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Ber der Arbeit.
Torfmullfüllung aufgeführt sind, besteht aus drei Baracken, zu denen bald die vierte kommen soll; ferner der eben fertig gebauten Kapelle, die durch Verkleidung des Altars in einen großen Speisesaal verwandelt werden kann, und der Küche, die, recht umfangreich, in einen Koch-, Wasch- und Zubereitungsraum, eine Plätt- und Rollstube und den sehr nötigen Bade- und Desinfektionsraunr gegliedert ist.
Und diese ganzen, lichtgrau gestrichenen Gebäude liegen zwischen den saftigen Wiesen und wogenden Roggenfeldern, und wenn die blanke Sonne vom blauen Himmel darüberscheint, dann hat man wahrlich nicht den Eindruck einer Gefangenenanstalt! . . Wer weiß, wer das törichte Märchen aufgebracht hat, man könne wohl freiwillig hinein, aber nicht wieder heraus aus einer Kolonie. Die einfache Wahrheit ist, daß jeder gehen kann, sobald und wohin es ihm beliebt. Auch kennt die Arbeiterkolonie keinerlei Strafe, mit Ausnahme der Entlassung. Und damit ist man übrigens bisher recht gut ausgekommen, sagte mir der Sekretär von Hoffnungstal, Herr Dornfeldt, den ich als einen tüchtigen, frischen und ganz offenbar wohlmeinenden Mann kennenlernte. Daß randalierende, aufsässige Elemente dort nicht geduldet werden, ist selbstverständlich! Ebenso wie der Genuß von Schnaps streng untersagt ist. Denn — und darüber befinden sich manche Leute im Irrtum —- dieses Hoffnungstal ist keineswegs als ein Gasthaus „Zum fidelen Pennbruder gedacht. Hier sollen Leute, die durch irgendwelche Veranlassung sich der Arbeit entwöhnt haben, wieder erzogen werden zu dem, wozu wir Menschen nun einmal. erschaffen sind: zur Arbeit.
— Daß die ganze X Sacheeinwenig fromm geraten ist, daran ist der Umstand schuld, daß der Gründer protestantischer Geistlicher ist, und es wurde mir glaubwürdig versichert, daß in den etwa je zwölf Minuten währenden Morgen- und Abendandachten der Hauptwert auf die plausible Erklärung und Nutzanwendung eines jener Bibelworte gelegt würde, die dem Gläubigen wie dem Nichtglaubenden gleich ehrfurchtgebietend schon durch ihre hohe Schönheit sein sollten.
Der Arbeitstag fängt im Sommer um sechs Uhr, im Winter um sieben Uhr an und hört um die gleiche Zeit abends auf. Es werden die nötigen Pausen zwischen der Arbeit gemacht
— wo hat z. V. ein Berliner Arbeiter Zwei Stunden
Tischzeit? — und die Leute, denen ich zugesehen habe, arbeiten sich nicht tot. Aber das sollen sie auch nicht,
Ruhepause.
man ist in Hoffnungstal zu der Überzeugung gekommen: die Kolonisten tun ihre Pflicht, auch ohne daß sie dazu gedrängt werden . .
Ich trat in den Schlassaal der ersten Baracke und freute mich über die vernünftige Anordnung der Schlafstellen, von denen jede, von der anderen durch hellgestrichene Bretterwände getrennt und nach dem Gange zu durch einen grünen Vorhang verschließbar, ein ganz niedliches Zimmerchen hergibt. Da stand gerade ein Mann, der seinen Reisekorb auspackte. Ein Bummler mit 'm Reisekorb? — Nein, es sind eben durchaus nicht alles Bummler, die hierher kommen. Dieser Mann beispielsweise ist ein fleißiger, ordentlicher Mensch, mit Frau und Kindern, die er liebhat und nach denen er sich sehnt wie jeder Familienvater nach den Seinen. Er kann nur dem Alkohol keinen Widerstand leisten. Und schließlich, rvenn's dann gar nicht mehr geht, wenn die Hände zittern, so daß sie nichts mehr halten können, ehe nicht das nötige Quantum Fusel auf die Lebenslampe gegossen ist, dann packt er seine Sachen und sucht eine Heilstätte; jetzt geht er in die Kolonie. Und komisch: draußen tut sich's auch ohne den Schnaps. Ein paar Wochen, dann ist ergeh eilt — so lange, bis ihn dies es s chreck- liche ^ Genuß- mittel" wieder einmal überwältigt. Es befinden sich . . dort unter den seit der
Eröffnung der Kolonie am 30 . April 1906 Angenommenen sage und schreibe 22 Kaufleute. Die sogenannten Gelegenheitsarbeiter freilich übertreffen dies Kontingent weit mit ihren 69 Mann. Aber das sind auch meist Leute, die von vornherein nicht viel leisten und verstehen. Dann kommen die Landarbeiter und Gärtner mit 30 Mann, die Kellner mit 10 und sogar ein Gefangenenaufseher, der gewiß beurteilen kann, wie sehr hier die schwedischen Gardinen fehlen. Leider sind auch zwei Techniker, zwei Apotheker und zwei Lehrer von der Partie. Und gerade bei diesen Gebildeteren wird es deutlich, wie furchtbar schweres für den, den das Schicksal einmal zu Boden gestoßen hat, wird, sich wieder zu erheben. In der Kolonie zuverlässig, treu und in jeder Weise brauchbar, haben sie nur nötig, den
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