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nur auch wirklich Abmarsch gemacht hätte, denn die Antwort damals war doch genau so deutlich gewesen wie heute?! Statt dessen hatte er sich allerhand vorgeredet von einer stolzen Seele, die in diesem stolzen Körper wohnte, und die nur erst aufgeweckt werden müßte, um unter all diesem Tand und Flitterkram wie ein köstlicher Edelstein zu erstrahlen, und am nächsten Abend schon, kaum daß der vrel zu lange dauernde Dienst ein Ende hatte, war er ventre-a-terre den Weg nach Quessendorf zurückgejagt, als wenn jede Minute Verspätung ein unwiederbringlicher Verlust gewesen wäre. Auf dem Heimweg aber wiederum die gewaltsame Ernüchterung, weil sie durch irgend ein unbedachtes Wort gezeigt hatte, wie wenig sie sich der entsagungsvollen Pflichten bewußt war, die sie doch nun nral auf sich nehmen mußte, wenn sie einander für immer gehören sollten. Und, Schwerenot noch mal! rechnen mußten sie doch, konnten doch nicht leichtsinnig wie ein paar Stieglitze im Schlehenbusch an das Nestbauen gehen! Na also: Aus und Schluß! und er verschwor sich laut mit einem heftigen Fluch, niemals mehr in diesem Leben den Weg nach Quessendorf zu reiten, so daß die erschrockene Bestie sich jäh auf der Hinterhand hob, um dann, Kopf zwischen den Beinen, in rasender Pace vorwärts zu jagen. Und er ließ sie gewähren, denn dieses Dahinrasen tat ihm wohl, schürte seine zornige Stimmung. So ein Schlappjochen war er denn doch noch nicht, um für ein Weib, und mochte es noch so schön sein, alles aufs Spiel zu setzen, was bislang das Ziel und den Inhalt seines Lebens ausgemacht hatte! Kein Schlachtfeld in der brandenburg-preußischen Geschichte, auf dem nicht ein Sacrow sein Blut vergossen hätte. Ein Dutzend Generale und zwei Feldmarschälle Zählte er unter seinen Vorfahren, und da sollte er vorzeitig ins dunkele Zivil abfahren, weil die „gnädigste Komtesse", an die er sein Herz gehängt, ohne Bistersche Toiletten und Hüte von der Gerson-Prager, oder wie das Frauenzimmer sonst heißen mochte, nicht existieren konnte? Vielleicht als so ein widerwärtiger Versicherungsschnorrer herumlaufen, der bei den früheren Standesgenosten oder Bürgerlichen, die sich von der adligen Visitenkarte blenden ließen, die Klingelzüge und Treppen abnutzte, um an widerwillig genommenen Policen kümmerliche Prozente zu verdienen? So töricht war seine Liebe denn doch nicht, und warum sollte sein Ehrgeiz nicht ganz hoch hinauflangen, bis zur obersten Sprosse der Staffel? Waren die Sacrowe, die vor ihm gelebt hatten, vielleicht andere Kerle gewesen? — — —
„ . . . Verschwenderfamilie, halbe Hochstapler, und den Alten müßte man noch im Grabe prügeln, daß er so einen stolzen Besitz wie Prahlstorff, Langenheide und Bielkau vertan und vergeudet hat. Also will ich hoffen, daß das nur eine sogenannte Poussiererei ist — Flirt nennt ihr das ja wohl in eurer neumodischen Umgangssprache — denn das brave, altpreußische Blut der Sacrowe so zu verschnupfteren, das wirst Du hübsch bleiben lassen. Ich aber laß mir, bei meinem Wort, eher die rechte Hand abschlagen, ehe ich Dir zu einem so unsinnigen Beginnen helfe . . . Kriegsakademie . . . ordentlich auf die Hosen setzen ..."
Henner zerknitterte den Brief in der Hand, den er auf dem Tisch seines Wohnzimmers gefunden hatte, mit einem bitteren Auflachen. „Brauchst es mir gar nicht so deutlich zu machen, lieber Onkel!" aber das Lachen endete in einem Aufschluchzen. Irgendwo in einem versteckten Winkel hatte immer noch ein letztes Restchen von Hoffnung gesessen, vielleicht und am Ende gab es doch noch irgendwo eine Hilfe! . . . So recht eindringlich und herzlich hatte er's dem alten Onkel Jobst auf Klintzewen auseinandergesetzt, daß es hier um sein Schicksal ginge und daß die stolze und verwöhnte Alix nun mal mit anderm Maßstab zu messen wäre als sonst die jungen Mädchen, und ob er da nicht in Anbetracht der besonderen Umstände außer der Bezahlung der Schulden, die er ihm ja so wie so
in sichere Aussicht gestellt hätte, vielleicht durch Gewährung eines Zuschusses bis zur Hauptmannszeit . . . Das da war die Antwort gewesen! Na also aus, ganz aus, und keine Hoffnung mehr!
