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Auch der Kapitän ist Deutscher, er heißt Meyer. Man trinkt Bier, das aus einer der drei deutschen Bierbrauereien Joinvilles stammt. An reizenden grünen, unbewohnten Inseln vorüber, quer durch die ganze Bai, gelangen wir in die Nahe des Festlandes, wo wir in die Mündung des Caxoeirastusses und diesen hinauffahren. Ein Segelboot mit Mate (Paraguaytee), dem Hauptausfuhrartikel Joinvilles, beladen, kommt uns entgegen. Der Bootsmann ruft uns in deutscher Sprache einen Scherz herüber. Die Ufer des schmalen Flusses sind sumpfig und flach. Dichtes Mangrovegebüsch, aus dem einzelne Palmen ragen, bedeckt weithin die Ebene. Nach 2^Zstündiger Fahrt ertönt schrill der langgedehnte Pfiff unseres Dampfers als Ankunftssignal. Wir fahren um eine Flußbiegung und erblicken zwischen grünen Hügeln einzelne Häuser von Joinville. An der langgedehnten Kaimauer, die nach der Stadtseite den Flußhafen einsäumt, liegen zahlreiche Segelboote mit Frachtgütern. Unser Dampfer gleitet leise an ihnen vorüber zur Landungshalle. Einige Droschken und Kremser warten auf Fahrgäste. Halbwüchsige Knaben — offenbar portugiesischer Abkunft — bieten sich als Gepäckträger an. Sie sprechen deutsch, ebenso wie die Droschkenkutscher. Wir fragen nach einem Hotel. Man empfiehlt uns die Hotels von Müller oder Beckmann.
Im bequemen Wagen rollen wir durch sauber makadami- sierte Straßen, an deren Seiten grasbewachsene Straßengräben düs Wasser ableiten, Doch machen sich schon Anfänge von Bürgersteigen bemerkbar. Überall sehen wir einstöckige, schmucke Häuser — viele in Villenart — seltener einmal ein zweistöckiges Gebäude, fast alle von Blumengärten umgeben und von Bambusrohr, Palmen, Orangen oder Mamäobäumen beschattet. Allenthalben leuchten rote, schräge Dächer aus dichtem, üppigen: Grün. Man hat den Eindruck, als führe man durch einen kleinen deutschen Kurort. Nur die üppige Vegetation, die Palmen und die wunderbare Durchsichtigkeit der Luft beweisen uns, daß wir in subtropischem Gebiet sind. Grüne Hügel umfassen von zwei Seiten den paradiesisch schönen Ort. Das nahe Gebirge gibt in blauen, seltsamen Formen und hochragenden Zacken den malerischen Hintergrund zu diesem herrlichen Landschaftsbild.
Auf den Straßen hören wir überall deutsch sprechen. Selbst Abkömmlinge von Portugiesen, die eigentlichen Landesherren, haben von ihren deutschen Mitbürgern deren Sprache gelernt. Gar seltsam berührte es uns, als wir das in plattdeutscher Mundart geführte Zwiegespräch zwischen einem Kolonisten und einem Neger mit anhörten. Letzterer beherrschte das „Platt" so vollständig wie ein geborener Mecklenburger. Die ganze Kolonie hat ein vollkommen deutsches Gepräge. Jeder von auswärts kommende Deutsche fühlt sich hier sofort heimisch. Blonde, blauäugige Kinder spielen auf den Straßen die gleichen Spiele, die wir als Kinder spielten. Aus den offenen Fenstern schauen hinter schneeweißen Vorhängen und. Blumenstöcken hübsche, blonde Mädchen neugierig der vorbeirollenden Kutsche nach.
Joinville besitzt zwei Kirchen, eine protestantische und eine katholische. An beiden sind es deutsche Geistliche, die den Gottesdienst leiten. Auch die Freimaurerloge, die hier friedlich neben der katholischen Kirche auf ein und demselben Hügel erbaut ist, befindet sich in deutschen Händen und hat Beziehungen zu den Logen Deutschlands. In sämtlichen Schulen der Kolonie wird in deutscher Sprache unterrichtet. Darin macht auch die brasilianische Regierungsschule keine Ausnahme. Sogar bei Polizeiverhören und Stadtratssitzungen werden die Verhandlungen oft deutsch geführt, um dann erst in der Landessprache (Portugiesisch) zu Protokoll gegeben zu werden.
Die Lusobrasilianer, die in geringer Zahl in Joinville wohnen, vertragen sich mit ihren Mitbürgern, den Teutobra- silianern, sehr gut. Sie sind, mit wenigen Ausnahmen, verständige, tolerante Menschen. Es gibt neben den vielen deutschen Vereinen (Turn-, Schützen-, Gesang-, Theater-, Musikverein, Freiwillige Feuerwehr, Kegelklubs usw.) nur einen brasilianischen Verein, dem aber auch sehr viele Deutschbrasilianer angehören.
