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war seine Seele. Eine große Mattigkeit war in ihm und doch bei all' dem nachzitternden Weh zugleich ein Fühlen von neuer, sicherer und reiner Kraft.
Und ganz still war es. Nur der Hall einer fernen Turmuhr kam immer wieder wie auf dunklen Schwingen durch die Nacht gezogen und pochte an die Scheiben: ein Mahner zur Ruhe.
Und wie das ernste Singen der Glockenschläge wiederum verklang, da war es Georg wie schon einmal in dieser Nacht, als sähe er in all dem Dunkel das Helle Angesicht Mariane Molenaars. Und das sah ihn an mit stillen, gütigen Augen, vor denen nichts verborgen war. Die Lippen aber sprachen wieder:
„Sehnsucht ist in Ihnen, Georg! — und zu mir haben Sie Vertrauen — und da glauben Sie, Sie lieben mich..."
Das, das war es gewesen! Jetzt erst verstand er i Worte, die ihm wie Freundestrost in dieser Stunde war seine Sehnsucht nach der Fernen, die irregegangen war . .
Es lag schon ein Heller Schein im Dunkel der Nacht, Georg endlich Ruhe fand. Aber was noch knabenhaft gewe war in ihm, das war abgefallen in dieser Nacht und v gereift zu einer männlichen Klarheit.
Die war in ihm, als er am nächsten Tag die Nachr aus Wien bekam, daß die Leiche von Sephis Mutter der schönen Frau, die so unglücklich geworden war — Muggia am Golf von Triest gelandet wäre, und als er da an Sephi schrieb.
Und sie blieb ihm und prägte sich immer tiefer in s erstarkendes Wesen. (Fortsetzung folgt/
Orr Koprnhagrnrr Huk.
Historische Skizze von vr. Cajus Moeller.
er erste Monat dieses Jahres führte in der Kopenhagener Amalienborg ein langes Herrscherleben zum Abschluß. Mehr als vier Jahrzehnte hatte der erste Holstein-Glücks- burger auf dem dänischen Thron gesessen, als ihn im fast vollendeten 88. Lebensjahr ein sanfter Tod abberief. Diese 42 Regierungsjahre König Christians IX. haben eine sehr denkwürdige Epoche der dänischen wie der nordeuropäischen Geschichte dargestellt und in ihnen einen bedeutenden Abschnitt gebildet; es verlohnt sich, auf die Vorgeschichte dieser Periode und auf deren dynastische wie nationalpolitische Ursprünge zurückzublicken. Man muß dabei freilich fast 14 Jahrzehnte zurückgreifen, auf jene Kopenhagener Struenseekatastrophe von 1772, aus der nach einem nationalen Kampf von drei Menschenaltern Zuletzt die Zerreißung der geschichtlichen dänischholsteinischen Monarchie hervorgegangen ist.
König Christian VII. war der im Jahr 1749 geborene
Sohn des Klopstockmäcens Friedrich V. und einer jung ver
storbenen englischen Prinzessin; mit noch nicht 17 Jahren König, heiratete er ein halbes Jahr darauf seine 15jährige englische Cousine Karoline Mathilde. Die dieser von ihrer
Oberhofmeisterin Frau von Messen soufflierte Zurückhaltung gegen den Gemahl veranlaßte ihn zu einem Lebenswandel, der seine schwächliche Gesundheit zerstörte und seine glänzenden Fähigkeiten trübte. Auf einer „Bildungtour" nach England und Frankreich nahm er in Altona auf Empfehlung des
Grafen Rantzau-Ascheberg den Stadtphysikus Struensee als Reisearzt in seinen Dienst, und bei der Rückkehr des Königs nach Kopenhagen stieg der unterhaltende Schöngeist schnell nacheinander zum Vorleser, zum Kabinettssekretär, zum Staatsminister; aus dieser schwindelnden Höhe riß ihn plötzlich die bekannte Palastrevolution. Was weniger bekannt: gestürzt hat ihn eigentlich ein Gardeleutnant v. Kardorff. Dieser hatte gegen die „Doktorherrschaft" demonstriert und sollte deshalb vor der Front kassiert werden; sein der Struenseeschen Partei angehörender Oheim Oberst v. Koller bat für ihn um eine mildere Strafe, aber der von der Königin wegen seiner Nachgiebigkeit gegen die meuternden norwegischen Matrosen der Feigheit beschuldigte Minister wollte ein Exempel statuieren, lehnte die Bitte ab und schloß die Audienz mit den Worten: „Der