Wie lange er im Dahinbrüten gesessen haben mochte, wußte er nicht, nur es fing ihn mit einem Male zu frieren an. Die Lampe blakte, und aus den dämmerigen Winkeln des Zimmers kam allerhand Dunkles auf ihn zugekrochen, raunte an seinem Ohr: Du Narr, der du dir einbildest, Leidenschaft wäre mit Worten zu heilen! Red' doch dem Feuer gut zu, daß es aufhören soll zu brennen, und wart ab, ob es gehorchen wird. Aber beides erlischt, Feuer und Leidenschaft, wenn einer sein rotes Herzblut darüber gießt ... Er sprang auf und riß das Fenster auf, aber der Luftzug löschte das letzte glimmende Flämmchen; übelriechender Oualm füllte die Stube, benahm ihm den Atem, und ein Grauen sprang ihn an vor dem Alleinsein im Dunkeln. Er griff nach Säbel und Mütze . . . irgendwo in dem kleinen Nest mußte es doch noch Menschen geben, die nicht schliefen . . . irgendwo in einer Seitengasse eine bunte Laterne und dahinter ein Heller Raum, in dem noch ein paar trunkfeste Ackerbürger beim Schoppen saßen und politisierten oder mit der drallen Kellnerin ihre derben Scherze trieben . . . man setzte sich zu ihnen, schwatzte gleichgültiges Zeug und füllte sie nrit Sekt aus oder poussierte mit dem in Ehrfurcht und Beglücktheit ersterbenden Mädel, egal, ganz egal, nur nicht allein sein und denken. . . morgen früh aber sprach man endlich mal nrit dem Stabsarzt ein ernsthaftes Wörtlein, damit er einem etwas zum Schlafen verschrieb . . . zehn, zwölf Stunden hintereinander schlafen, ohne daß einem die Gedanken wie wahnsinnig gewordene Gespenster hinter der Stirn herumtanzten, und dann aufwachen und wieder der alte unbekümmerte Kerl von früher sein! Ein ganz neues Leben anfangen, irgendwie die Maschinerie in Schwung bringen, sei es, daß man Urlaub nahm oder sich zu einem andern Truppenteil versetzen ließ; wenn's nicht anders ging, auch zu der mit Recht so beliebten Infanterie, aber nur nicht wieder nach Ouessendorf reiten, sonst fing der alte Jammer wieder von neuem an! . . .
Als am andern Morgen das „Griffekloppen" und Parade marschüben beim Bataillon wieder losging, die alten Kerls der drei andern Kompagnien wie dumme Rekruten langsamen Schritt und Einzelmarsch „bimsen" mußten, indessen das Fluchen, Schreien und Schnupfen der Oberjüger, Leutnants und Hauptleute wie ein Ungewitter über die im grellen Sonnenbrand flimmernde Heide rollte, führte er seine Kompagnie weit abseits, ganz an den Rand des großen Exerzierplatzes, wo sich vor dein Maldeiner Stadtwald, in dem die Schießstände lagen, eure tiefe Mulde hinzog, die ihn vor unberufenen Späherblicken deckte. Dort aber gedachte er mit den dreibastigen Hufnerssöhnen, die das Gros seiner Kompagnie bildeten, ein vernünftiges, aber ernsthaftes Wörtlein zu sprechen.
Der Einfall war ihm gekommen, als sein braver Jäger Ochotnp ihm im Morgenbad die üblichen drei Eimer eiskalten Wassers über Kopf und Rücken goß, die nötig waren, um ihn nach der trostlosen Nacht für ein paar Stunden wieder zu einem klar denkenden und vernünftigen Menschen zu machen. Da hatte er mitten im eiskalten, plätschernden Wasser hell aufgelacht, den tüchtigen Ochotnp bei der Schulter gepackt und geschüttelt, daß der im ersten Augenblick wohl glauben mochte, sein Herr Oberleutnant hätte den Verstand verloren . . . „Ochotnp, treue Seele, freu dich mit, in zehn Tagen haben wir gewonnen! In zehn Tagen kommt der Inspekteur, und Parademarsch will er haben wie bei der Garde, also soll er ihn auch haben!"
Und der Gedanke war wirklich gar nicht so übel. Der neue Inspekteur war aus der Garde hervorgegangen, hatte bis zur Brigade immer nur Gardetruppen befehligt, also wär' es
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