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Ein weiterer wichtiger Umstand, der Zum Niedergang der alten Trachten wesentlich beitrug, ist der schwindende Wohlstand der Gebirgsbevölkerung. Die bäuerliche Tracht, besonders die sonn- und festtägliche, ist bedeutend kostspieliger als die „neumodische" Kleidung. Allerdings hält erstere auch dreimal so lange, aber dies bedenkt der Bauer nicht, für ihn kommt nur die augenblickliche Geldauslage in Betracht. Daher wird das alte Sonntagsgewand, wenn es schadhaft geworden, selten mehr erseht, sondern an Werktagen stückweise aufgebraucht.
Mit diesem Sinken des Wohlstandes zusammenhängend und so indirekt das Schwinden der Volkstrachten mitverschuldend ist der Zug vieler Gebirgsbewohner beiderlei Geschlechts vom Dorf in die Stadt, um dort Verdienst und Unterkunft zu suchen. Die „weichenden" Geschwister, die sonst auf dem Hof als Knechte und Mägde blieben, verdingen sich auf kürzere oder längere Zeit als Dienstboten in die Stadt, teils, weil sie der Hof nicht mehr ernährt, teils wohl auch, weil ihnen das freiere Leben an einem Ort, wo sie weniger beaufsichtigt sind, besser behagt. Dort legen die Ausgewanderten fast ausnahmslos die bäuerliche Gewandung ab und ziehen die städtische an. Kehren sie, nachdem sie sich hie und da als Hausknechte oder als Dienstmägde einiges Geld erspart haben, ins Heimatdorf zurück, so behalten sie die städtische Tracht meist bei und verleiten noch andere, sich auch städtisch zu kleiden, weil es schöner und bequemer sei. Von bedeutendem Einfluß auf das Aufgeben der männlichen Tracht sind die Militärjahre und das Garnisonleben der Burschen, besonders seit die allgemeine Wehrpflicht eingeführt ist. Wer einmal den Soldatenrock getragen hat, kehrt nur selten mehr zur bäuerlichen Tracht zurück.
Hierzu kommt noch vornehmlich in der Nähe der Städte das immer mehr sich steigernde Luxusbedürfnis der bäuerlichen Bevölkerung, in erster Linie beim weiblichen Geschlecht. Vorschub leistet diesem der schwunghaft betriebene Hausierhandel. Der böhmische Hausierer wie der kluge Grödener steigt mit seiner schweren Kraxe bis zu den höchstgelegenen Einödhöfen hinauf, kramt dort seine Kurz- und Schnittwaren aus und schwatzt der Bäuerin und den Dirnen seine grell in die Augen fallende spottbillige Schundware auf. Das Beispiel verlockt, und bald trägt auch die Nachbarin den gleichen, wie sie glaubt, schönen Putz, und mit jedem neuen Stück geht ein Stück alter Nationaltracht und mit ihr ein Stück bäuerlichen Standesbewußtseins unter.
Endlich hat auch zweifellos der „Fremdenverkehr", das früher ungewohnte Zuströmen der Sommerfrischler und Touristen aus aller Herren Ländern bis in die innersten Talwinkel, auf den Niedergang der Volkstracht, und zwar mehr als man glauben möchte, eingewirkt. Er erzeugte eine große Menge von neuen Verkaufsstätten und bereicherte das Lager der bereits vorhandenen Krümerläden mit allen möglichen touristischen Bedarfsgegenständen, aber auch mit Trachtenstoffen, sogar vollständigen Anzügen, die, aus der Stadt bezogen, die Taltracht teilweise umgeformt geben und überdies theatralisch aufgeputzt werden, um die „Fremden" mehr anzulocken. Ist es ja in den unzähligen Sommerfrischen und Badeorten Tirols und Kärntens eine bekannte Erscheinung, daß männliche und weibliche Kurgäste sich in der Taltracht gefallen und darin herumspazieren. Überhaupt ist das Tragen von Bauerntracht unter der städtischen Bevölkerung, besonders in der männlichen, wenn sie zur Sommerszeit in die Berge zieht, stark in die Mode gekommen, wozu der Aufschwung, den die Hochtouristik genommen hat, viel beiträgt. Nichts aber verleidet dem Bauern die Freude an seiner gewohnten Tracht mehr, als wenn er sie am Leib des Städters sieht.
