Heft 
(1906) 46
Seite
978
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Dutzend kurze Brieflein zu schreiben, morgen früh zwei Reit­knechte in den Sattel und holla! Für Maldeinen würde eine Kollektivabsage an den Bataillonsadjutanten genügen, der kann sie ja im Parolebuch weitergeben. Also?"

Alix Prahlstorff sah mit gequälten Augen nach dem Park­rand hinüber, von dem her das Aufschluchzen an ihr Ohr- gedrungen war.

Fanny, ich bitte dich, laß mir Zeit bis morgen!"

Frau von Ouessendorpf stemmte die Fäuste auf die rund­lichen Hüften und trat ganz dicht an ihre Cousine heran.

Schön, don, und meinetwegen, um sieben Uhr früh werde ich bei dir anklopfen... sollst mir hinterher keine Vorwürfe machen dürfen, ich hätte dich in dein Zlnglück' gedrängt. Aber jetzt beantworte mir, bitte, die eine Frage: Weshalb bist du dann vorhin, trotz deiner Migräne, heruntergekommen? Und hast mit Fräulein Schmielke zum Schluß der Entrevue diesen Fackeltanz aufgeführt, von dem du doch wissen mußtest, daß er in dem Herzen ihres Bruders ganz bestimmte Hoffnungen wecken würde?"

Alix Prahlstorff war aufgestanden.

Weil . . . weil . . . mein Gott, man muß doch nicht hinter jedem Wort gleich eine eigennützige Absicht wittern!"

Na ja, und entschuldige nur, liebes Kind, aber du hast uns in dieser Hinsicht nicht gerade verwöhnt!"

Fanny!"

Na, was denn, liebe Alix? Und darf ich deinem Ge­dächtnis vielleicht ein wenig zu Hilfe kommen? Hast du vor fünf Wochen nicht aus Baden-Baden geschrieben: Sanny, ich brauche Ruhe und Einsamkeit und sehne mich nach dir'? Ich war ordentlich gerührt, bis ich mit einem- mal erkannte, worin deine Sehnsucht bestand: daß du dir nämlich nach allen auswärtigen Enttäuschungen auf den Bei­dritter Rehna von früher her gewisse Hoffnungen machtest. Also wozu da jetzt die Komödie zwischen uns beiden?" Und sie griff in die Tasche, um sich auf all' den Ärger endlich wieder eine Zigarette anzustecken. Alix Prahlstorff aber ließ die Arme schlaff hinuntersinken.

Es ist gut, Fanny, und ich verstehe! Hast ja auch recht, und ich will mich nicht verteidigen! Tage und Nächte lang müßte ich dir erzählen, wie ich in diesen letzten sechs Jahren gehetzt worden bin, wie aus der stolzen Alix Prahlstorff eine so niedrig rechnende Kreatur geworden ist. Und bis auf mein Allerinnerstes müßte ich mich ausziehen, um dir zu erklären, weshalb ich wieder schwankend geworden bin . . . ein wahnsinniges Anklammern an eine allerletzte Hoffnung, vielleicht ein Auf­flackern nur, aber wenn ich zurückdenke, Hab' ich keinen andern so lieb gehabt, wie ihn. Du hast es im Scherz heute früh geschrieben, aber es war lautere Wahrheit, ich habe in diesen acht Tagen stundenlang am Maldeiuer Weg gestanden und auf ihn gewartet, und an jedem Morgen Hab ich geweint, wenn wieder einmal die erhoffte Nachricht ausgeblieben war . . . erst als er sich fernhielt, merkte ich, wie lieb ich ihn hatte! Na, es ist gut, er ist nicht gekommen, und das vorhin war wohl nur eine Sinnestäuschung; weil ich so viel an ihn denke, bilde ich mir immer ein, er sei in der Nähe, müsse in jedem Augenblick auf mich zutreten. Also vorbei! Es geht ja auch nicht, ich kann mich nicht ändern!" . . . Sie schluchzte laut auf und barg ihr Gesicht in den Händen. Frau von Ouessendorpf aber trat zu ihr und legte, schon wieder ganz versöhnt, den Arm um ihre schlanke Gestalt.

