Heft 
(1906) 30
Seite
629
Einzelbild herunterladen

IlliMnette; samilienbla». - kr»§> 1^-11

2 u begehen ohne frauenblat« in wöchentlichen NUMMSM vierteljährlich 2 IN. ocker in vierrehntägiichen ÜSPpelNUMMern ru je ZS pk.; mit frauenblatt in wöchentlichen I)SflSN ru je 25 Pf. oöer in vierredntägiichen NSPPSlilSflSN ru je §S Pf.

M W

WMA

MW

MW

Kains Cntsüknung.

(8. Fortsetzung.) Noman von Luise westkirch.

er Winter kam. Die Kanäle froren zu. Die Schnee­decke breitete sich über das Moor, schnitt Schmalen- beek ab von der Welt und jedes einzelne Gehöft von seinem Nachbarn. Aber die Bewohner wehrten sich, schaufelten immer wieder neue Verbindungs­pfade, kamen zueinander in die Spinnstuben, zu einem Abend­schwatz, zu Dudelmusiken und Tanzereien. Es war die Zeit der Feste im Moor, die arbeitsarme im übermäßig arbeits­reichen Jahr, und das junge Volk nutzte sie aus.

Janfredrik saß allein in seinem verschneiten Bau. Er schaufelte keinen Pfad für Besucher, den meisten war er auch zu unumgänglich geworden. Nur Kort Ehlers kam fast an jedem Abend in der von Urvätern her ererbten Treue seiner Rasse.

Ut mien Hus is de Unsegen utgahn", sagte er zum Schullehrer.Ick mutt dervör upkamen."

Schweigsam rauchten die beiden Männer dann vor der Feuerstätte ihre Pfeifen, während der Wind um das Stroh­dach heulte und die Kühe mit den Ketten klirrten. Ab und zu fuhr Janfredrik auf, sah mit sich weitenden Augen durch die kleinen Fensterscheiben.

Fragte Ehlers:Wat is dr?" so antwortete er geheimnis­voll:Er geht wieder ums Haus."

Manchmal riß Ehlers dann die Tür auf, lief hinaus, kam zurück und versicherte, da sei niemand.

Janfredrik antwortete darauf nicht einmal. Er wußte es besser. Fast jede Nacht klopfte der Tote an die Tür.Es is kalt in mein Grab. Laß mich herein, Bruder."

Tagsüber stand er in der Ecke bei den Pferden und sah Janfredrik auf die Hände. Einmal, als der besonders fleißig gewesen war, hatte er ihn am Abend gefragt:Für wen tust denn das, mein Bruder Janfredrik?"

Seitdem hatte Janfredrik auch zum Arbeiten nicht mehr den Mut. Brün hatte ja recht, für wen?

Er fühlte aber, daß er langsam zugrunde gehen mußte, und als ordnungliebender Mann begann er seine Sachen auf­zuräumen. Er öffnete das Paket Schriften, das er aus dem Gefängnis mitgebracht und unangerührt hatte liegen lassen, nur die wichtigen Stücke säuberlich in eine verschließbare Truhe zu legen.

Da war Brün Lorensens Testament, das ihn unter Über­gehung von Brüns Schwester und deren Nachkommen Zum alleinigen Erben einsetzte. Da waren seine eigene Ausstellung

des Eigentumswertes von Lorensen am Moorhof, im Gefängnis ausgefertigt, die Taxation der Steuerbehörde und die Quittung der Erbschaftssteuer. Ehlers hatte das Torfboot für ihn ver­kaufen müssen, damit er diese Steuer bezahlen konnte. Auch eine Abschrift des von Swensen im Namen seiner Ehefrau Margarete Swensen geborene Lorensen eingereichten Protestes gegen Brüns letztwillige Verfügung lag bei den Papieren. Der Notar, bei dem die Testamente aufgesetzt worden waren, hatte sie seinem Klienten Holm übersandt und zugleich in einem Brief ihm mitgeteilt, daß der Protest vom Gericht als ungültig zurückgewiesen worden sei. Ein paar Monate später schickte er ihm dann einen Ausschnitt aus denBremer Nachrichten", eine kurze Notiz unterLokales", die berichtete, daß der Hafen­arbeiter Karl Swensen, wahrscheinlich in trunkenem Zustand, beim Beladen eines Schoners in den Schiffsraum abgestürzt und tot geblieben sei.

Janfredrik las jedes Schriftstück noch einmal durch. Ganz andere Bedeutung gewann ihr Inhalt für ihn, jetzt, da er sie als freier Mann erwog. Im Gefängnis waren alle Ereignisse nur wie die Schatten ihrer selbst an ihn herangetreten, blutlos, unwirklich, und versunken in sein eigenes Schicksal, hatte er an Brüns verlodderte Verwandtschaft überhaupt nicht mehr gedacht.

Beim Anblick der Schriftstücke tauchte der Auftritt im Gäßchen am Bremer Markt wieder vor seiner Erinnerung auf, der Auftritt am Tag, als sie die Testamente unterschrieben hatten, Brüns Todestag. Er sah das blasse, gemeine Gesicht von Margret Swensen, wie sie knirschend ihre Diebsbeute verteidigte, er sah den dunkeläugigen Bengel mit der eigen­sinnigen Stirn, sah den Griff der kleinen schmutzigen Faust, die den gestohlenen Spickaal nicht lassen wollte. Gesindel! Auskehricht der Menschheit! Janfredrik empfand gegen die Sklavenlaster des Diebstahls und der Lüge die ganze Ver­achtung, die rauhkrüftiger Herrenrasse eingeboren ist. Es war gut, daß diese Brut nie seinen Hof betreten würde.

Auf einmal, er wußte nicht wie es zuging, hörte er auch wieder Brüns Rede deutlich wie damals:Es is doch mein

Blut. Zu den Jungen bin ich Gevatter gestanden, un das Mädchen hat die Augen vor: inein Mutter."

Sein Blut! Janfredrik erschrak vor einer jähen Vor­stellung so sehr, daß ihn: die Knie zitterten. Mit unsicheren Händen räumte er die Papiere zusammen.

Nein, nein, nein!" Wie konnte solcher Gedanke ihm kommen? Solche Nötigung? Scheu sah er nach der Ecke am

>

1906. Nr. 30.

68