Heft 
(1906) 46
Seite
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das bißchen Leierkasten, das hört er nicht, und ich will dir noch mehr sagen, Mutter: der bleibt nicht bloß, der bleibt auch lange, denn sehr anstrengen wird er sich nicht, er sieht so recht aus: ,Kommst du heute nicht, so kommst du morgen? und vielleicht morgen auch noch nicht."

Hugo Großmann, der noch keinen Schlüssel hatte, war drei Minuten vor Zehn nach Hause gekommen und hatte für alles, was ihm angeboten wurde, gedankt. Er sei sehr müde und die ganze vorige Nacht unterwegs gewesen. Mutter Möhring, die sich noch einen Augenblick im Entree Zu schaffen machte, hörte noch, daß er das Streichhölzchen strich, und sah den Lichtschimmer, der gleich danach unter der Tür weg bis in das Entree fiel. Dann hörte sie, daß er sich die Stiefel mit einem raschen Ruck auszog, wie einer, der schnell ins Bett will und keine Minute später.

Der nächste Tag war so schön wie der vorige. Mohrings waren Frühaufsteher, und heute waren sie schon um Sechs aus den Federn, weil sie doch nicht wissen konnten, ob ihr Mieter nicht ein noch größererFrühauf" war.

Ich glaube nicht, daß er ein Frühauf ist, aber man kann doch nicht wissen, und in der ersten Nacht schlafen viele so unruhig." Es war wohl schon Acht, als Mathilde dies äußerte, und eine Weile später setzte sie hinzu:Du sollst sehen, Mutter, der hat einen Bärenschlaf, um den brauchst du dir die Nacht nicht um die Ohren schlagen, und von Weckeraufziehen is nun schon gar keine Rede mehr. Na, mir ist es recht, wenn erst Winter ist, schlaf' ich auch gern aus und warte lieber mit meinem Kaffee. Bloß, daß man um Acht nur die ausgesuchten Semmeln kriegt." Mit diesen Worten stand sie auf und sah nach der kleinen Pendeluhr, auf der es schon ein paar Minuten über halb Neun war.Mutter, ich werde doch wohl klopfen müssen. Ich hatte ihn so auf neun Stunden taxiert, aber nun sind es schon zehn und einhalb was meinst du?"

Versteht sich, es kann ihm ja auch etwas passiert sein."

Gewiß kann es, aber es wird wohl nicht."

Um ein Uhr trat der neue Mieter bei Möhrings ein und sagte, daß er nun zu Tisch gehen wolle. Sie brauchten sich mit seinem Zimmer nicht Zu übereilen; er würde vor Sieben nicht wieder dasein, und wenn jemand käme, möchten sie sagen: erst um Acht. Damit empfahl er sich sehr artig, und als er aus dem Hause trat, sahen ihm Mutter und Tochter vom Entreefenster aus nach.

Als sie das Fenster wieder geschlossen hatte, sagte die Mutter: Es is eigentlich ein sehr hübscher Mensch. Ich wundere mich, daß er noch so ein halber Student is. Am Ende irrst du dich doch, Thilde, er muß doch nahe an Dreißig sein."

Ja, aussehen tut er so, da hast du recht. Aber das macht der schwarze Vollbart und weil er so breit ist. Aber glaub' mir, er ist nicht über Sechsundzwanzig. Und der Voll­bart macht es auch nicht mal. Er is bloß faul und hat kein Feuer im Leibe. Das sieht denn so aus, als ob einer alt wäre, bloß weil er schläfrig is, und sentimental is er auch."

Ja, das wird er wohl", sagte die alte Möhring, aber doch so, daß man hören. konnte, sie dachte nichts beisenti­mental" und wollte bloß nicht widersprechen.

Eine Stunde später hatte Mathilde das Zimmer Zurecht­gemacht, während die Mutter sich in der Küche beschäftigte. Man war übereingekommen, sich jeder ein Setzei zu spendieren, dazu Bratkartoffeln. Als der Tisch gedeckt und zu den Brat­kartoffeln der Extrateller mit den zwei Setzeiern aufgetragen war, war auch die Tochter mit dem Zurechtmachen des Zimmers fertig, und beide setzten sich zum Essen.

Bist du Zufrieden, Thilde?" sagte die Alte und wies auf die Eier.

