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geschwungene Augenbrauen auf, er glättete mit Schminke die beiden etwas tief gewordenen Furchen, die von der Nase zu seinem schön geformten Mund führten, er trug, um noch schmelzender sprechen zu können, die rote Pasta auf die schwellenden Lippen auf. Nur sein eigenes Haar trug er heute wieder einmal stolz — keine blond fahle Perücke, wicks der Dichter vorschrieb — noch wirkten seine eigenen braunen Locken besser als die blondfahlen des Dichters, noch gab es Hunderte von Backfischen, die ihm flehentlich um solch eine braune Welle von seinem Zeushaupt schrieben. Der Garderobier, den er eben zur Kasse geschickt hatte, um zu erfahren, ob „viel Volk" gekommen war, ihn zu sehen, brachte ihm
die erfreuliche Nachricht, daß das Theater fast ausverkauft wäre, und setzte schmunzelnd hinzu: „Sogar Ihre Frau
Gemahlin ist da, Herr Straßmann — Ihre frühere Frau Gemahlin!"
Er ließ sich durch so etwas nicht aus der Fassung bringen, aber er lächelte gütig. Das hob seine Stimmung, das würde ihn besser spielen machen. Und er trug
zur Vorsicht noch etwas mehr rosa Schminke auf seine in letzter Zeit fahl gewordenen Wangen auf, trotzdem ihn die Kanders schon oft, oft gebeten hatte, nicht gar so jugendlich erscheinen zu wollen. Das reize die Kritik. Was ging ihn heute die Kritik an! Das Publikum war zahlreich erschienen und wollte ihn im Jugendglanz sehen, — und alle sollten seine braunen Locken bewundern, um derentwillen ihn die glatzköpfigen Kritiker angriffen!
Das Spiel hatte begonnen — zwei, drei Szenen, dann stand er auf der Bühne; ein prüfender Blick ins Publikum, wie um den Kontakt zwischen sich und diesem herzustellen, und er begann, seine Stimme klang heute melodisch, seine Aktionen waren jugendlicher, sein Feuer, sein langentbehrtes Feuer brach wieder los und riß die Galerien fort. Nach Schluß des Aktes mußte er sich wiederholt an der Rampe verneigen. Dabei flog sein Blick glücklich und suchend durch die Reihen — Wo saß Paula? Nun sah er sie, oh, seine Falkenaugen sahen sie trotz ihres Verstecks, und auch zu ihr hin verneigte er sich tief und gütig — sie mußte es merken, denn selbst die Umsitzenden fühlten, wie er immer seine schmelzendsten Blicke nach ihr warf. Ja, er mußte ihr unter den Tausenden, vor den Tausenden Dank sagen, daß sie auch erschienen war. Auch sie hatte teil an seinem Erfolg, teil an seinem Dank, denn auch sie gehörte zu seinem Publikum, zu seinen Verehrerinnen.
Mit hochgeröteten Wangen, verlegen und doch glücklich, saß sie da — noch war er ein großer Künstler, noch war er ein schöner Mann — noch liebte er sie vielleicht. Die
Tränen der Rührung stiegen der kleinen Frau in die Augen, hier brauchte sie sich deren nicht zu schämen, — hier ließen sich so viele Mädchen und Frauen ja von Straßmanns Kunst zu Tränen rühren.
Der Applaus wuchs von Akt zu Akt. Wie berauscht ging Paula vom Theater nach Haus — noch viel einsamer als sonst erschien ihr ihr Heim — furchtbar leer und einsam. Er hatte sie erkannt, er hatte sie gegrüßt, und was seit zwei Jahren in ihr geschlummert hatte, wurde wach, und was seit Zwei Jahren in ihr wach war, schlummerte ein. Der große, liebe Künstler Straßmann stand wieder vor ihr. „Ihr Künstler", den sie vor Jahren als junge Baronesse bewundert hatte, „ihr Künstler", mit dem sie sich verlobt, der ihr in Hunderten von Briefen erzählt hatte, daß er diese und jene Rolle nur für sie gespielt, daß er dabei nur an sie gedacht habe. „Ihr Künstler". Und aus der tiefsten Schublade der Kommode holte sie seine Bräutigamsbriefe und erwärmte sich an der Glut seiner Sprache, die er den Dichtern der Romane entlehnte, und am Flug seiner Gedanken, den er seinen Monologen entnahm. — Dann hatte er sie geheiratet.
