Heft 
(1906) 28
Seite
600
Einzelbild herunterladen

600

In zwei Paaren schritten sie durch die Straßen voran gingen Else und Falk, hinter ihnen sollten Mariane Molenaar und Georg.

Eine milde Frühlingsnacht lag über der Stadt, und ein leiser Luftzug trug den Duft der blühenden Frühlingsgärten über die Menschen hin und streichelte ihnen Wangen und Stirn und Lider wie mit Blütenblättern.

Wie schön das ist!" sagte Mariane Molenaar.Jetzt kommt der Frühling doch mit aller seiner Kraft und Wärme!" Sie sah still vor sich hin. Eine zielsichere freudige Sehnsucht lag in ihren klaren Augen, als dächte sie an etwas Schönes, Starkes, das nun seiner Erfüllung näher ging. Nie hatte Georg ihre Augen so gesehen, und er fühlte, daß etwas Großes in ihr war, und wußte es doch nicht zu deuten.

Von dem Paar vor ihnen trug das leise Wehen ab­gerissene Worte herüber. Elsens Stimme, innig, wie in einem bittenden Aushauch dann Falls unbekümmertes Lachen: Nein, Lieb ist ja alles Unsinn . . . Nur keine Sorge . . .! Und schließlich bin ich doch Künstler ..."

Da schüttelte Mariane Molenaar ganz leise den Kopf, und das schmale Fältchen zog seine herbe Linie in ihre Stirn.

Ihr Freund Falk ist dieser Tage zu ziemlich später Stunde mit einem andern jungen Musiker und zwei nicht sehr vertrauenerweckenden Begleiterinnen in einem Cafo ge­sehen worden. Durch einen Zufall hat Else davon gehört- nun ist sie voll Erregung und voll von Angst. Mein Gott es ist ja möglich, daß das ganz harmlos war ..."

Sie schwieg und schüttelte wieder leise den Kopf. Es war, als wollte sie nicht sprechen, was sie doch nicht glauben konnte. Und Georg fühlte, wie ihn: das Herz bis zum Hals schlug, und konnte das Beben seiner Stimme nicht beherrschen.

Aber das kann doch gar nicht sein . . . das ist doch ganz unmöglich . . .! Er ist doch so erfüllt nur von dem Einen ..."

Sie sah ihn voll an und lächelte trübe.Glauben Sie . . .? Was ich Ihnen letzthin gesagt habe . . .

Klug mag er sein und geschickt und von einer gewissen be­

stechenden Form ich, mein lieber Georg Bang und Nietzsche­leser, glaube, daß Gutsein mehr ist als alles das! Und Gutsein heißt, treu sein . . . glauben Sie mir, das ist das Höchste und das Tiefste zugleich, und nichts Hohes ist und nichts Tiefes ohne das . . . Ich habe Sorge um Else ..."

Sie schritten weiter. Leise plätschernd und glucksend zog das Wasser der Pleiße neben ihrem Weg hin. Menschen kamen ihnen entgegen und gingen vorüber, und ihre Schritte verhallten.

Als zwei dunkelumschattete Gestalten, die weiterschreiten in die Nacht vor ihnen, hoben sich die beiden Menschen vorn aus dem Dämmerlicht. Wie ein Bann lag es auf Georg. Er sah nicht auf, und doch war's ihm, als stände dieses

trübe Lächeln noch immer still und weh um ihre Lippen. Und

auch die Worte, die Mariane Molenaar zu ihm gesprochen hatte, leben. Sie gingen neben ihm einher mit ihren

Schritten und hallten noch in ihm gleich Glockenschlägen, die nicht zur Ruhe kommen wollen.

Und das ergriff ihn und erfüllte ihn, daß er es nicht mehr tragen konnte. Er wußte nicht, wieso es nun mit einem Mal so überstark geworden war, er wußte nur, daß es nun über seine Kräfte ging. Um Mund und Kehle fühlte er es zerren, und seine Hände zitterten und zuckten.

Und mit einem Mal blieb er stehen.

Da hielt auch sie in ihren: Schritt ein. Gütig und klar lag ihr Blick auf ihm. Wie im Traum sah er das feine Helle Gesicht vor sich seltsan: leuchtend in dem Dunkel ringsum wie Elfenbein hörte er den verhallenden Schritt der beiden andern . . . Und dabei leise das wiegende Plätschern des Wassers und das ferne Summen des nächtlich still gewordenen Straßenlärms . . .

