Heft 
(1906) 43
Seite
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Eine halbe Stunde später muß er vor dem Hasen, den er im Wald aus dem Lager stoßen und verfolgen durfte, bombenfest vorstehen und nach euren: Schlumpschuß Herrn Lampe davonsausen sehen, ohne ihm folgen zu dürfen!

Auf der Wasserjagd muß er stundenlang, halb watend, halb schwimmend, sich durch das Röhricht, das ihm die Läufe zerschneidet, arbeiten, und abends, ohne ein Glied zu rühren, Zu Füßen seines Herrn liegen, der am Waldrand aus tretend es Wild erwartet.

Man kann ohne Übertreibung sagen, daß ein gut erzogener Hühnerhund alle die Aufgaben, bei denen er vielfach seine innerste Natur verleugnen muß, nicht nur mit Freudigkeit, sondern mit vollem Verständnis des Zwecks erfüllt. Nur eine Eigenschaft ist ihm angeboren: das Vorstehen.

Manchmal mit der Nase hoch im Wind, manch­mal dicht an der Erde, revidiert er vor dem Jäger hin und her, bis er die Hühner findet.

Dann zieht er schnurstracks hinterdrein, bis das Volk im dichten Kartoffelkraut Halt macht.

Jetzt fährt er nicht etwa mit einem Satz da­zwischen, sondern er nimmt die charakteristische Stellung an, die nicht nur das Auge jedes Jägers entzückt. Sie kann durchaus nicht als Sprungbereitschaft bezeichnet werden, wie sie z. B. manche Raubtiere, die ihre Beute beschleichen, annehmen, denn der Vorsteh­hund hebt einen Vorderlauf und streckt den Körper, anstatt ihn zusammenzuziehen.

Es ist eben etwas so Eigenartiges, wie man es bei keinem andern Tier, ja selbst nicht bei einer andern Hunderasse findet.

Jedenfalls bietet dies Vorstehen, das dem Jäger Zeit läßt, auf Schußweite heranzukommen, die einzige Möglichkeit, auf das Volk Hühner, das dicht vor den: Hund herausfahrt, zwei wohlgezielte Schüsse abzugeben. Würde der Hund, ohne auf seinen Herrn zu warten, sofort einspringen, dann würde derGalgen" nicht so reich geschmückt sein, wie ihn unsere Abbildung zeigt. Wohl wäre es bequemer, die ge­schossenen Hühner im Rucksack zu bergen. Aber die Rücksicht auf die Erhaltung des Wildes als Braten verbietet es, denn die Hühner müssen erkalten. Eng zusammengepackt, erhitzen sie

sich und gehen überraschend schnell in Fäulnis über. Man muß bedenken, daß die letzten Tage des August und die ersten Tage des September, an denen die Hauptmasse der Rebhühner geschossen wird, zu den heißesten des ganzen Jahres zählen. Und überdies: der Jäger verbirgt seine Beute nicht; er trägt sie gern zur Schau . . .

Die beiden Fasanen und der Erpel, die an einem Galgen hängen, sind wohl durch einen Zufall an einem Tag erlegt worden. Wahrscheinlich hat der glückliche Schütze die Fasanen auf der Suchjagd geschossen und ist dabei an einen Wassertümpel auf dem Feld gekommen, der abends von den wilden Enten hin und wieder besucht wird. Da hat Nimrod angezogen und ist dann ohne Aufforderung in das dichte Krautwerk hinein­gesprungen. Nach einigem Stöbern hat er den Erpel hochgebracht, der es am Morgen versäumt hatte, die sichere Mitte eines großen Landsees aufzusuchen, wo alle En­ten auf dem Durchzug tagsüber zu rasten pflegen. Vielleicht ist der abgelegene Tüm­pel seine Heimat, zu der er in alter An­hänglichkeit zurückgekehrt ist, um dort sich zu dem weiten Flug nach dem Süden zu rüsten.

- Noch vor wenigen Jahrzehnten war der Fasan eine Seltenheit bei uns. Jetzt ist er eingebürgert und zu einem Standwild ge­worden, das die aufgewendeten Kosten und Mühen reichlich entgilt. Auf wohl­gepflegten Jagden werden jetzt alljährlich Hunderte der schmackhaften Vögel er­legt. Dort pflegt man sie im Winter einzufangen, um sie in sicherer Obhut brüten zu lassen. Aber viele verfliegen sich in die Nachbarschaft und siedeln sich an, wo Buschwerk ihnen Unterschlupf bietet.