Ja!" sagte Thilde,ich bin zufrieden, wenn ich sehe, daß du sie beide ißt, und wenn ich sehe, daß sie dir schmecken, denn du gönnst dir nie was, und davon magerst du auch so ab. Kartoffeln is was ganz Gutes, aber viel Kräfte geben sie nicht, ich werde dich nun wieder besser verpflegen, und wenn wir ge­gessen haben, gieß ich dir eine Tasse Tee auf. Er hat nicht mal seinen Zucker verbraucht und auch nicht weggepackt, man sieht an allem, daß er ein anständiger Mensch is. Aber nun nimm und, Mutter!" Und sie legte der Alten vor und patschelte ihr die Hand.

Ja, du bist gut, Thilde . . . Wenn du nur einen guten Mann kriegst."

Ach, laß doch."

Nein, ich denke immer daran, und warum auch nicht? Wie du da vorhin vor dem Spiegel standest, von der Seite bist du doch beinah' hübsch."

Laß doch, Mutter, ich weiß schon Bescheid. Das mit dem Gemmengesicht mag ja wahr sein, und ich glaube selbst, daß es wahr is, aber ich kann doch nun mal nicht immer von der Seite stehen."

Brauchst ja auch nicht. Und dann am Ende: du hast die gute Schule gehabt und die guten Zeugnisse, und wenn Vater länger gelebt hätte, dann wärst du jetzt Lehrerin, wie du es gewollt hast. Manche sind so sehr fürs Gebildete. Wie hast du's denn bei ihm gefunden? Alles in Ordnung und anständig? Ein ganz Armer kann er nicht sein. Der Koffer is von Leder und beinah' ohne Holz und Pappe. Das haben immer bloß solche, die guter Leute Kind sin^."

Ganz recht, Mutter, das stimmt, da sind wir mal einig. Und so is es auch mit ihm. Guter Leute Kind muß er sein, auf der Kommode lagen auch die Schnupftücher und die wollenen Strümpfe, du mußt es dir nachher ansehen, alle ganz gleich gezeichnet. Auch die Strümpfe. Nicht bloß mit Wolle, alle mit rotem Zeichengarn. Er muß eine sehr ordent­liche Mutter haben oder Schwester. Denn eine andere macht es nicht so genau. Und die Stiefel auch in Ordnung, er muß aus einer guten Ledergegend sein, das sieht man an allem, und hat auch eine Juchtenbriefmappe, schön gepreßt; ich rieche Juchten so gern. Und die Bücher alle sehr gut ein­gebunden und sehen auch alle so sonntäglich aus, als ob sie nicht viel gebraucht werden. Nur sein Schiller steckt voller Lesezeichen und Eselsohren. Du glaubst gar nicht, was er da alles hineingelegt hat: Briefmarkenränder und Zwirnsfäden und abgerissene Kalenderblätter. Und dann hat er englische Bücher dastehen, das heißt übersetzte, die muß er noch gelesen haben, es sind so viele Ausrufungszeichen und Kaffeeflecke und an mancher Stelle steht -famos? oder -großartig? oder irgend so was . . . Aber nun werde ich dir den Tee aufbrühen, du hast doch noch kochend Wasser?"

Versteht sich, kochend Wasser is immer."

Und damit ging Thilde hinaus und kam nach einer Minute Zurück. Es war dasselbe Tablett und dieselbe Teekanne, daraus der Zimmerherr seinen Morgentee genossen hatte.

Es. is ein rechtes Glück, daß er Tee trinkt", sagte Thilde und goß der Mutter und dann sich selbst eine Tasse von dem neuen Aufguß ein.Kaffee, das schmeckt dann nach dem Trichter, aber vom Tee schmeckt das zweite eigentlich am besten"; und während sie das sagte, zerbrach sie zwei Zucker­stückchen in viele kleine Teile und schob das Schälchen der Mutter hin.

Nimm doch auch, Thilde."

Nein, Mutter, ich mag nicht Zucker, aber du bist für süß und nimm nur immer ein bißchen in den Mund, ich freue mich, wenn es dir schmeckt, und wenn du wieder dick und fett wirst."

Ja, ja," lachte die Alte,du meinst es gut. Aber dick und fett, Gott, Thilde, wo soll das Herkommen!"

(Fortsetzung folgt.)

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