abendliche Schnarchkonzert des Gatten wohltätig einschläfernd wirkte, wälzte sich noch lange ruhelos auf ihren: Lager. Wehe, wenn der arme Kerl von Sacrow wirklich eine Verzweiflungstat beging und ihr Brief bei ihm gefunden wurde! Und das geliebte Hippopotamus war ja nicht dabeigewesen, als diese spitzfindige Frau Hartung den letzten Pfeil aus den: Köcher holte: „Danke sehr, gnädige Frau, aber Sie haben
mit den Herrschaften sicherlich wichtige Geschäfte zu besprechen, und da möchte ich nicht stören!" Also das Scherbengericht kan: unweigerlich, die Mitschuld des Bataillonsadjutanten aber, auf die der Gatte rechnete, galt keinen Pfifferling. Noch dazu, wenn er, wie es den Anschein hatte, bei diesem Fräulein Schmielke abfiel. Dann schrie er natürlich an: lautesten „Haltet den Dieb!" und wer wollte ihn: beweisen, daß er mit seiner Tante Reichner kompromittierende Verabredungen getroffen hätte? All das zerrann kein: Zufassen wie Wasser in der Hand, an ihnen allein aber blieb das Odium hängen: Ihr Ouessendorfer habt ja eigens ein großes Gartenfest veranstaltet, um den beiden Parteien Gelegenheit zu geben, sich kennenzulernen ... ah, pfui Teufel! Das aber hat dem armen Sacrow, das Leben gekostet! . . . Und Frau Fanny wälzte ein Dutzend Pläne im Kopf, um das ihrem Haus drohende Unheil abzuwenden; aber einer erschien ihr immer weniger gangbar als der andere, bis sie schließlich zu der Einsicht kam, daß ihr geliebtes Hippopotamus, das so friedlich neben ihr schnarchte, recht gehabt hatte: abwarten war das
Einzige. Abwarten bis morgen früh, was die gnädigste Komtesse beschlossen hatte! . . .
Und noch eine andere im Ouessendorfer Herrnhaus fand lange keinen Schlaf in dieser Nacht. Schon als sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufeilte, empfand sie deutlich, daß sie in diesen letzten Minuten vor ihrer Cousine Fanny eine kleine Komödie gespielt hatte. „Prahlstorff, Langenheide und Bielkau", die drei Worte hatten einen Feuerbrand in ihre Seele geschleudert, aber was hätte Fanny wohl von ihr gedacht, wenn sie aus tiefstem Schmerz plötzlich in jubelnde Freude umgeschlagen wäre? Sein „Gesicht" mußte man doch wahren, selbst vor den Allernächsten, zuweilen auch vor sich selbst, wenn man nicht das letzte Restchen von Selbstachtung verlieren wollte . . .
Die alte Wawerka strählte ihr vor dem Spiegel das rotblonde Haar, flocht es zur Nacht in zwei lange Zöpfe auf. „vuemnlm moia koelmna, geliebtes Herzchen, also haben die Karten vielleicht diesmal gelogen? Ist er nicht etwa gekommen über den weiten Weg und steht vielleicht nicht all sein Geld in dieses Haus? Und ich Hab' über ihn die Stäbe geworfen, dreimal, nichts als Hochzeit, Hochzeit, Hochzeit. Oh über meine alten Augen, daß der liebe Himmel es ihnen ver
gönnt, noch diese Freude zu schauen, mein Goldkind, inein einzigstes, in: Schleier, und die Wawerka wird ihr die Myrten flechten! Draußen in den Tagelöhnerwohnungen steht ein Stock ganz voll Blüten, und als ich vorbeiging, Hab ich gebetet: Heilige Jungfrau, hilf, daß ich sie für mein Herrenkind schneiden darf! Und die Gebenedeite hat meine Bitte erhört: es wird Hochzeit geben, Hochzeit!"
„Geh' zu Bett, Wawerka," sagte Alix und stand auf, „ich will allein schlafen gehen!"
„Wie du befiehlst, mein Seelchen, mein goldenes, und ich gehorche. Die Wawerka muß sich daran gewöhnen, daß diese roten Haare ein anderer liebkosen wird, wenn es auf den Abend geht, ein Herr, der von weither gekommen ist, ein Herr über viele, ein Schlachtschitz, ein Starost! Aber der Tag wird kommen, wo eine Alte wieder ein Grafenkind wiegen wird, und es reckt die Händchen nach ihr: -Wawerka!'"
