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geradezu ein Wunder gewesen, wenn er in der neuen Stellung all' seine historisch gewachsenen Anschauungen mit einem Male umgekrempelt hätte. Was eine Jägertruppe im Ernstfall zu leisten hatte, wußte er wohl. Pfadfinder mußten die Kerls sein und Patrouillenführer, was aber seiner Ansicht nach kein Hinderungsgrund war, stramm die Beine Zu schmeißen beim Exerzieren, mit der Präzision einer Maschine einzuschwenken, wem: das Kommando gefallen war. Mit einem Wort, altpreußischer Drill und altpreußische Strammheit nach dem alten Diktum: „An dem Parademarsch seiner Kerls erkennt man den Kompagniechef!" Danach aber kam alles übrige von selbst, aber Strammheit war die Grundlage, ein deutlicher Beweis dafür, daß der Führer feine Truppe auch wirklich in der Hand hatte. Und nach glaubwürdigen Berichten aus andern Jägergarnisonen, die er bereits mit seiner Anwesenheit beglückt hatte, konnte der neue hohe Herr beim Ausbleiben dieses Beweises recht unangenehm werden, den betroffenen Bataillonskommandeuren und Kompagniechefs ziemlich deutlich mit Regenschirm und Zylinder winken.
Nach dem Eintreffen des ersten vertraulichen Berichts über diese Lage der Dinge aber hatte ein wildes Exerzieren begonnen, ein Drillen und Schinden vor: Morgen bis Abend, um der in einem andern Geist von alters her erzogenen Truppe in ein paar kurzen Wochen die gewünschte Strammheit einzublüuen. Nur er, Henner, hatte nicht mitgetan, hatte den Dienst betrieben wie sonst, denn er kannte die Grünröcke, die sich scheinbar so geduldig unter „Gewehr über" wie dumme Rekruten exerzieren ließen, jedes Kommando prompt ausführten, und nur der Kundige merkte, daß sie's zehnmal besser machen konnten, wenn sie nur wollten, diese breitbeinigen und dickköpfigen Ostpreußen, deren Nationalcharakter die sogenannte „Dreibastigkeit" bildete, ein schwer übersetzbares Wort, das man ungefähr mit Selbstbewußtsein, gepaart mit kritischer Ruhe, umschreiben konnte. Was den Grünröcken nicht als notwendig einleuchtete, war nicht in sie hineinzubringen, mit Gewalt am allerwenigsten. In: Schießen ein Wetteifer zwischen den einzelnen Kompagnien, der an Eifersucht grenzte, im Felddienst eine Schneid und eine draufgängerische Beweglichkeit, die im Manöver den Neid aller Jnfanteriekapitäne erregte — aber exakte Griffe und eleganter Parademarsch? Das wäre ja gegen alle
grüne Überlieferung gegangen, direkt gegen die Jägerehre, und das war vielleicht für die „Schaschken"*) gut, die ja auch keinen „Dachs" trugen, sondern einen Tornister, ein Gewehr führten statt der „Büchse", und die vielleicht dazu taugten, als Kanonenfutter zu dienen, aber nimmermehr im Ernstfall höhere Aufgaben zu lösen; mit „Marsch, marsch, Hurra!" wie eine brüllende Ochsenherde einen Berg hinaufzurennen, aber niemals mit angespannten Sinnen im Dunkeln zu pirschen, zu spähen und zu kundschaften, um mit der unter tausend Listen gewonnenen Einsicht wie im Jahr Siebzig ganze Schlachten gewinnen zu helfen. Also mochte in diesen heißen Julitagen, die der Besichtigung vorausgingen, der Kommandeur sich heiser schreien: „Vordermann, Vordermann!" . . . Das in Kolonne nach der Mitte stehende Bataillon rückte zwar hin und her, aber die ganz strenge Garderichtung war trotz allen Schreiens nicht hineinzubringen. Oder „Beine
hoch, Fußspitzen 'runter!" ... die dreibastigen Husnersöhne und gelernten Jäger — eine bei aller scheinbaren Bereitwilligkeit ganz besonders schwer traitable Gesellschaft — latschten genau so pomadig daher wie zu der Zeit, als noch der Parademarsch gewissermaßen wie ein notwendiges Übel behandelt wurde. Die Hauptleute wetterten und fluchten, der Kommandeur verschwor sich in jeder Stunde wohl ein dutzend- mal, wenn er wieder aus die Welt käme, lieber Schweinehirt Zu werden als Anführer einer solchen widerborstigen Horde, in den dicken Notizbüchern der Feldwebel standen schon Hunderte von Arresttagen — der Parademarsch wurde drum
*) Soldaten der Provmzialinfanlerie.
nicht ein Haar besser, und wenn der Kommandeur an den Tag der Besichtigung dachte, trat ihm der Angstschweiß aus allen Poren.
