Heft 
(1906) 30
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einbrachte, weil er es nicht erscheinen ließ. Die Schweige­gelder derer, die er mit Enthüllungen bedrohte, ersetzten ihm reichlich alle Abonnenten, die er, etwa hätte haben können. Wie viel ergiebiger läßt sich nun ein großer Trust schröpfen als diese oder jene noch so potente Privatperson! Wenn also irgendeine Preßkampagne mit solchem Ziel eingeleitet wird, so hat rnan immer einigen Grund zu dem Argwohn, daß hier noch andere Motive als die Sorge um die Gesundheit und das sonstige Wohl des steischkonsumierenden Mitbürgers wirksam sein könnten. Und wenn man sich dabei korrekterweise auf den Standpunkt stellen wird, daß es am letzten Ende gleichgültig sei, auf welchem Wege die Wahrheit ans Licht komme, so wird man sich andererseits doch auch sagen müssen, daß Polemiker solcher Art in der Prüfung ihres Materials nicht eben sehr sorgfältig sein werden. Eine Objektivität, wie sie nicht nur unsere Gerichte, sondern auch unsere Beamtenschaft aus- zeichnet, und wie sie auch die bessere deutsche Tagespresse für sich in Anspruch nehmen darf, gibt es in den Bereinigten Staaten kaum.

Das alles kommt jedoch nicht auf gegen die starke Beweis­kraft der nach den Veröffentlichungen in dem Sinclairschen RomanDlle llunZIe" bekannt gewordenen neuesten Berichte, auf Grund deren man wohl als festgestellt annehmen muß, daß in vielen Betrieben des Fleischtrustes tatsächlich unerhörte Zustände geherrscht haben.

Die Frage der technischen Sauberkeit der Betriebe steht dabei noch nicht in erster Linie, wenn sie auch immer noch eine große und zum Teil recht unappetitliche Rolle spielt. Daß auf diesem Gebiet in den letzten Jahren gebessert worden ist, kann als sicher gelten, aber augenscheinlich geschieht noch bei weitem nicht alles, was der an und für sich Zur Unreinlichkeit neigende Betrieb erfordert. Was in Chicago speziell auffällt, ist die fast ausschließliche Verwendung von Holz zu den Schlacht­gebäuden und der Mangel an Wasser. Wenn irgendwo, so müßten hier Marmor- oder mindestens Betonpaläste stehen, um die Mißstände des in der andauernden warmen Feuchtigkeit naturgemäß sehr rasch faulenden Holzes zu vermeiden und eine gründliche Reinigung durch Spülungen zu ermöglichen. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen ist davon nicht die Rede, ein etwas energischeres Reinigen würde jetzt weit häufigere und längere Pausen erfordern, als der Betrieb sie zulassen will. Mir hat man seinerzeit in Chicago erzählt, daß das Fleisch selbst geradezu mit Verlust verkauft werde. Die Prosperität konnte demnach nicht auf dem Großbetrieb als solchem beruhen,die Masse" konnte es an und für sich nicht bringen. Das Geheimnis des Erfolgs sollte vielmehr in der Ausnutzung aller Nebenprodukte liegen, die so intensiv gestaltet ist, daß das ununterbrochen in die Schlachthäuser getriebene Vieh diese tatsächlich nicht nur in Gestalt von Cornedbeef, Pains, Würsten, Schinken usw., sondern auch von Gelatine, Hosenknöpfen, Haarfeilen und dergleichen verläßt. Da will natürlich der amerikanische Geschäftsinn von irgendwelchen Erschwerungen des Betriebs nichts wissen, sondern es wird eben weiter gewirtschaftet, wie es geht. Das Trustkapital muß eine Rente abwerfen.

Und aus gleichen Gründen hat sich bisher auch die noch viel wichtigere Fleischbeschau nicht durchzusetzen vermocht. Sie ist insbesondere auf das Drängen des Auslands für alles Fleisch eingeführt, das die Grenzen der Union oder auch nur die des Produktionstaats überschreitetUncle Sam" selbst hält die Zügel noch immer leidlich fest. Er ist aber machtlos, was die innerstaatlichen Verhältnisse anbelangt, und so findet auf diesem Gebiet wie auch so manchem anderen die Lotter­wirtschaft unter der Ägide des Einzelstaats die nachsichtigste Duldung. Damit ist aber ein Moment der Unsicherheit im allgemeinen gegeben, und es wird die allerstrengste Kontrolle, wie sie bisher schlechterdings nicht vorhanden ist, erfordern, wenn irgendeine Garantie dafür gegeben sein soll, daß das der Beschau entzogene Fleisch nun auch wirklich innerhalb des produzierenden Staats bleibt. Richtig ist, daß die

Konsumverhältnisse innerhalb dieser Staaten keineswegs glän­zend sind: ich für meine Person habe im ersten Hotel der Fleischstadt Chicago das schlechteste Beefsteak vorgesetzt be­kommen, das meinen Zähnen jemals zugemutet worden ist. Aber das beweist noch lange nicht, daß alles gut ist, was den Erzeugungs- oder Fabrikationsort verläßt, und die neuesten Enthüllungen machen es sogar sehr wahrscheinlich, daß viel davon schlecht ist.