Na ja, und ist schon gut, Lixel, beruhige dich doch nur. Er verdient's wirklich nicht, daß du um ihn auch nur eine einzige Träne weinst, er hat sich ja nicht einmal die Mühe genommen, ein paar Zeilen Zu schreiben, sondern die Absage durch seine Freundin Hartung geschickt, wahrscheinlich, nachdem er mit ihr alles Für und Wider noch einmal ganz genau durchgerechnet hat. Also dein Trennungsschmerz ist höchst einseitiger Natur. Du quälst dich in Sorgen, wie er's verwinden wird, er aber trinkt seinen geruhsamen Abendschoppen im Kreis der Kameraden unter den dicken Linden im Schützen­

hof . . . ,Na, sind Sie morgen abend auch in Ouessendorpf, Sacrow?' . . . -Nein, danke, habe abgesagt!' Und um seinerseits das Prävenire zu spielen, fügt er vielleicht noch hinzu: Hab' mich schon seit acht Tagen zurückgezogen, weil's mir ein wenig zu heiß wurde. Man konnte nämlich nie wissen, ob man nicht am Abend ganz unversehens mit 'nem Ver­lobungsring am Finger heimreiten würde' ..."

Alix Prahlstorff machte sich los und schritt zur Tür.

Gute Nacht, Fanny!"

Nanu, mein Kind, auf einmal? Und wo wir uns gerade so aimabel unterhalten?"

Verzeih, ich kann nicht mehr! ..."

Herr von Ouessendorpf kehrte mit seinem Gordonsetter von dem Rundgang durch den Park zurück und hing seinen Krück­stock über die Lehne des nächsten Stuhles.

Na, die gnädigste Komtesse schon zur Ruhe gegangen?"

Ja, und ich glaube, wir können wegen morgen abend ganz beruhigt sein."

Hm, meinst du? Ich aber fange an zu glauben, Fannutschka, daß du mit dem Brief von heute früh ... na eigentlich wundert's mich, daß es da drüben an: Parkrand nicht heute abend geknallt hat. Vielleicht Hab' ich ihn auch gestört, denn als ich den Hund anhetzte, preschte er davon. Aber an seiner Bessie Hab' ich ihn auf dem Weg erkannt, den guten Sacrow!"

Sacrow?" Und Frau Fanny blickte erschrocken zu den hohen Parkbäumen hinüber.Aber um Himmels willen, was hat das mit meinen: Brief zu tun?"

Alles!" sagte Herr von Ouessendorpf lakonisch und steckte sich seine ausgegangene Zigarre wieder an.Und ich will's versuchen, dir zu erklären. Nämlich: wann verlieren wir Männer den Verstand? Wenn wir nämlich merken, daß um die Dame unseres Herzens ein anderes Männchen balzt, und sie, die Holde, Miene macht, sich zu ihm Zu neigen. Ähnlich wie die Birkhähne . . . warst ja oft genug mit draußen auf der Balz und hast gesehen, wie die Kerle sich benehmen, wenn auf hundert Schritte Entfernung ein anderer zu schleifen anfängt."

Ja um Gottes willen, weshalb hast du all diese Weis­heiten heute früh für dich behalten, als ich dir den für Herrn von Sacrow bestimmten Brief zu lesen gab?"

Weshalb? Weil heute früh deine Idee, die Sache ü äeux ebavaux zu fahren, sehr praktisch und vernünftig war. Inzwischen aber hat sich die Situation eben gründlich geändert!"

Frau Fanny ging mit aufgeregten Schritten auf und ab. Was macht man da nur, was macht man da nur?"

Herr von Ouessendorpf gähnte herzhaft.Na, für heute mal gar nichts mehr, geliebtes Herz, denn ich bin rechtschaffen müde, und morgen wird für mich früh Tag. Es scheint trotz des klaren Himmels fast gar kein Tau gefallen zu sein- übermorgen gibt's todsicher Regen, vielleicht auch morgen abend schon, na, und da werd' ich eben von Sonnenaufgang an Roggen einfahren lassen, sogar die Kutschpferde müssen 'ran, denn jedes trockene Fuder ist bar Geld. Was aber diese Herzensangelegenheiten betrifft, die nehmen ihren Gang auch bei Regenwetter!"

Ouessendorpf, so gleichgültig kannst du sprechen, wenn es sich vielleicht um ein Menschenleben handelt?"

Ja, liebe Fanny, wenn es sich um ein so schlappes, nutzloses handelt nämlich! Weißt ja, wie ich darüber denke. Einem Kerl, der sich um ein Frauenzimmer umbringen will, dem würd' ich meinen letzten Groschen zu 'nem Strick schenken: Da, fahr' hin! Im übrigen Hab' ich dir ja meine Meinung gesagt, es ist nicht zu ängstlich. Der Herr von Sacrow lebt ja noch, und einige der .Sittenrichter', die über uns zu be­finden hätten, haben ebenfalls einige Butter auf dem Kopf! Na, Gute Nacht, Fannutschka. Wenn du allein weiter debattieren willst, Hab' ich nichts dagegen, ich für mein Teil geh' schlafen!"

Herr von Ouessendorpfsägte" schon längst in tiefen, ebenmäßigen Tönen, Frau Fanny aber, auf die sonst das