Mag die Niederjagd auch keine so spannenden Momente bieten, wie das Anspringen des balzenden Auerhahns, das Beschleichen des stolzenGeweihten", des Kapitalhirsches mit hoher Enden­zahl, oder das mühselige Pirschen auf die im Hochgebirg hau­sende Gemse, so erfordert sie doch die Rüstigkeit des Körpers und Geistes, die beim Ertragen von Strapazen, beim Hand­haben des Gewehrs den echten, rechten Weidmann ausmacht.

Rebhühner am Galgen

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Max Stirner.

Zum hundertsten Geburtstag. Von vr. Anselm Ruest.

^^reimal ging während des neunzehnten Jahrhunderts über das II winzige Städtchen Baireuth das blitzende Wetterleuchten , des Genius. Im Jahre 1804 gründete nach einem unsteten Wanderleben der große Dichter Jean Paul daselbst seine Stätte, und ihm folgten die bewundernden - Männer- und sehnsüchtigen Frauenblicke fast des halben Deutschland; und wiederum in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts schuf die Kunst eines andern Unsterblichen der Muse dort einen Tempel, der bis zur heutigen Stunde die Enthusiasten aller Zonen lockt. Stiller, als es dem Leben eines Denkers geziemt, hat zwischen beiden Ereignissen die Jugend Stirners in Baireuth ihre Richtung empfangen; aber wie­wohl wenig genannt und nur der kleineren Schar von Verehrern vertraut, so dürfte doch seine geheime, unter den Tagesströmungen liegende Wirkung von nicht geringerer Bedeutung gewesen sein.

Denn Max Stirner (geboren 25. Oktober 1806 in Baireuth, gestorben 26. Juni 1856 in Berlin), dessen eigentlicher Name Kaspar Schmidt war, kann in vieler Hinsicht das unbestechliche Gewissen des neunzehnten Jahrhunderts genannt werden. Aus einer Zeit, in der das Wesen des einzelnen Menschen noch voll gewürdigt wurde, in eine Zeit voll des Massentumults, voll maschinenmäßiger Bestrebungen hineinragend, hat er das Programm des Individualismus hochgehalten, hat nicht dulden wollen, daß der einzelne seine unersetzliche Bestimmung nur als unwürdiges

Stiftchen im großen Rädergetriebe der Welt empfinden solle. Nimmt man diese seine Lebensarbeit, so verbinden ihn eigentlich unzählige Fäden gerade auch mit dem Werk seiner beiden großen Landsleute. Jean Paul war recht eigentlich der Vater der deutschen Romantik, und was war diese anders als eine Thronerhebung der freien Persönlichkeit, eine Souveränitätserklärung des eigenen Ich? Nicht bloß des großen, überragenden Menschen, nein, jedes Menschen mit eigenem Willen, selbst eigenen Launen und Kapricen nur nicht des Menschen, dessen ganzes Tun und Denken bloße Schablone zeigt, dessen Charakter nur aus Grundsätzen, statt ewiger selbstschöpferischer Entwicklung quillt. Die Romantik nahm für sich dasRecht einer reizenden Verwirrung" in Anspruch; damit hat erst sie eigentlich vollbewußt die Dichtung aus jener Theaterbeleuchtung entrückt, in der Marionetten und geschminkte Puppen für wirkliche Menschen gehalten werden und diese selbst wie durch ein einfachstes Rechen­exempel in Gut und Böse, in Tugendhelden und Lasterhelden zer­fielen. Jetzt erst sah man, was freilich das Genie zu allen Zeiten erkannt hatte, daß auch im Leben nichts so schnurgrade seine Straße wandelt, daß es ein liebevolles Vertiefen noch in die feinen Absonderlichkeiten jeder Individualität gilt und daß den Gegen­sätzen, die oft unvermittelt in einer einzigen Seele nebeneinander­wohnen, das Ohr des Lauschers entsprechen müsse. Und Richard Wagner? Auch er war ein Heroldrufer und Bannerträger der freien