Heft 
(1906) 30
Seite
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er kornmen, und so, wie es in diesen langen Jahren seines Fernseins gegangen war, wollte er auch das Leben in den beiden stillen Stuben treffen. Fünf Jahre . . . Wie diese lange Zeit wohl ihre Spuren in das Gesicht der Mutter ein­gezeichnet haben mochte? Und Sephi? Siebzehn mußte sie nun sein.

Und wieder in der Morgenstunde, wie damals, als der Zug ihn aus der Heimat führte, fuhr Georg durch das Grün der Donauauen. Schlaflos beinahe war ihm diese Nacht dahingegangen, und nur auf kurze Rast hatte sich hier und da ein wirres halbwach es, Träumen über ihn gebreitet. Dann war es ihm, während das Stampfen der rollenden Wagen in diesen flüchtig zagen Schlummer drang, während das Pfeifen der Maschine, das wirre Rufen ferner Stimmen seltsam phantastisch in das ruhelose Spielen seiner Sinne ragten, als wäre er bereits daheim, als hielte er die Mutter schon in den Armen, als sähe er in Sephis liebe Augen und läse darin all das eigene Glück . . . Bis dann ein derber Stoß des Wagens, ein Ruck oder der Ruf einer Signaltrompete ihn aus der Traumwelt seiner so heiß nach Erfüllung drängenden Wünsche jäh zurückführte in die Wirklichkeit.

Als der Morgen dämmerte, schwand ihm der letzte Rest von Müdigkeit. Und Stunde um Stunde sahen seine Augen hinaus in die Landschaft und konnten nicht müde werden der stillen friedvollen Bilder. Das war Heimaterde.

Je näher aber der Zug dem Ziel kam, um so stärker fühlte Georg die Größe dieser Stunde. Wie Fieber lag es

ihm im Blut, das Herz schlug ihm in übervollen Schlägen, und seine Augen brannten.

Nun häuften sich die Haltestellen, an denen es in rastlos schneller Fahrt vorüberging. Städtisch ward das Gepräge, und Menschen, die Georg wie alte halbvergessene Freunde schienen, tauchten auf: da Bahnarbeiter, die, auf Krampen und Schaufeln gestützt, seitlich des Bahndammes stehend, in ihrer harten Arbeit innehielten, bis der Zug über die Strecke sauste, dort Weiber, die in bunten Röcken, mit lachend munteren Gesichtern, um die das rote Kopftuch flatterte, vom Markt kamen, und dort Soldaten, die bestaubt und sonnengebräunt von einer Morgenübung heimmarschierten. Die Uniform, die er nun so viele Jahre nicht gesehen hatte! Ein Zucken ging ihm um den Mund . . .

Dann wieder Grün, soweit das Auge sah, und dort der Kahlenberg, der Wienerwald, die Berge seiner Jugendfreuden. Wie oft mit Heinrich Gerold, mit Hans und Sephi war er hier geschritten! Sein Auge glitt das breite Band des Stromes entlang und hielt dann ein. Denn dort, ganz fern, aus dun­stigem Gebreite, aus einem Meer von halbverhüllten Bauten, ragte es auf wie Kuppeln und wie Türme Wien!

Mit Zittern griffen Georgs Hände vor.

Jetzt kam das alles näher. Es löste sich und nahm Gestalt und Formen an.

Und jener Turm, der wie ein Wächter, vertraut in seiner wunderbaren ernsten Schönheit, all dieses wimmelnde Getriebe überragte, das war der Turm der Stephanskirche!

Andacht, als stünde er vor heiliger Erde, war in Georg, und nur ein einziges Wort erfüllte seine Seele gleich einem Becher bis zum Rande: Wien! Tränen standen ihm in den Augen. Aber sein Blick ließ nicht von jenem Bild. Wie durch einen Schleier sah er es näher kommen, immer näher, und sich entfalten.

Erst als der Zug langsam und eisenklirrend die mächtige Brücke des Donaustromes überschritt, riß Georg sich aus diesem Bann. Er nahm den kleinen Koffer, der ihn allein auf dieser Fahrt begleitete, zur Hand und griff mit hastenden Fingern nach Hut und Überrock. Er konnte es kaum erwarten, bis der Zug im Bahnhof hielt.

