwarf, waren wir schon drunten im letzten Wald. Und da sprach der Weißbacher nur noch von seiner driedoppelten Freid" und sagte über sein Haus, über sein Hannerl und seinen Buben so feine und wundersame Worte, daß in mir der Wunsch rege ward, diese drei köstlichen Ex­trakte menschlichen Glückes kennenzulernen. Der Mickei hätte, als wir das einsame Bergwirtshaus erreichten, nicht erst zu bitten brauchen:Gelten S', Herr Dokter, dös tean S' mer z'liab . . . bal S' abimarschieren zur Lampelweih, da schaugn S' a Sprüngl eini zu mir! Passen S' auf, da haben S' a Freid!"

Ich wollte ihm noch sein Trinkgeld für die zwei

Gemsböcke zustecken. Aber der Weißbacher schob meine Hand zurück.Na na! Dös braucht's net! I bin

scho zahlt . . . weil S' mi zwoa Täg ehnder hoam lassen haben."

Eine Stunde später, gegen halb acht Uhr, als die Sonne schon den Tau von den glitzernden Wiesen trocknete, wanderte ich hinunter ins Dorf.

Bei der Mündung eines Fußpfades erwartete mich der Weißbacher, mit strahlendem Gesicht, schon in seinem Sonntags­staat, das frische Hemd an der Brust weit offen bis herunter zum Hosenbund. Schweigend, immer mit seinem seligen Lachen, ging er auf dem Fußweg vor mir her und guckte sich alle paar Schritte nach mir um, ob ich auch wirklich käme. Und als er an einem kleinen Gehöft das Zauntürchen öffnete, sagte er aufatmend:Jetzt habn mer's!"

Das Haus des Mickei, das weit abseits vom Dorf gelegen war, stand mit seinen weißen Mauern mitten in einem kleinen Obstgarten. Es war nichts Besonderes an ihm zu sehen ein Häuschen, wie sie zu Hunderten in den Bergen zu finden sind. Aber wie die Morgensonne so goldig über allem flimmerte, war's ein hübscher Anblick. Und auf der Schwelle stand ein derbes, rundliches Weiberl, das wenig zu reden wußte, mit gutmütigen Braunaugen und mit etwas dünnen Zöpfen um die Ohren eine von jenen Alltagsgestalten, wie sie uns dutzendweis in jedem Dorf begegnen. Etwas Auffälliges war nur an dem zweijährigen Hansei zu bemerken, der in Hemd­ärmeln und in dem gebauschten Lederhöschen eines Sechs­

jährigen auf dem Arm der Mutter saß das Bübchen hatte für seine zwei Jahre einen pechschwarzen, geradezu unglaub­lichen Haarwuchs, unter dessen Strähnen und Ringeln das Gesichtchen mit den runden stumpfen Kinderaugen ganz winzig hervorlugte.

Donner . . . wetter!" sagte ich in der ersten Ver­blüffung.

Und der Weißbacher drückte unter seinem glücklichen Lachen stolz die Brust heraus.Dös hat'r von mir! 's ander alles, die Guatigkeit unds Liabe, dös hat'r von der Muatter. müassen S' anschaugn!"

Geh, du!" stotterte die Weißbacherin verlegen.

Erst mußte derhaarete Prinz" zwischen Vater und Mutter fünf wacklige Schrittlein machen eine Leistung, die der Weißbacher hoch über die Erfindung des Schieß­pulvers zu stellen schien. Und dann führte mich der Mickei durch seineganze Freid", durch die zwei ebenerdigen

Stuben, hinauf in die Dachkammer, wieder herunter in die Küche, in den Kuhstall und in den Holzschuppen. Und im Gartenhäuschen wurde mir ein Kaffee vorgesetzt, den ich nur hinunterbrachte, weil dem Weißbacher die Augen so glück­lich leuchteten.

Gelt," sagte er,so ein' haben S' no nia verschmeckt?" Und als das Hannerl ins Haus verschwand, um sich zum Kirchgang zu richten, fragte er mit hungrigem Blick:No also? Was sagen S' jetzt?"

Ja, Mickei! Du bist ein glücklicher Mensch!"

Gelt, ja!" Er quetschte meine Hand und strahlte mich mit seinen seligen Augen an.

Dann wanderten wir alle viere das haarige Hansei auf der Schulter seines Vaters die zwanzig Minuten zum Dorf und zur Kirche hinunter. Vor dem Wirtshaus standen viele Leute, die auf irgend etwas zu warten schienen. Jetzt unter dem Geläut der Glocken eine ohrenzerreißende Blechmusik und ein allgemeines Rennen. Aus einer Gasse kan: der Zug der dreiundzwanzig Lampelspritzerinnen hervor, die Alten in blauseidenen Kopftüchern, die Jungen in weißen Kleidern mit starren Falten, jede mit dem winzigen Blumenkränzlein des Jungfernbundes über den Zöpfen. Vier von ihnen trugen auf einer kleinen Stangenbahre das Butterlamm, das ein blaues Band mit silberner Schelle um den Hals hatte. Die übrigen Almerinnen schritten sittsam hintendrein, mit niedergeschlagenen Augen, in der Hand das Gebetbuch und einen Rosmarinzweig. Neben der Lampelbahre ging die alte Resl vom ledigen Hof einher und hielt einen roten Regenschirm über das buttrige Kunstwerk, damit es von der Sonnenwärme nicht leiden möchte. Aber trotz dieser Fürsorge begannen die Butterlocken schon die feingespritzte Form zu verlieren.

Als der Zug an uns vieren vorüberkam, hob die schmucke Marei vom ledigen Hof die züchtig niedergeschlagenen Augen, streifte den Weißbacher mit einem funkelnden Blick und schmunzelte. Dem Mickei fuhr es heiß ins Gesicht, und erschrocken sah er das Hannerl an. Aber die Weiß­

bacherin guckte mit lachender Ruhe drein und tat, als wäre in diesem Augenblick außer dem Butterlamm nichts an­deres auf der Welt. Daß im Hannerl die Eifersucht so leicht erwachte sollte das nur eine Einbildung des Mickei Weißbacher sein?

Ein lärmender Leuteschwarm umdrängte den Zug, und hundertmal hörte ich von allerlei Stimmen die Beteuerung: Ah, dös is schön! Ah, dös is schön!"

Dann ging's mit Blechgeschmetter dem Pfarrhof zu, und die Weißbacherischen verabschiedeten sich von mir.

Sechs Wochen sah ich den Mickei nimmer und es wäre mir lieber gewesen, ich hätte ihn überhaupt nicht mehr gesehen. Denn als ich ihn wiedersah, das waren böse Stunden. Das Wort, das die alte Resl vom ledigen Hof beim Lampelspritzen gesprochen hatte jenes Wort vom Umsieden der irdischer: Freuden und Seligkeiten sollte sich am Mickei Weißbacher als ein dunkles Omen erweisen.