Leutnant wird kassiert, und wenn es mich den Kopf kosten sollte!" „Das kann es dann ja auch, Exzellenz", entgegnete der Oberst mit tiefer Verbeugung. In seine Kaserne zurückgekehrt, organisierte er für die frondierende Hofpartei den militärischen Handstreich in der Nacht zum 17. Januar 1772. Empörend war die Roheit der Sieger gegen die freilich nicht schuldlosen Besiegten. An Struensees Hinrichtungstag, dem 28. April des genannten Jahres, ritt der ihm persönlich verfeindet gewesene General v. Eickstädt auf dem Lieblingspferd des Gestürzten an der Kutsche vorüber, die diesen zum
Schafott führte, und grüßte den Unglücklichen höhni mit tief abgezogenem Hut. Königin Juliane Mar
Christians VII. Stiefmutter, eine braunschweigische Schwägei des großen Preußenkönigs, sah vom Dach des Frederiksborc Schlosses durch ein Fernrohr der Hinrichtung zu und klatsc! in die Hände, als nach dem schlanken Grafen Brandt „l Dicke" (Struensee) Hand und Haupt auf den Block leg mußte. Wenig erinnerlich ist der heutigen Menschheit, d sich unter Goethes Erstlingsschriften eine Rezension n Balthasar Münters „Bekehrung des Grafen Struensee" fink („Frankfurter Gelehrte Anzeiger"); der 37jährige Predio hatte den 34jährigen Minister zum Tode vorbereitet. E damals berühmtes Anagramm auf Struensee lautete „strue 86, tru6N8 86, VU6N8 86", der sich selbst emporbrachte, sich sel! Zu viel vertraute, sich selbst stürzte. Nicht alle Feinde dacht so unedel wie die vorgenannten; Graf Rantzau-Ascheberg hat wie schon erwähnt, Struensee zuerst empfohlen, später hat er il stürzen helfen, aber der ökonomisch derangierte Edelmann lehn jede Geldbelohnung von seiten der Sieger ab, verzichtete ba nachher auf das ihm übertragene Kriegsportefeuille und stm in selbstgewählter Verbannung zu Avignon. Von den Opfei der Katastrophe ist stets besonders Königin Karoline MatM beklagt worden, mit Recht; aber das von ihr in der volb tümlichen Überlieferung lebende Bild ist völlig irrig. I ihrer Verbannung zu Celle war sie sehr wohltätig und nah' sich besonders der Kinder aus den ärmeren Volksklassen m ein rührender Ausdruck der Sehnsucht nach den eigenen zw Kindern; ein Denkmal im Park zu Celle verherrlicht f als Kinderfreundin. Sie starb, eben als man am Köper Hagener Hof eine Gegenrevolution zu ihren Gunsten plant nach dreijährigem Exil 24jährig, nicht, wie meistens bericht« wird, an der Schwindsucht, sondern an den Pocken. Ich Lebensauffassung malt ein Satz in einem ihrer Briefe: „Den wissen sollt Ihr, daß wenn ein Frauenzimmer eine Manne person liebt, so soll sie ihm folgen durch Glück und No durch Ehre und Unehre, und wenn es in die Hölle wäre.
Auch über Christian VII. sind vielfach irrige Ansichte Verbreitet. Er war geistig keineswegs blöde, im Gegentei verfügte er bis zu seinem mit 59 Jahren erfolgten Ende übe blendende Einfälle und besonders über einen ätzenden Witz aber zumeist war über seine Intelligenz gleichsam ein Nebel schleier gebreitet; vor allem jedoch hatte er jedes seelisch Gleichgewicht eingebüßt. Ein als preußischer Gesandter ü Kopenhagen neu beglaubigter Herr v. Vorcke hatte von de Narrheit des Königs reden gehört und war höchst erstaun! sich bei der Audienz von einem geistsprühenden, äußerst liebens würdigen Herrn empfangen zu sehen; entrüstet sprach er un mittelbar nachher über die einem so ausgezeichneten Fürstei geltenden Verleumdungen. Aber der Angeredete zog ich