Henner hätte ihm gar leicht helfen können, brauchte nur seinem behäbigen „Wodan", den er beim Exerzieren ritt, die Sporen einzusetzen. „Herr Oberstleutnant werden gütigst verzeihen, aber es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, dem drohenden Mißerfolg zu begegnen: wenn Sie vielleicht die
Gewogenheit haben wollten, der .widerborstigen Bande^ da unten zu erklären, um was es sich eigentlich handelt?! Die grünen Jungens da unten sind leidlich intelligente Menschen, würden Sie schon nach ein paar Worten begreifen!" . . . Aber erstens ging das nicht, denn der Untergebene durfte niemals klüger sein als der Vorgesetzte — mindestens drei Tage „Helgoland" Hütten auf einem so unerhörten Unterfangen gestanden — und zweitens, was ging es ihn denn an, wie das Bataillon bei der Besichtigung abschnitt? — Was die Rothaarige in Ouessendorf dachte, war ihm viel, viel wichtiger . . . Bis ihn:, sozusagen, der Knopf aufgegangen, bis ihm unter dem eiskalten Wassersturz der Einfall gekommen war: weshalb sollst du diese gute Idee nicht für dich allein ausführen? . . . Weshalb hängen denn deine Kerls an dir, daß du nur den Finger zu heben brauchst, um mit ihnen, wenn's nottut, den Teufel auf dem blanken Eis zu Hetzen? Weil du ihnen hinter dem gestrengen Vorgesetzten zuweilen mal den teilnehmenden Menschen gezeigt hast! Lauter „billige Sachen", aber sie kamen ihm von Herzen, und weshalb machten's die andern Herren Kompagniechefs nicht ebenso? Strenge Gerechtigkeit im Dienst, der täglich wiederholte Beweis, daß er sich selbst mindestens ebenso viel zumutete wie seinen Leuten, außer Dienst aber eine gewisse menschliche Teilnahme an dem Ergehen des einzelnen. Kam da zum Beispiel ein armer Haffschiffer her, bat um Urlaub zum Begräbnis seiner Mutter weit hinten in der Gegend von Pillau, man sagte: „Ja, natürlich, selbstverständlich!" der Kerl aber blieb stehen, druckste und druckste, bis man ihm endlich seine Sorgen abhörte. Der Urlaub nutzte nicht viel, wenn nicht das Reisegeld vorhanden war, und der Herr Oberleutnant möchten so gütig sein, dem Herrn Feldwebel vielleicht wegen eines kleinen Vorschusses auf die Löhnung . . . na, da griff man natürlich in den Hosensack, langte Zwei Taler heraus. „Hier, mein Sohn, fahr mit Gott und leg deiner verehrungswürdigen alten Dame einen Kranz auf den Hügel! Aber den Schnabel halten, bitt' ich mir aus, sonst kommen noch zwanzig solche Schlote her, angeblich um irgend eine Cousine zu begraben, und dazu bin ich zu arm ..." Aber der Kerl hatte natürlich nicht den Schnabel gehalten, wenn man nachmittags vor die Kompagnie trat, merkte man es, alle Kerle kuckten einen an, als wenn sie ihren Herrn Vorgesetzten vor lauter Liebe auffressen wollten . . . Oder man hatte mit der braven Bessie in Königsberg wieder einmal ein erfolgreiches Rennen geritten, kam am andern Morgen zum Dienst und sah, daß die Kerls alle schon mit Interesse die Abendzeitung gelesen hatten. Die Oberjäger gratulierten mit einer gewissen respektvollen Vertraulichkeit, die Mannschaft aber blickte stolz drein, als wenn er mit diesem Ritt die Ehre der ganzen Kompagnie gerettet hätte. Und er hob lachend den Zeigefinger. „Feldwebel Lippert, notieren Sie! Die zweite Kompagnie tritt nach Menageempfang reihenweise in der Kantine an, pro Nase ein Glas Bier, und der Kantinenwirt soll sich mit der Rechnung zu mir bemühen!" Der Jäger Demuth, unsicherer Kantonist und linker Flügelmann, warf darauf den Tschako in die Luft. „Unser Herr Oberleutnant von Sacrow soll leben, Hurra hoch!" die Kompagnie fiel brausend ein, er aber gab mit Lachen die traditionelle Antwort: „Feldwebel Lippert, dem Jäger Demuth werden drei Tage' Mittelarrest erlassen wegen unbefugten Schwatzens im Glied. Jetzt aber, meine grünen Jungens: Stillgestanden, das Gewehr — über!" . . . die Hände flogen nur so, daß einem das Herz im Leibe lachen konnte . . .