„Geh schlafen, Alte, und beruf nicht das Glück!"
Prahlstorff, Langenheide und Bielkau. . . Alix musterte ihr Gesicht im Spiegel, als erwartete sie, daß ihr eine andere daraus entgegenschauen müßte. Prahlstorff, Langenheide und Bielkau, das bot der eine in seiner flachen Hand, der andere aber saß neben seiner Freundin und rechnete: Frau Annemarie, wie viel brauchen Sie bei knappster Sparsamkeit allmonatlich an Wirtschaftsgeld? . . . Oh, wie sie sie haßte, diese feindselige, schwarzhaarige Person!
Auf der andern Seite aber: sie brauchte nur die Hand auszustrecken, und alles war wie einst. Vorbei das häßliche Bild, das sie noch heute zuweilen in ihren Träumen schreckte. Der Vater kaum begraben, ein schwarzgekleidetes Unpersönliches, so etwas wie ein Bankdirektor vor ihr in der Halle, in der man über den: Bild des letzten Prahlstorff einen Trauerflor befestigte . . . „Gnädigste Komtesse, aber alles steht hier unter Sequester, die Siegel sind angelegt, und es wird sich Herausstellen, ob Sie hier noch irgendwie zu disponieren haben." . . . Gleich danach aber der gute Dietz Ouessendorpf: „Wein' nicht, Lixel, das Sattessen werde ich von der Räuberbande für dich schon noch herausschlagen." . . Das Sattessen . . . Und jetzt wieder durch eine Fügung des Himmels Herrin? Nicht mehr über die weiten, weiten Felder, den See, das Schloß und den Herrnhügel mit sehnsüchtigem Blick hinüberschauen: das war einmal? . . . Die Mailcoach fuhr vor wie einst, allenthalben die lustigen Gesichter zufriedener Gäste, sie aber stand als Herrin wieder auf der Freitreppe, zog lachend die Fahrhandschuhe an ... Glanz und Freude ringsum, wohin man blickte . . . golden erglänzte ihr Haar im Spiegel . . . überall Gold und keine Sorgen mehr, keinem Wunsch mehr eine Schranke, gebieten und herrschen und
glücklich sein . . . (Fortsetzung folgt.)
Die jungen Kostgänger und ihre Not.
Von Äan
ls ich noch als junger Goldschmiedgeselle wunderte und in fremden Städten arbeitete, war das, was mir am meisten fehlte, das Heim der Eltern, in dem ich zu Hause war, in den: mir jeder Winkel gehörte und in das ich zu jeder Tageszeit einkehren konnte. Draußen aber mußte ich in Winkel unterkriechen oder, mit mehreren mir, ach, so fremden Kollegen zusammen ein Zimmer bewohnen, das nur an: Abend von uns betreten werden durfte und dem jeder Komfort fehlte, von andern Dingen ganz zu schweigen. Ist es da ein Wunder, wenn junge Leute Heimweh bekommen? Würde draußen eine bessere Unterkunft ihrer harren, sie würden leichter die Fremde ertragei:. Hinaus aber müssen sie. Nur draußen können sie vorwärts kommen.
Ostwald.
Was aber wartet ihrer draußen? Finden sie dort immer ein ordentliches Heim? Leider nur selten. Wohl ist in den letzten Jahrzehnten in den Großstädten und besonders in Berlin viel geschehen, um der weiblichen Jugend ein besseres Hein: zu bieten, als sie es in einer Schlafstelle bei fremden Leuten finden kann. Zahlreiche Mädchenheime sind entstanden; und neben ihnen bieten die Arbeiterinnenheime auch jenen Mädchen manches, die wohl ein Unterkommen haben, denen aber dies Unterkommen nichts Häusliches gibt. Sonderbarerweise ist dies alles aber nur für die weibliche Jugend berechnet. Und doch ist die männliche Jugend viel mehr allerlei Gefahren ausgesetzt. Dazu handelt es sich um viel größere Massen. Die vielen jugendlichen Verbrecher, die zahlreichen in Zwangs-