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„Schustert sich nach unten, der gute Sacrow", hatte der Hauptmann von Kreienberg bei einer solchen Gelegenheit bemerkt und er darauf erwidert: „Besser als nach oben, Herr Hauptmann!" Na, und heute gedachte er seinen kompagnie- führenden Oberkollegen zu zeigen, was dieses „Schustern nach unten" im Ernstfall bedeuten konnte. Für einen Menschen, der in schweren Nöten nach Klarheit rang, vielleicht ein Ausweg oder gar die Rettung . . .
Die beiden jungen Dachse von Leutnants waren fortgeschickt, ein jeder mit einem besonderen Auftrag, der ihn mindestens eine halbe Stunde fernhielt, die Kompagnie stand nach dem Kommando: „Zum Kreise links und rechts schwenkt marsch! — Halt, rührt euch!" mit Gewehr bei Fuß, und nun kam die berühmte vertrauliche Ansprache, die unter den Mannschaften des Bataillons Gneisenau von Generation zu Generation überliefert wurde als ein leuchtendes Beispiel, wie ein rechter Truppenführer sich zu seiner Mannschaft zu stellen verstand, indem er sie nämlich als anständige Kerls behandelte und an ihren Ehrgeiz appellierte; die aber dem Oberleutnant von Sacrow unweigerlich den Hals gebrochen hätte, wenn der damalige „Ersah" nicht wie ein einziger Ehrenmann über das Gehörte geschwiegen Hütte . . .
„Meine Herren Chasseure," so sagte er, „bis zu meinem lieben alten Freund und Feldwebel Lippert aufwärts, was ich euch jetzt sagen werde, bleibt streng unter uns, ich lege wenigstens nicht den geringsten Wert darauf, daß ihr es unter den andern Kompagnien 'rumerzählt, der Spaß würde uns auch verdorben werden, euch und mir. Also wollt ihr den Schnabel halten, dann sagt: .Jawohl, Herr Oberleutnantll"
„Jawohl, Herr Oberleutnant", dröhnte es wie aus einer Kehle im Kreise, und die Hälse reckten sich vor.
„Na also, dann werde ich euch einen Weg zeigen, die andern Kompagnien bei der Besichtigung um etliche Längen zu schlagen. Ihr alle wißt oder ahnt es wenigstens an dem Eifer, der hier entfaltet wird, daß der neue Herr Inspekteur ganz besonderen Wert auf Griffe und Parademarsch legt. Ob er recht oder unrecht hat, darüber wollen wir mit ihm nicht streiten, es hätte auch keinen Zweck, denn er kann uns einsperren lassen, wir ihn aber nicht, also hat er auch recht! Ich kenn' euch aber, ihr seid eine heillose und gottvergessene Rackerbande, und wenn ihr nicht wollt, dann wollt ihr nicht. In diesem letzteren Fall würde ich euch genau so bimsen, wie die andern Kompagnien gebimst werden, und natürlich im entscheidenden Moment genau so reinschliddern wie ... na, wie eben andere Leute!"
Aus dem Kreise der Kompagnie kam ein halblautes Murmeln, er strich sich mit einem kurzen Auflachen den blonden Schnurrbart, der wie ein Heller Schein in dem sonnengebräunten Gesicht stand. „So, nicht, und ihr hättet auch so—? Schade, daß ihr mir das nicht früher gesagt habt! Aber doppelt hält besser, und da ich weiß, daß ihr, wenn ihr nämlich nur wollt, einen Parademarsch hinlegen könnt wie nur irgend eine Gardekompagnie, also da wollt ich's euch freundlich nahegelegt haben, im entscheidenden Moment eure geehrten Knochen zu gebrauchen. Wollt ihr das?"
„Zu Befehl, Herr Oberleutnant!"
„Na schön, dann werden wir die Kompagnieschule, die mit Recht so beliebte, an jedem Tag nur einmal durchmachen, hauptsächlich, daß ich wieder ein bißchen in die Contenance komme, und basta! Aber noch einmal: Schnabel halten ist die Parole! Verstanden?"
„Zu Befehl, Herr Oberleutnant!"
„Na denn also! . . . Ganzes Bataillon kehrt! Links und rechts schwenkt — marsch! Halt! Front . . . richt' euch! Kobbilinski, nehmen Sie gefälligst den Bauch zurück, so, die andern nachgeben . . . folgen, folgen . . . Kinder, das muß noch viel fixer gehen, genau wie bei der Garde, wo die Rekruten bekanntlich schon mit einem Lineal im Leib auf die Welt kommen . . . also noch einmal! Der Flügelmann — schlafen Sie nicht, Herr Schneidereit — halb rechts um, die
Front nach der Daschkepschen Scheune und jetzt noch einmal" —- er erhob seine Stimme, so daß das Kommando wie ein schmetternder Trompetenton klang — „Nicht' euch!"