Wissen Sie denn, wie lieb ich Sie habe. . .?" sagte er nur, und dabei stand er still, bewegungslos und hörte seine Stimme, als spräche ein anderer neben ihm.

Sie aber nickte und sah ihn an, mild und gut.

Ja ich weiß es ..." und strich ihm leise mit der Hand über die Mange. Dann streckte sie ihm die Rechte hin. So und nun auf feste gute Freundschaft ja?"

Da nahm er die Hand und drückte sie und ließ sie wieder und schritt neben Mariane weiter. Sprechen konnte er nicht.

Aus dem Dunkel vor ihnen wuchsen wieder die Gestalten der beiden andern. Wie schwarze Körper von unbestimmten Formen waren sie erst, dann wurden sie klarer, deutlicher und standen vor ihnen im Licht einer nächtlichen Laterne, die an der Straßenecke brannte. Falk sicher und überlegen, Else mit einem hilflos suchenden Blick.

Wenn es den Damen recht ist," sagte Falk,so bringe ich Fräulein Bernhardi nach Hause." Er wendete sich zu Georg:Du würdest dann Fräulein Molenaar begleiten..."

Georg sah fragend zu Mariane die aber sagte nichts. Ihr Blick sah voll und ruhig und wie in einem Flor von Sorge auf die Freundin, die mit erregten, hastenden Fingern an ihrem Täschchen mit dem Opernglas nestelte.

Der Abend ist so schön," sagte Mariane,ich gehe gern mit dir wie sonst ..."

Aber Else, deren große Kinderaugen wieder so zag und hilflos von Falk zu ihrer Freundin blickten, schüttelte leise den Kopf. Ein Zittern lag in ihrer Stimme:Es ist spät du wirst auch müde sein ..."

Da wendete sich Mariane Zu Georg:Dann gehen also wir noch eine Strecke zusammen."

Aber seltsam lange, als wollte sie die gar nicht lassen, und wie als legte sie all das, was sie nicht sprach, in diesen Druck, hielt sie die Hand von Else zum Abschied in der ihren.

So trennten sich die Paare.

Neben Mariane Molenaar schritt Georg durch die Nacht. Schweigend gingen sie beide, und ein dumpfer, weher Schmerz war dabei in ihm.

Bei der Dorotheenstraße bog sie ab und schlug den Weg über die Brücke ein; er folgte ihr und war dabei so ganz erfüllt von diesem Weh, daß er kann: merkte, daß es doch ein Umweg war, den sie ihn führte.

Dann aber fühlte er, wie ihre Augen auf ihn: ruhten, und sie sprach:

Georg wissen Sie, daß Sie mir eine große, tiefe Freude gemacht haben. . .?"

Er sah sie nicht an. Aber es brach ihm heiß in die

Augen.

Ich habe Sie auch lieb, lieb als einen guten Menschen und als einen Freund, den ich mir erhalten möchte. Anderes als das empfinden auch Sie nicht zu mir. . . Das wissen Sie vielleicht jetzt nicht aber Sie werden es noch wissen ..."

Wie im Traum schüttelte Georg den Kopf. Wie wenn all dieses Weh in ihm zerginge und sich löste, war ihm zu­mute. Nur weiter sprechen sollte sie! Die Stimme neben ihm sollte nicht schweigen. . .

Sehnsucht ist in Ihnen, Georg viel und starke Sehnsucht und zu mir haben Sie Vertrauen gefunden, so wie ich Ihnen Vertrauen gebe und da glauben Sie jetzt, Sie lieben mich. . . Jst's nicht so?"

Sie sah ihn wieder an mit den gütigen Augen, aus denen so viel Wärme sprach.

Und auch er blickte sie an und schüttelte nicht mehr den Kopf.

Ich weiß es nicht," sagte er,ich weiß nur, daß Sie mir mehr sind als sonst ein Mensch hier . ."

Da nahm sie seine Hand.Das ist recht - und das ist mir die Freude. Also Ihr bester Freund! Und daß auch Sie in mir den treuen Kameraden immer haben sollen, das war es, was ich Ihnen noch habe sagen müssen. Und darum dieser Umweg . . hier aber ist mein Haus . . Gute Nacht, lieber Freund."