Und dann die erste Fahrt durch Wiener Straßen.

Ein Jubel war in ihm, und immer wieder tränten ihm dabei die Augen. Er hätte laut rufen mögen und lachte den Menschen da draußen zu und grüßte die alten Häuser

und staunte über all das, was neu geworden war. Und bei all dem rief jeder Nerv in ihm: Weiter! Weiter! Das alles kann ich später sehen zur Mutter! Zu Sephi!

Dann endlich stand er vor dem alten Haus mit seinem breiten Doppeltor. Ein Beben war in ihm, daß all die Bilder nur im Flug an ihm vorüberzogen.

Die breite Einfahrt und der Hof war der nicht sonst größer gewesen? Die beiden alten Bäume . . .

Er stürmte die Treppe hinauf und fühlte, wie seine Knie­kehlen schwach waren dabei. Das alte Holz des Geländers

wie abgegriffen! er streichelte im Aufwärtsschreiten mit ruheloser Hand darüber hin.

Und dann oben die Tür das Porzellanschildchen: Marie Bang.

Leise klang die Glocke aber tausend Jugendbilder wirbelten ihm bei diesem Klang durch den Kopf und zum Zerspringen schlug sein Herz.

Mutter! ..." rief er leise er konnte es nicht erwarten, daß sie kam.

Dann stille Schritte drinnen und das leise Klingen des Guckfensters. Ihm war es, als fühlte er den fragenden, staunenden Blick.

Mutter! ..."

Da war die Tür schon offen.

Georg . . . mein Georg! ..."

Sie lagen sich in den Armen, und ein Jubel war in ihrer Stimme, ein Jauchzen, das gar nicht wieder Ruhe fand und endlich erst in einem heißen Schluchzen stiller ward.

Drinnen in der Stube stand sie dann vor ihm mit tränenüberströmtem Gesicht und sah ihn an und tastete nach ihm mit diesen lieben alt gewordenen harten Händen und streichelte ihm Haar und Wangen. Und lange währte es, ehe sie sprechen konnte.

Er aber gab sich seiner eigenen Rührung und seinem Glück des Wiedersehens in schrankenlosem Fühlen hin.

Als fiele Stein um Stein von seinem Herzen, als lösten sich in seinem Innern Damm um Damm, daß alle seine Sehnsucht dieser Jahre als Liebe überfluten konnte, war's ihm zumute. In wirren Wellen kamen ihm die Worte von den Lippen, ohne Zusammenhang in all dem drängenden Glück:

Mutter! Du ... du! . . . Daß ich dich wieder­halte . . . deine Hände! Und da die Augen. Was das für Sehnsucht war! ..."

Da lösten seine Worte auch ihr die Zunge:

Mein Georg . . . und wie du als Bub gewesen bist . . . so bist du jetzt als Mann! Und groß ... so groß . . . Daß ich das noch erleben darf! Mein Bub . . . mein kleiner Bub! . . ." .

Und ihre Augen weinten, während um ihren schmalen Mund ein selig frohes Lachen zitterte. Immer wieder mußten die Hände über die Lider gleiten . . . und immer wieder kamen dort die glücklichen Tränen aufs neue.

Dann mußte sie sich setzen. Gleich einem Rausch, der ihr die Kräfte nahm, war ihr die Freude in das Blut gefallen. Aber sie ließ Georgs Hand dabei nicht aus der ihren die Finger, die sie da fest und klammernd umgriffen hielt, die waren ihr das Unterpfand, daß sie nicht träumte daß all die Freude ihr nicht, wie so manches Traumbild dieser Jahre, in Nichts zerrinnen konnte.

Und unablässig, während er dann sprach und ihr erzählte, blieben die guten Augen wie gebannt auf seinen Zügen. Manchmal sprach sie ein Wort dazwischen, dann zitterte das Glück in ihrer Stimme.Mein Bub! . . . Wie Hab' ich oft gebetet, daß diese Stunde kommen soll! . . . Nein

daß ich dich jetzt wieder habe - und so so! . . ."

Als Georgs Augen sie dann, da sie innehielt im Sprechen,

in einer stillen Frage trafen, da nickte sie ihm zu.

Wie Sephi sich auch freuen wird! Sie ist auf einen Gang in die Stadt eine Besorgung aber sie muß bald