Die Kolonie mit dem Hauptstädtchen Joinville besteht seit 57 Jahren. Sie wurde vom Hamburger Kolonisationsverein gegründet, dessen Nachfolgerin, die „Hanseatische Kolonisationsgesellschaft", jetzt die Ansiedlung von deutschen Kolonisten auf der neuen Kolonie „Hansa", in den Urwäldern hinter Dona. Francisca und Vlumenau betreibt.
Obwohl dem Deutschtum in Südbrasilien von seiten des deutschen Vaterlandes, bis vor etwa zehn Jahren, selten eine Unterstützung zuteil geworden ist, hingegen seine Entwicklung durch allerhand Verdächtigungen und obrigkeitliche Hindernisse stark beeinträchtigt wurde, ist der Deutsche dennoch durch und durch deutsch geblieben und hat seinen Kindern deutsche Sprache, deutsches Fühlen und Denken, sowie den Stolz aus die deutsche Abstammung vererbt. Es kommt in der Stadt Joinville, oder noch häufiger draußen in der Kolonie, vor, daß der geborene Brasilianer, der dort durchreist, keinen Menschen findet, der ihm in der Landessprache Auskunft geben kann.
Aus all' dem über das Deutschtum Gesagten könnte man folgern, daß die Angst der Brasilianer vor der „deutschen Gefahr" doch nicht so ganz unberechtigt sei: würde einer deutschen Invasion in Südbrasilien die deutsche Bevölkerung nicht von außerordentlichem Nutzen sein?
Und doch ist eine solche Gefahr für Brasilien vollständig ausgeschlossen, denn von den Hunderttausenden von Deutschen in Südbrasilien gehören nur wenige Hunderte als Staatsangehörige Zum Deutschen Reich. Alle übrigen sind in Brasilien geborene oder hier naturalisierte brasilianische Bürger. Der Deutschbrasilianer aber hängt zwar innig an dem Land, aus dem er stammt, er feiert deutsche Nalionalfeste und hißt an solchen Tagen die deutsche Flagge neben der einheimischen, aber er ist politisch vollkommen Brasilianer geworden und würde einer fremdländischen Invasion — selbst einer deutschen — ebenso energischen und erbitterten Widerstand entgegensetzen wie der Lusobrasilianer. Abgesehen hiervon, müßte auch die unabänderlich friedliche Politik des Deutschen Reichs jede Befürchtung dieser Art zerstreuen. Deutschland will, wie in allen andern Ländern, auch in Brasilien seine Handelsbeziehungen möglichst erweitern. Und für diese ist das Vorhandensein der deutschen Bevölkerung von außerordentlichem Nutzen. Daher wird seit etwa 10 Jahren den deutschen Kolonien in Südbrasilien etwas mehr Aufmerksamkeit als früher geschenkt und das Deutschtum durch Unterstützung seiner Schulen gestärkt.
Der Deutsche in Brasilien ist brasilianischer Staatsbürger geworden, um selbst mit Hand anzulegen und einzugreifen in Politik und Verwaltung seines Adoptivvaterlandes, was ihm bei der verfassungsmäßigen Autonomie jedes Regierungsbezirks großen Einfluß gibt, besonders dort, wo die deutsche Bevölkerung in der Mehrzahl ist. Nicht aus Gesinnungsuntüchtigkeit, sondern aus Klugheit und dem Erhaltungstrieb seines Deutschtums folgend, hat er seine politische Nationalität gewechselt. Würde er starr und passiv an seiner deutschen Staatsangehörigkeit festgehalten haben, so ständen heute die deutschen Kolonien unter lusobrasilianischen Behörden und unter lusobrasilianischer Verwaltung; die Schulen wären in lusobrasilianischen Händen, und alle die Vorteile, die dem Deutschtum im Lauf der Jahre durch einflußreiche deutsch brasilianische Politiker eingeräumt wurden, beständen nicht. So predigt auch die deutschbrasilianische Presse, die in zahllosen regelmäßig erscheinenden Blättern über ganz Südbrasilien Einfluß hat, starres Festhalten am Deutschtum, aber Treue dem Adoptivvaterland Brasilien.
In Joinville erscheinen zwei deutsche Zeitungen und eine brasilianische. Alle drei, auch die brasilianische, werden in deutschen Druckereien hergestellt. Der Deutsche fühlt sich wohl in Brasilien. Seine Arbeit gilt hier mehr als in Deutschland und macht sich besser bezahlt. Die Lebensmittel sind billig, der rauhe deutsche Winter fällt weg. Neben der Arbeit bleibt auch noch Zeit für den heiteren Lebensgenuß. In den kleinen Städten der deutschen Kolonien reißen die Vereinsfestlichkeiten gemeinsame Ausflüge, Theatervorstellungen, Bälle und sportliche Vergnügungen gar nicht ab. Diesem geselligen Leben