Wie ein Heer von Ameisen krabbelten die Kerle durcheinander; als er beim Einrücken des linken Flügelmannes den hocherhobenen Degen senkte, waren seit Abgabe des Kommandos kaum ein paar Augenblicke vergangen, die Kompagnie aber stand wie an einer Leine gerichtet. Er ritt an den rechten Flügel, musterte kritischen Auges die Richtung, und als er nichts zu tadeln fand, sagte er: „Scharmant, scharmant, und ich sehe, daß wir uns verstanden haben! . . . Griffe: Das Gewehr — über, gut! Achtung — präsentiert das Gewehr! . . . Ausgezeichnet! Aber kriegt, bitte, nicht den Größenwahn und bildet euch nicht etwa ein, wir wären jetzt schon würdig genug, vielleicht den befreundeten Bürgermeister von Pillkallen als Ehrenkompagnie auf dem Bahnhof zu empfangen . . . noch lange nicht. . . Das Gewehr über! Gewehr ab! . . . Rührt' euch!"
Zu dem Parademarsch in Zugkolonne ließ er den Feldwebel Lippert neben sich treten, einen alten Knasterbart und Heideläufer, der schon im zwölften Jahr diente. Als der dritte Zug genau wie die beiden andern mit prachtvollem Beinwurf und in schnurgerader Linie vorbeigekommen war, beugte er sich aus dem Sattel. „Na, Lippert, und was meinen Sie, werden wir übermorgen in acht Tagen das Rennen machen?"
Der alte Feldwebel, der im nahen Besitz des Forstversorgungsscheines den Gamaschendienst sonst schon mit einer gewissen „Wurschtigkeit" behandelte, riß die Hacken zusammen wie ein junger Rekrut. „Ach Gott, Herr Oberleutnant, so lang' es Gneisenaujäger gibt, hat die Welt einen solchen Parademarsch wohl nicht gesehen. Und ich sag' immer, es steckt alles in den Kerls drin, man muß nur verstehen, es 'rauszuholen! Aber so egalweg mit -Saubande', .Himmel- Hunde verfluchte' usw., da ist's nicht geschafft. Wir haben doch einen ganz anständigen Ersatz, und wenn die Herren vor der Front manchmal daran denken würden, was sie alles in der Front mit solchen ehrenrührigen Titulaturen für alle Zeiten verderben ... na ist gut, und der Herr Oberleutnant werden verzeihen, ich will natürlich nichts gesagt haben!" Henner aber nickte gedankenvoll. „Sie haben leider Gottes ganz recht, Lippert; und was Sie da eben ausgesprochen haben, Hab' ich schon manch liebes Mal gedacht. Sie kennen mich, für den Glacehandschuh im Dienst bin ich auch nicht, einen nichtsnutzigen Drückeberger muß man mal -Sauhund' titulieren dürfen, sonst würd' einem die Galle überlaufen, und Engel sind wir alle nicht. Nur das Auge muß man dafür haben, ob einer will oder nicht, und niemals verallgemeinern, außer Montag früh, wo man der ganzen Gesellschaft erst den Alkohol durch die Haut jagen muß, ehe sie wieder Soldat wird ... na, aber und Schluß, wir hätten's hier in der Hand, manches besser zu Inachen, und ich meine zuweilen, wir könnten in gewissem Sinn auch Politik treiben: vielleicht, daß ein paar Hunderttausende weniger zu der roten Fahne schwören würden, wenn sie unter der schwarzweißen ein bißchen besser behandelt worden wären . . . aber natürlich, ich will auch nichts gesagt haben, Feldwebel Lippert!"
„Befehl, Herr Oberleutnant!"
Als die beiden Leutnants nach Erfüllung ihres Auftrags —- der eine hatte von dem „einsamen Wacholderbusch" die Entfernung bis zur Kreischaussee abschreiten müssen, während der andere mit dem Befehl beehrt worden war, nachzusehen, ob die über den sogenannten Torfgraben führende Brücke in Ordnung wäre —- zu der Truppe zurückkehrten, sahen sie, wie ihr Oberkollege und Kompagnieführer sich wieder einmal „nach unten schusterte", nämlich dem Feldwebel Lippert vom Gaul herab — „im Dienst" — die Hand schüttelte. Da grienten sie beide, denn in dem durch Bataillonsbefehl angesetzten Einzelexerzieren, das nun folgte, hatten sie reichlich Gelegenheit zu