Heft 
(1906) 43
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Kamilla kam unterdessen mit aufgehelltem Gesicht herein­gesegelt.Ja, dem Bubi gehlls gut, Gott sei dank! . . . Und was Gutes kriegt er heut zu essen. Ein Tauberl!"

Mag nicht Tauberl essen!" murrte der Kleine.Tauberl is zu lieb zum Essen."

Nein, nein, natürlich! Bubi kriegt Kalbfleisch", wiegelte Cillp ab.

Das hat er auch von dir!" schmollte Kamilla, als Bruno ihr in das Entreezimmer gefolgt war.Du würdest ja furcht­bar gern Vegetarianer werden, wenn man dazu nur nicht Ge­müse essen müßte." Sie pflanzte sich vor ihm auf und blickte ihn mit neugierigen, neckenden Augen an.Wie gefällt dir eigentlich meine Freundin?"

Wer?"

Wer?" äffte sie.Lisbeth Gartenberg natürlich."

Ganz gut." Er wandte sich von ihr ab und machte ein paar planlose Schritte im Zimmer herum.

Kamilla war starr vor Entrüstung über die Worte und noch mehr über den herablassenden Ton.Das werde ich dir nie ver­gessen, Bruno, daß du das gesagt hast!" versicherte sie feierlich. Auf die Lisbeth sagt er: Ganz gut. . . Wenn die sonst jemand zu Gesicht bekommt . . Rein weg sind die Leute von ihr, sag' ich dir."

Er schwieg verstockt.

Wenn sie nachmittags kommt, werd' ich's ihr sagen."

Das kann ich mir denken." Doch jetzt lag ein Lächeln um seine Lippen. Denn was immer Kamilla ihr auch sagen würde, sie mußte ja doch wissen, fühlen. . .

Als er dann fortging, fragte Kamilla in einem so eigen­tümlichen Ton:Du kommst doch am Abend wieder?" daß er sich fest vornahm, nicht zu kommen.

Dann aber stieg er doch zum zweitenmal die Treppen zur Be­hausung seines Bruders empor, denn wenn er nicht nachsah, was das Kind machte, konnte er in der Nacht nicht schlafen.

Droben stand Lisbeth Gartenberg schon zum Fortgehen fertig mit Kamilla im Entreezimmer. Ein freundliches Leuchten ihrer Augen begrüßte ihn, so daß es in ihm aufwallte. Jene neue gefürchtete Seligkeit, die erst von gestern stammte, regte sich. Doch er ließ sie nicht aufkommen.

Er wollte Lisbeth gar nicht ansehen, indessen fühlte er trotzdem, wie lieb und reizend sie aussah, ein Bild, um sich tief in die Seele zu senken.

Ernst und verschlossen begrüßte er das Mädchen, worauf leise und langsam auch aus ihren Zügen das Licht schwand und sie ihm auf seine förmliche Frage nach dem Kind mit stiller Gehaltenheit antwortete, sie habe den kleinen Bruno schon weit munterer gefunden.

Sie ging nochmals mit ihm hinein zu dem Kind, an dessen Bett Fräulein Cillp saß, mit einer kleinen Schere allerlei Bildchen aus schwarzen: Glanzpapier für ihn ausschneidend, nicht immer zur völligen Befriedigung des kleinen Auftrag­gebers, der tadelnd sagte, das Kamel sei nicht viel größer als die Gans.

Kritisch wird er auch!" sagte Kamilla lachend, mit einem Blick auf den Schwager.

Kamilla ärgerte sich ja auch sonst manchmal über Bruno, aber heute ganz besonders. Er hatte gegen Lisbeth ein Benehmen! Ein Benehmen! . . Kaum, daß er überhaupt mit ihr sprach. Na, sie wollte es ihm schon noch eintränken.

Was riecht denn hier so gut?" fragte Bruno nach einer Weile, als er mit den beiden jungen Damen an der Aus­gangstür des Entreezimmers stand, da Lisbeth Gartenberg im Begriff war, sich zu entfernen.

Das da!" sagte Kamilla, auf ein Veilchensträußchen deutend, das Lisbeth in ihren: Plüschjäckchen stecken hatte. Das riechst du also doch gern?"

Ja, Naturparfüm."

Lisbeth nahm stumm die Veilchen aus der Jacke und reichte sie ihn:.

Ich möchte Sie nicht berauben", lehnte er ab.Wer weiß, von wem Sie die haben."

Von einem Berliner Doktor mit einem großen Buckel", erteilte Kamilla lachend Auskunft.Wie die Lisbeth einmal ist, hat er deshalb bei ihr die schönsten Aussichten, und ihr Papa wird froh sein, wenn sich der Adonis nach London ver­frachtet, wo er noch einen Chirurgen hören, ja so, sehen will. Denn die Geschichte ist wirklich schon nicht mehr geheuer."

