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Mathilde Möhring.
Roman von Theodor Fontane.
ohrings wohnten Georgenstraße 19, dicht an der Friedrichstraße. Hauswirt war Rechnungsrat Schultze, der in der Gründerzeit mit 300 Talern spekuliert und in zwei Jahren ein Vermögen erworben hatte. Wenn er jetzt an seinem Ministerium vorüberging,' sah er immer lächelnd hinauf und sagte: „Gut'n Morgen, Exzellenz. . ." Gott, Exzellenz! Wenn Exzellenz fiel, und alle Welt wunderte sich, daß er noch nicht gefallen sei, so stand er — wie Schultze gern sagte — vi8-a-vi8 äe rien, höchstens Oberpräsident in Danzig. Da war er besser dran, er Hatte fünf Häuser, und das in der Georgenstraße war beinahe schon ein Palais, vorn kleine Balkone von Eisen mit Vergoldung. Was anscheinend fehlte, waren Keller und auch Kellerwohnungen. Statt ihrer lagen kleine Läden, ein Vorkostladen, ein Barbier-, ein Optikus- und ein Schirmladen in gleicher Höhe mit dem Straßenzug, wodurch die darüber gelegene Wirtswohnung jenen ü äsux nmiv8-Charakter so vieler neuer Häuser erhielt. War es Hochparterre oder war es eine Treppe hoch? Auf Schultzes Karte stand Georgenstraße 19 I, was jeder gelten ließ, mit Ausnahme von Möhrings, die, je nachdem diese Frage entschieden wurde, drei oder vier Treppen hoch wohnten, was neben der gesellschaftlichen auch noch eine gewisse praktische Bedeutung für sie hatte.
Möhrings waren nur zwei Personen, Mutter und Tochter. Der Vater, Buchhalter in einem kleinen Exportgeschäft, war schon sieben Jahre tot und war an einem Sonnabend gestorben, einen Tag vor Mathildens Einsegnung. Der Geistliche hatte daraufhin eine Bemerkung gemacht, die bei Mutter und Tochter noch fortlebte, ebenso das letzte Wort, das Vater Möhring an seine Tochter gerichtet hatte: „Mathilde, Halte dich propper!" Pastor Kleinschmidt, dem es erzählt wurde, war der Meinung, der Sterbende habe es moralisch gemeint; Schultzes, die auch davon gehört hatten und neben dem Geld- und Rechnungsrathochmut natürlich auch den Wirtshochmut hatten, bestritten dies aber und brachten das Wort einfach in Zusammenhang mit dem kleinen Exportgeschäft als Umschreibung des alten „Kleider machen Leute".
Damals waren Möhrings eben erst eingezogen, und Schultzes sahen den Tod des alten Möhring, der übrigens erst Mitte der Vierzig war, ungern. Als man den Sarg auf den Wagen setzte, stand der Rechnungsrat am Fenster und sagte zu seiner hinter ihm stehenden Frau: „Fatale Ge
schichte! Die Leute haben natürlich nichts, und nun war vorgestern auch noch Einsegnung. Ich will dir sagen, Emma,
wie's kommt: sie werden vermieten, und weil es 'ne Studentengegend ist, so werden sie an einen Studenten vermieten, und wenn wir dann mal spät nach Haus kommen, liegt er auf dem Flur, weil er die Treppe nicht hat finden könne::. Ich bitte dich schon heute, erschrick nicht, wenn es vorkommt, und kriege nicht deinen Aufschrei."
Die Befürchtungen Schultzes erfüllten sich und auch wieder nicht. Allerdings wurde Witwe Möhring eine Zimmervermieterin. Ihre Tochter aber hatte scharfe Augen und viel Menschenkenntnis, und so nahm sie nur Leute ins Haus, die einen soliden Eindruck machten. Selbst Schultze, der Kündigungsgedanken gehabt hatte, mußte dies nach Jahr und Tag zugeben, bei welcher Gelegenheit er nicht unterließ, den Möhrings überhaupt ein glänzendes Zeugnis auszustellen:
„Wenn ich bedenke, Buchhalter in einer Schneiderei, und die Frau kann doch auch höchstens eine Müllerstochter sein, so ist es erstaunlich. Manierlich, bescheiden, gebildet! Und das Mathildchen, sie muß nun wohl 17 Jahre sein, immer fleißig und grüßt sehr artig, ein sehr gebildetes Mädchen."
Das war nun schon wieder sechs Jahre her, und Mathildchen war jetzt eine richtige Mathilde von 23 Jahren. Das heißt, eine so ganz richtige Mathilde war sie doch nicht, dazu warst e zu hager und hatte einen etwas grisen Teint, und auch das aschblonde Haar, das sie hatte, paßte nicht recht zu einer Mathilde. Nur das Umsichtige, das Fleißige, das Praktische, das paßte zu den: Namen, den sie führte. Schultze hatte sie auch einmal ein appetitliches Mädchen genannt. Dies war richtig, wenn er sie mit den: verglich, was ihn: an Weiblichkeit am nächsten stand, enthielt aber doch ein gewisses Maß von Übertreibung. Mathilde hielt auf sich, das mit den: „propper" hatte sich ihr eingeprägt, aber sie war trotzdem nicht recht zum Anbeißen, was doch das eigentlich Appetitliche ist; sie war sauber, gut gekleidet und von energischen: Ausdruck, aber ganz ohne Reiz. Mitunter war es, als ob sie das selber wisse, und dann kan: ihr ein gewisses Mißtrauen, nicht in ihre Klugheit und Vortrefflichkeit, aber in ihren Eharme, und sie hätte dieses Gefühl vielleicht großgezogen, wenn sie sich nicht in solchen kritischen Momenten eines ihr unvergeßlichen Vorganges entsonnen hätte.
Das war in Halensee gewesen, an ihren: 17. Geburtstag, den inan mit einer verheirateten Tante draußen in: Grünen gefeiert hatte. Sie hatte sich in einiger Entfernung von der Kegelbahn aufgestellt und sah immer das Bahnbrett hinunter, um zu sehen, wie viele Kegel die Kugel nehmen würde. Da
1906. Nr. 46.
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