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worauf das Schmausen beginnt, an das sich stets ein Tänzchen im Freien anzuschließen pflegt. Die Anwendung des Wassers geschah früher in viel roheren Formen. Die Margellen wurden zum Brunnen geschleppt und mit mehreren Eimern kalten Wassers begossen oder auch wohl in den Entenpfuhl geworfen. Jetzt begnügt man sich mit kleineren Güssen aus Töpfen und Kannen. Aber sobald wird diese Sitte nicht verschwinden, denn je mehr Wasser beim „Plon" fließt, desto besser wird die nächste Aussaat, in der auch die Körner des Erntekranzes vorhanden sein müssen, gedeihen.
Die Kette der Ahnen, die jeden einzelnen an die Vergangenheit binden, ist auch bei dem Masuren langer geworden, aber das Erbe, das er von der alten Zeit erhalten hat, ist geringer geworden, die Menschen haben sich gewandelt. Sie greifen heute begierig nach den geistigen Schätzen der Deutschen. Vielleicht erklärt sich die Freudigkeit, mit der dies geschieht, aus der sehr wahrscheinlichen Annahme, daß hierbei uralte Volksinstinkte walten, die einen seiner Nationalität und Sprache beraubten Bolksstamm seinen wirklichen Stammesgenossen wieder zuführen!
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Georg Bairgs Liebe.
(14. Fortsetzung.) Roman von Aarl Rosner.
u Ostern schied Adolf Winkler aus den: Haus A. G. Gutkind aus. Seine Lehrzeit war beendet, er war nunmehr Gehilfe und nahm als solcher eine Stellung in einer großen Neuporker Kolportagebuchhandlung an. Seit Monaten hatte er sich schon bemüht, einen Platz im Ausland zu finden, nun war er glücklich, daß ihm das gelungen war. Georg aber rückte mit dessen Scheiden zum zweiten Lehrling auf, während der Sohn eines von Herrn Felix Gutkinds Kommittenden als neuer „Jüngster" einTat. So war die schlimmste Zeit für Georg überwunden, die Arbeiten, die ihm nun überwiesen wurden, boten doch mehr Abwechslung, ließen ihm mehr Spielraum für eigene Erwägungen, forderten mehr Selbständigkeit und Umsicht. Und Georg trat an diesen neuen Platz der Arbeit mit einer stillen, stolzen Freude hin. Nun war er doch nicht mehr der Letzte, und was er schuf, gewann im Gange des Geschäfts an Bedeutung. Diese Gehobenheit, die in ihm war, spornte ihn an, sie sprach aus seinen Briefen, die nach Hause an seine Mutter gingen und froh von jedem Wechsel Kunde gaben, und drückte sich in seinem ganzen Wesen aus.
Doch da war noch etwas in dieser Zeit, das ihn zu reger Arbeit trieb. Ganz unvermittelt kam es manchmal über ihn — als Blutwelle, die ihn mit heißem Schwall überflutete, daß sein Herz stark und stürmisch klopfte, oder als eine weiche, milde Woge, die sich auf einmal träumerisch und lähmend um sein Denken legte. Was es war, wußte er anfangs nicht, und er empfand nur seine Süßigkeit. Dann aber wuchs ein Widerstand dagegen in ihm auf, er gab sich diesen Augenblicken nicht mehr hin. Er floh sie, wenn er sie nahen fühlte, und waren sie doch über ihn gekommen, dann zog er die Brauen zusammen, umgriff den Federhalter fester und wollte sie mit starkem Willen überwinden in gesammelter Arbeit.
Am Sonntag nach dem Fest bei Frau von Hellstein hatte ihm Karl Falk gesagt: „Nun, ihr habt euch ja sehr eingehend unterhalten, Fräulein Molenaar und du. Du scheinst übrigens sehr Gnade gefunden zu haben vor ihren Augen — Else sagt's. Mein Geschmack ist sie ja nicht — immerhin: ich gratuliere!"