Noch immer lachend lief sie plötzlich zun: Kind hinein und ließ die beiden stehen.

Wenn es sich so verhält, dann gewiß nicht", erklärte Bruno, indem er dem jungen Mädchen die Blumen zurückgab.

Sie schüttelte leicht den Kopf, wie um zu sagen,es ist nicht so", und als er einen Schatten auf ihren: Gesicht be­merkte, zog er rasch ein paar Veilchen aus den: Sträußchen, ehe er es zurückgab, und befestigte sie in seinem Knopfloch, nachdem er noch einmal ihren süßen Duft eingesogen hatte.

Jetzt gehe ich", sagte Lisbeth nach einigen: Zaudern und gab ihn: die Hand. Er nahm sie stumm an . . . Was es mit diesen: Doktor für eine Bewandtnis habe, hätte er gern ge­fragt, doch er verbot sich's . . . Denn stand es nicht fest, daß Lisbeth Gartenberg ihm nichts, nichts werden durfte?

Nun kam Kamilla zurück, und nachdem noch einige Worte gewechselt worden waren, ging Lisbeth wirklich. So gab sie Bruno nochmals die Hand, und da blickte sie ihn mit einer so ausgesprochenen Frage an, daß Bruno sich abwenden mußte.

Von der letzten Tür aus sah sie noch einmal zurück auf ihn, der bis ins Vorzimmer mitgegangen war, ihre Blicke trafen sich, und so leise der Vorwurf in dem Blick des jungen Mädchens auch war, Bruno fühlte ihn tief.

Im letzten Augenblick hielt Kamilla die Freundin noch mit irgend einer wichtigen Mitteilung fest, und diese Minute benutzte Bruno, um, in das Zimmer zurückgekehrt, Lisbeths Veilchen in seiner Brusttasche zu bergen, bei dem Bild, das er dort trug.

Er war gerade damit fertig, als Kamilla zurückkam, munter und in gesprächiger Laune; und ohne daß er zu fragen brauchte, erfuhr er die Geschichte dieses Berliner Doktors, der nach Wien gekommen war, um an der chirurgischen Klinik eine Zeitlang Studien zu machen, und der von Raimund Gartenberg an seinen Papa empfohlen worden war.

Er ist es wahrscheinlich nicht gewohnt, daß junge Mäd­chen doppelt freundlich mit ihn: sind, weil er einen so schönen Wuchs hat", meinte Kamilla.Daß er deshalb um so mehr weg ist von der Lisbeth, das läßt sich aber begreifen. Sie ist zu lieb mit den Stiefkindern des Glücks. . . . Gerade mit solchen. . . . Man kann das leicht mißverstehen. Der Doktor Gartenberg wird wahrhaftig froh sein, wein: der Berliner nach London geht. Er brauchte sich zwar nicht zu fürchten, denn so einen dummen Streich, einen aus Mitleid zu heiraten, macht die Lisbeth doch nicht." Sie verstummte, denn draußen war die Glocke gezogen worden. Es war Besuch gekommen, und während Pauline die Dame in den Salon führte, eilte Kamilla ins Schlafzimmer, um geschwind ihrer Schönheit noch etwas nach­zuhelfen. Bruno dagegen begab sich wieder zu dem Kind hinein.

Er war jedoch so von seinen eigenen Gedanken eingenommen, daß er sich.nicht einmal mit ihm beschäftigte.

Aus Mitleid! Hatte er das verkennen können? Mitleid war's, das ihn: aus ihren lieben Augen, deren Farbe er noch nicht einmal ergründet hatte, entgegenblickte, nicht ein Zug jenen: gewaltigen gleich, der ihn zu ihr riß . . . Mitleid, wie sie es für den verwachsenen Doktor fühlte, regte sich auch für ihn, dessen dunkle Gemütsbeschaffenheit ihr wie eine Krankheit seiner Seele Vorkommen mußte. Damit siel auch das in sich zusammen, was ihn seit gestern quälte.

Kamilla hatte zufällig einmal das Richtige getroffen.

Als die junge Frau in das Kinderzimmer zurückkam, war der Schwager verschwunden, und Cilly erzählte ihr, der Herr- Doktor sei heute recht sonderbar gewesen und habe offenbar gar nicht gehört, was man mit ihn: spreche.

Den: Bubi hat er nicht einmal Adieu gesagt. . . . Wenn man nicht wüßte, wie gern er ihn hat!" . . .

Er ist halt unberechenbar!" meinte Kamilla leichthin.

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1906. Nr. 43.