Heft 
(1906) 43
Seite
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eine

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konnte man in den litauischen Forsten, über die eine der lebhaftesten Zugstraßen aller Zugvögel führt, an stillen Abenden mehr als hundert Schuß fallenhören. Jetzt ist es ein Ereignis, wenn von den vielen > Grünröcken einer Schnepfe ziehen sieht oder gar erlegt.

Die Ur­sachen die­ser betrü­benden Erschei­nung sind die höchst unmensch­lichen Schläch­tereien, die ge­gen die Zug- Reineke. Vögel in den

Balkanländern

und in Italien verübt werden. An der Vernichtung der Wald­schnepfe sind nicht so sehr die Eingeborenen beteiligt wie die schießwütigen Jäger, die aus aller Herren Ländern dort zusammen­strömen, um unter den von langem Flug ermatteten Vögeln ein Blutbad anzurichten. Geradezu greuliche Zustände haben sich in Griechenland entwickelt. Dort erscheinen regelmäßig im Frühjahr und Herbst Gesellschaften von Engländern mit guten Vorstehhunden und vorzüglichen Flinten. Jeder dieser Schießer läßt sich durch einen Diener mehrere Gewehre nachtragen, um das heiß gewordene Gewehr gegen ein anderes vertauschen zu können. Als ein Weidwerk kann man diesen Schießbetrieb nicht ansprechen, denn die matten Vögel stehen erst dicht vor dem Hund auf und ziehen so langsam fort, daß keine Kunst dazu gehört, Hunderte an einem Tag zu erlegen.

Trotzdem nun die Ursachen der Verminderung klar zu­tage liegen, haben die deutschen Jäger sich die Frage vor­gelegt, ob sie nicht, wenn auch nur in kleinem Umfang, dazu beitragen. Nach eingehenden Beobachtungen ist die

Frage zu bejahen, denn man hat festgestellt, daß im Frühjahr nicht nur Männchen, sondern auch Weibchenquarrend und püitzend", wie man die eigenartigen Balzlaute nennt, umher­ziehen. Es liegt also zum mindesten die Möglichkeit vor, daß Weibchen, die sich bereits zum Nisten anschicken, womöglich schon ein Ei im Nest haben, erlegt werden.

Allein um dieser Möglichkeit willen hat sich in deut­schen Jägerkreisen der Entschluß durchgerungen, auf das Schießen der Schnepfe während des Frühjahrs zu verzichten. Schon wird von den berufenen Führern des Weidwerks das Wortunweidmännisch" auf diese Jagdart angewendet, und dann dauert's erfahrungsgemäß nicht mehr lange, bis diese ungeschriebene Bestimmung genau so befolgt wird wie das Gesetz. Sie ist vielleicht leichter durchzudrücken als andere, weil sie sich vor allem an die Berufsjäger wendet, denn von den Weidmännern, die nur im Herbst eine Schrotspritze auf den Feldern spazieren tragen, hat die Schnepfe schon lange nichts zu befürchten!

Welch ein Verzicht den braven Grünröcken zugemutet ist, kann nur der ermessen, der selbst in der Dämmerstunde des herben Vorfrühlingstages das sanfte Hinübergleiten des in frisch erwachter Lust jubilierenden Lebens in die stille dunkle Nacht mit empfunden hat. Das Licht ist dem Vogel alles; nur im Licht kann der kleine Sänger seine Flügel regen.

Die Nacht ist sein Feind. Sie bringt die Külte und die Dunkelheit, unter deren Schutz der Marder heranschleicht oder die Eule heranschwebt. Deshalb klingt die letzte Strophe der Amsel am Abend so klagend und traurig, deshalb begrüßen alle Vögel den ersten Lichtstrahl mit Tönen, aus denen man das Jubilieren ihrer Seele deutlich heraushören kann. Und nun soll der Jäger gerade diese Jagdart aufgeben, die ihm Stunden des lautersten Naturgenusses gab!

Er wird es tun, denn sein Weidwerk ist längst über die Lust des Tötens emporgewachsen. Es ist ein zielbewußtes Hegen des Wildes geworden. Deshalb auch die unaus­gesetzte Verfolgung des schlauen, vielgewandten Reineke. Muß das ein sorgloser Jüngling sein, der da dicht über dein Eingang seiner Burg Malepartus im warmen Sonnenschein ein Schläfchen riskiert! Dort unten in dem finstern Kessel ist es stets kühl, da empfindet auch ein Fuchs mal das Be­dürfnis, sich von der Sonne durchwärmen zu lassen. Und trotz seiner scheinbaren Sorglosigkeit wird ihn der Jäger nicht überraschen, selbst wenn er noch so leise heranzuschleichen ver­sucht. Die großen Lauscher schlafen nicht! Beim leisesten

Geräusch wird Reineke wie ein Blitz in die Röhre fahren, kaum daß der Jäger noch die buschige Standarte ver­schwinden sieht.

Will man den Rotrock und seine Brut, die gern vor dem Bau im Sonnenschein spielt und tollt, belauern, dann muß man schon auf die Kanzel steigen. Das ist ein

luftiger Sitz, der in zehn bis zwölf Metern Höhe an einem Baum angebracht wird. Für große Jagdherren, die von der Höhe aus dem auf der Waldblöße äsenden Hirsch die Kugel antragen wollen, werden hölzerne Plattformen erbaut, zu denen

Iagdgruppe.