Will man nun alle Momente, die das Schwinden der Nationaltrachten verursachten, in ein Wort kurz zusammenfassen, so kann man sagen: die in die Alpentäler eingedrungene Kultur der Neuzeit hat es bewirkt. Damit ist aber auch schon die Antwort auf die Frage gegeben, ob die Versuche, die man unternimmt, den Untergang der alten Trachten
aufzuhalten und ihre Neubelebung anzustreben, einen Erfolg versprechen. Ich halte es für undenkbar; denn man müßte den fortschrittlichen Errungenschaften vor den Toreil der Alpenwelt Halt gebieten, die bereits eingedrungene Kultur wieder rückgängig machen, die reichen Verkehrsmittel zerstören, die Fabriken sperren. . . Und dann? Nun, dann würden sich die verhältnismäßig wenigen noch erhaltenen Trachten in ihren Hauptformen vielleicht noch ein Halbjahrhundert länger erhalten, aber schließlich doch untergehen, beziehungsweise sich in andere umwandeln.
Sollen also diese so löblichen Versuche zur Wiederbelebung der alten Trachten aufgegeben werden? Mit rächten. Nur muß man nicht von einer allgemeinen Einführung der Gebirgs- trachten träumen, sondern sich mit dem Erreichbaren begnügen. Ehe dieses erreichbare Ziel angegeben wird, scheint es, wenn nur halbwegs Klarheit in diese Wiederbelebungsversuche kommen soll, vorerst dringend geboten, auf ein paar Punkte aufmerksam zu machen, die von der Mehrzahl derjenigen, die sich für die Erhaltung der alpinen Volkstracht interessieren, nicht oder zu wenig berücksichtigt werden.
Bor allem muß bei der Tracht des Gebirgsbauern zwischen „Werktagg'wand", Sonntagg'wand" und„Festtagg'wand" unterschieden werden. Das „Werchtigg'wand" ist als Tracht schon längst untergegangen und leider nur beim männlichen Geschlecht durch eine für die ländlichen Verrichtungen zweckmäßigere ersetzt worden. Sie wieder erwecken wollen, würde einen Rückschritt bedeuten, da die alte Tracht, besonders beim weiblichen Geschlecht, vielfach unpraktisch und gesundheitsschädlich war.
Die gegenwärtige Bewegung, die unleugbar mehr vom Schönheitssinn als von Zweckmäßigkeitsrücksichten sich leiten läßt, hat auch hinsichtlich beider Geschlechter nicht diese im Auge, sondern die Erhaltung, beziehungsweise Wiedereinführung der Sonntagstracht, die der Städter beim ländlichen Gottesdienst, bei Prozessionen, Schützenumzügen und ähnlichen Anlässen zu sehen gewohnt ist, und deren bunte Mannigfaltigkeit das Auge des Einheimischen und des Fremden entzückt. Ursprünglich, und beim Weibervolk noch gegenwärtig, vom Alltagskleid nur durch den besseren Stoff und angebrachten Zierat unterschieden, hat sie sich beim Männervolk später von den: Werktagsgewand emanzipiert und als „Sunntigg'wand" zur selbständigen eigentlichen „Tracht" des Älplers herausgebildet. Diese Sonntagskleidung, so unbequem ihre Form beim weiblichen Geschlecht als Arbeitskleid genannt werden muß, besaß früher jeder Bauer und jede Bäuerin, meist auch, wenngleich einfacher und schmuckloser, Knecht und Dirn. Gelänge es, diese zu erhalten, richtiger gesagt, wieder einzuführen, bliebe die Alpenwelt um einen unvergleichlichen Schmuck reicher. Aber gerade diesem „Sonntag- g'wand", dieser sogenannten Nationaltracht, droht aus den oben angeführten Ursachen der völlige Untergang. Ja, fänden sich selbst Mittel, dem Volk die Tracht zu erhalten, auf deren Stehenbleiben müßte man immer verzichten, denn — und damit komme ich Zum zweiten zu wenig berücksichtigten Punkt — auch die Gebirgstrachten sind seit Jahrhunderten in einem unmerklichen, aber steten Umwandlungsprozeß begriffen, der dem Auge des Laien nur deshalb entgeht, weil er sich bisher in langsamerem Tempo vollzog.
Wenn nun solche Umwandlungen schon zu einer Zeit stattfanden, da die Alpengegenden von den Einwirkungen des Flachlandes ziemlich abgesperrt waren, darf man sich wundern, daß der Wechsel der Tracht unter dem Einfluß der Tagesmode sich rascher und einschneidender abspielt, nachdem das moderne Leben von Tag zu Tag mehr in alle Täler dringt?
Fast unberührt von derartiger Metamorphose blieb nur die alte männliche und weibliche „Festtracht", das sogenannte „Feiertiggüvand". Es wird als sehr kostspieliges Familienerbstück sorgsam aufbewahrt und nur bei ganz feierlichen Gelegenheiten, also an den höchsten kirchlichen und häuslichen Festzeiten, wie zum Beispiel um Weihnachten, Ostern und Pfingsten, bei der Fronleichnamprozession, zur Hochzeit, aus der Lade genommen und angezogen. Diese äußerst kostspieligen