Es fragt sich nun, inwiefern die Reinlichkeitsverhältnisse der amerikanischen Vieh-, Schlacht- und Packhöfe für uns noch in Betracht kommen, nachdem das Gesetz über die Schlachtvieh- und Fleischbeschau vom Juni 1890 mit seinen rigorosen Be­stimmungen den amerikanischen Fleischexport nach Deutschland größtenteils unterbunden hat. Dieses Gesetz verbietet bekannt­lich die Einfuhr von Fleisch in luftdicht verschlossenen Büchsen oder ähnlichen Gefäßen, von Würsten und sonstigen Gemengen aus Zerkleinertem Fleisch in das Zollinland durchaus. Die Geheimnisse der amerikanischen Wurstfabrikation kommen dem­nach für uns nicht mehr in Betracht. Ausgeschlossen ist der Natur der Sache nach die Einfuhr frischen Fleisches aus den Bereinigten Staaten, das nach den Bestimmungen des ge­nannten Gesetzes nur in ganzen Tierkörpern eingeführt werden darf. Die Einfuhr solchen Fleisches etwa in gefrorenem Zu­

stand, die gesetzlich statthaft wäre, ist bisher nicht versucht worden. Es bleibt also die Einfuhr zubereiteten Fleisches, die zulässig ist, wenn nach der Art seiner Gewinnung und Zu­bereitung Gefahren für dis menschliche Gesundheit erfahrungs­gemäß ausgeschlossen sind oder die Unschädlichkeit für die menschliche Gesundheit in zuverlässiger Weise bei der Einfuhr sich feststellen läßt. Auf Grund dieser Bestimmungen ist selbst­verständlich nur noch eine verhältnismäßig geringfügige Fleisch­ausfuhr von den Vereinigten Staaten nach Deutschland mög­lich gewesen. Wenn sie uns in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. September 1905 noch 66 585 Doppelzentner Speck und 31 036 Doppelzentner sonstiges zubereitetes Fleisch ge­liefert haben, so war daran unsere Fleischteurung schuld. In den drei Monaten März bis Mai des laufenden Jahres weist die Einfuhr aus der Union noch folgende Zahlen auf:

Rindfleisch, einfach zubereitet 1 525 Doppelzentner

Schweinespeck 2 748

Schmalz 226 019

Hier tritt, wie man sieht, nur noch das Schmalz in nennenswerten Mengen auf.

Daneben spielt aber auch die Versorgung unserer Kriegs­schiffe und zum Teil auch unserer Schutztruppen, die den in­ländischen Einfuhrgesetzen nicht unterliegt, eine Rolle. Man weiß, daß es speziell der Marine nicht ganz leicht gefallen ist, auf die wohlfeilen und zum großen Teil vortrefflich schmecken­den amerikanischen Fleischkonserven zu verzichten, wie man sie auch z. B. in Hamburg sehr ungern entbehrt hat, und es steht zu vermuten, daß die Marineverwaltung diese Bezugs­quellen bis zum heutigen Tag noch nicht ganz aufgegeben hat. Es ist auch begreiflich, daß man für die Verpflegung der südwestafrikanischen Schutztruppe, die ganz plötzlich unerwartet große Anforderungen stellte, auf die amerikanische Produktion zurückgriff. Wenn auch bekannt war, daß die amerikanischen Truppenteile im spanischen Krieg sich zum Teil bitter über die ihnen gelieferten Nahrungsmittel beschwert hatten, so galten ja doch für die Ausfuhr Bestimmungen, die eine gewisse Garantie zu bieten schienen. Das ist nun aber ohne Zweifel ein recht trügerischer Halt, denn wenn sich etwas von selbst versteht, so ist es das, daß eine absolute strenge Schei­dung des für den inländischen Konsum und des für die Ausfuhr bestimmten Fleisches nicht stattfindet. Ja, wenn eine Kontrolle nach strengem europäischen Muster Platz griffe! Aber davon ist eben in Amerika nicht die Rede und wird noch lange nicht die Rede sein. Es mag hart klingen, aber es ist doch so: der amerikanische Beamte, der in solchen Dingen mit unbeugsamer Strenge seine Pflicht tut, weil es eben seine Pflicht ist, und sich durch keinerlei Versuchung