Da war Georg rot geworden und hatte nur hastig den Kopf geschüttelt und dann von anderm gesprochen. Aber ein widerstreitendes Fühlen war dabei in ihm gewesen, ein jähes Glück und Freude über das, was er hörte, und zugleich eine herbe Verstimmung über die spöttische Art, in der Falk gesprochen hatte. Wie eine Kluft war es in diesem Augenblick zwischen ihnen gewesen.
An diesem selben Sonntag aber, wenige Minuten, nachdem die Worte gefallen waren, hatte er Mariane Molenaar gesehen. Er war mit Falk noch an der gleichen Stelle im Garten der Frau von Hellstein, da war sie gekommen, um der Hausfrau ihren Besuch zu machen. Ein paar Sekunden lang nur war sie stehen geblieben auf ihrem Gang in das
Haus, ein paar Worte der Begrüßung waren gewechselt, dann hatte Georg die feine, zierliche Gestalt die wenigen Stufen zur Tür der Villa emporsteigen gesehen — dort war sie im Dunkel des Flures verschwunden. Er hatte noch den Druck ihrer Finger in seiner Hand gefühlt. Und wieder war diese heiße Welle in ihm aufgestiegen, lähmend und wunschlos. — Erst als er dann gesehen hatte, wie Falls Augen mit einen: leisen überlegenen Lächeln auf ihm ruhten, hatte er sich gewaltsam aus diesem Bann befreit.
Seitdem kämpften Sehnsucht und Scheu in ihm um das Bild Mariane Molenaars. Ein Drang war in ihm, über sie sprechen zu hören, mehr von ihr zu wissen, und er hätte doch um alles niemand fragen mögen — vor allem aber nicht Falk, der doch sicher am besten hätte Auskunft geben können. Einmal war Joseph Teltscher mit wenigen Worten auf sie zu reden gekommen: „Ein ganz prächtiges Frauenzimmer -— ein bissel 'was ander's als diese Schneegäns' alle miteinander — —!" Das war alles, was der zu sagen hatte.
Und dann, nach Wochen war wieder ein Tag gekommen, an dem er sie sprach.
Wie damals, an jenem Abend, da er sie neben Else Bernhardi zum erstenmal gesehen hatte, war er mit Falk, dem er sonst in der letzten Zeit wenig begegnet war, in einem Schülerkonzert, und wieder waren auch die beiden Damen da.
Aber mehr noch als je vorher fühlte Georg an diesem Abend die Entfremdung, die zwischen ihm und Falk geworden war. Er sah Elsens Augen immer wieder auf seinen: Freund ruhen, fragend, bittend und sehnend, und ihm war es, als wäre Falls Antwort an diese Augen nur ein gefälliges — selbstgefälliges Grüßen und Nicken. Ob auch Else das fühlte? Sie schien Georg bleicher als sonst, und etwas Erwartendes, Gespanntes war in ihr, das er früher niemals gesehen hatte.
In einer Pause des Konzerts gingen Falk und Georg zu den beiden Damen, um sie zu begrüßen — der Musiker sicher und mit einer beinah zur Schau getragenen Fröhlichkeit, Georg still und mit erregten Augen. Neben dem Stuhl von Mariane Molenaar stand er eine Weile und sprach mit ihr. Dabei sah er herunter auf die Helle blonde Krone ihres weichen Haares und auf die goldig schimmernden Wimpern und die schmalen Hände, die im S.choß ruhten. — Freundlich und einfach, wie immer, redete sie zu ihm, aber er fühlte doch, daß neben ihren Worten ein anderes in ihr war. Mehrmals blickte sie forschend zu Falk hinüber, und einmal nahm sie leise Elsens Hand in ihre Hände.
Erst zum Schluß der Pause schritten Falk und Georg wieder zu ihren früheren Plätzen, aber sie sprachen wenig miteinander; Georg war es, als trennte eine unsichtbare Wand ihn von dem früher so vertrauten Freund. Als sie dann nach dem Schluß der Aufführung in der Garderobe wieder mit den Damen zusammentrafen, ergab es sich wie selbstverständlich, daß sie nun auch gemeinsam den Weg nach Hause nahmen.