Und sie holte auch aus der Vorborgenheit das große Album hervor, in dem an 100 Photographien des großen Künstlers gesammelt waren. Francois Straßmann als Romeo,
als Wallenstein, als Orest, als Tell, immer als Held, immer als Liebhaber!
Am nächsten Morgen stürzte sich Paula mit fiebernder Aufregung auf die Morgenblütter. Diesmal müßte doch die Kritik seine Leistungen unumschränkt anerkennen, dachte sie.
Hastig las sie ein Blatt nach dem andern. Gelobt wurde er in keinem, im Gegenteil, sie waren meist ablehnend: „Herr Straßmann fängt an, sein Spiel für die Galerie einzurichten . . . er flötet mehr, denn er spricht ... er markiert ein unmögliches Feuer und will u tout pAx möglichst jugendlich sein und erscheinen, das tut, da sich sein Alter nicht verdecken läßt, der Illusion erheblich Eintrag", und so fort.
Empört warf Paula die Zeitung weg. „Ihr Künstler" spielte für die Galerie! „Ihr Künstler" sollte für derlei Rollen zu alt sein? Hatte er jemals frischer, jugendlicher, liebenswürdiger ausgesehen, hatte er je künstlerischer gespielt als gestern? Man tat ihm unrecht. Das Publikum hatte ihm Zugejubelt, Tausende waren von seinen Leistungen hingerissen, und einer, einer, dem er zufällig nicht gefiel, machte dann in der Presse die öffentliche Meinung und beschimpfte den Liebling des Publikums!
Sie war so erregt, daß sie nicht wußte, was sie tat, sie nahm aus ihrer Schreibmappe ein Briefpapier und warf folgende Zeilen darauf:
„Franeois, wenn sich auch unsere Wege getrennt haben, so kann ich doch nicht sehen, wie Dir von seiten der Kritik unrecht geschieht. Ich war gestern im Theater und habe Dich bewundert, Du bist noch immer derselbe Künstler, derselbe Held! Paula."
Als der große Straßmann dieses Lebenszeichen von seiner kleinen Frau bekam, lächelte er zuerst fein und gütig, dann aber sprang er von seinem Schreibtischstuhl auf und durchquerte erregt sein Arbeitszimmer.
Die Gunst des Publikums hatte er noch, die Gunst der Kritik hatte er längst verscherzt, die Gunst seiner ehemaligen Frau war ihm geblieben, ihre naive Anbetung. Ja, er wußte, was ihm seit dem Tage seiner Trennung von ihr fehlte, was ihn irregemacht, was ihn schlecht spielen ließ, was ihm Größe, Pathos, Berechnung und alles nahm — ihre Wärme, ihre ideale Naivität fehlten ihm, ihr Glaube an seine Größe, ihre Herzenswärme, ihre Hausbackenheit.
Sie war das Publikum, unr das er jahrelang gegirrt, sie war das Publikum, das ihn verzogen, verhätschelt hatte, sie war die Frau, die auch in den vier Wänden eines trauten Heims alles Wirkliche, Harte, Kalte von ihm abhielt, die mit ihrem Lob alle Stimmen des Tadels übertönte; Paula war das Publikum, das vor dem Künstler in ihm immer in scheuer Distanz stand.
Die Kanders war die Kritik, war die Kollegin, war die Berechnende, die Unnaive. Paula hatten ihm die adligen Verwandten wieder durch ihre Reden abgehetzt, aber dennoch hing sie an ihm, glaubte an ihn heute wie damals als kleiner Backfisch, als Baronesse!
Die Kritik, die Wirklichkeit, die Wahrheit, — vielleicht die Kunst wandten sich von ihm ab, sie aber blieb ihm, ja sie mußte ihm bleiben, denn er brauchte immer jenes begeisterungsfähige Publikum um sich, um Künstler zu sein, um weiter als großer Straßmann leben zu können.
Und so kam es, daß nach wenigen Stunden der große Straßmann, die Gardenie im Knopfloch, die braunen Locken fast schlicht und feierlich zurückgestrichen, vor der Wohnungstür der kleinen Frau Paula stand.
„Kannst du mir verzeihen, Paula?" flehte er in seinem schönsten, einschmeichelndsten Ton. „Ich brauche dich ja so, ich brauche dich ja so!"
Eine Pause, dann begann er in schneller, deutlicher Sprache von seiner Kunst zu reden, und erst da war er wieder „ihr Künstler", gegen den sie sich nicht sträuben konnte.
„Wir wollen uns zum zweitenmal heiraten", sagte er groß. „Es soll ein Fest werden, größer, feierlicher als unsere erste