1906
kegrünäet von 6kN§1 ^il 1855.
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Mathilde Möhring.
(Schluß.) Roman von Theodor Fontane.
er Arzt war über Land. Erst gegen Morgen kam er und hatte gegen Thildens Behandlung des Kranken — Brotrinde in Essigwasferaufguß, ein Mittel, das noch von der alten Möhring herrührte — nichts Erhebliches einzuwenden.
„Es hat nichts geschadet," sagte er, „und das ist immer schon viel."
Er verordnete dann eine Abkochung, und als Thilde fragte, ob ihres Mannes Krankheit was zu bedeuten habe, lächelte er ein wenig und sagte:
„Einigermaßen. Es ist eine Lungenentzündung. Vor allem Ruhe."
Thilde war eine gute Krankenpflegerin und gab Hugo die Medizin mit einer Genauigkeit, als ob das Leben an der Minute hinge. Sie glaubte nicht daran, aber sie wollte nichts versäumt haben. Die Vormittagsstunden vergingen unter Umwandlung des Schlafzimmers in ein Krankenzimmer. Die nach dem Hof hinausgehenden Fenster wurden verhangen und mit Stroh verstopft, während die Tür nach der Vorderstube offen blieb, nur durch eine halbe Portiere geschützt.
Thilde sah oft von draußen hinein, ohne daß der Kranke irgendetwas verlangt hätte, dann ging sie wieder an das Vorderfenster, das von der vorigen Frau Bürgermeister her noch einen altmodischen Tritt und einen Fensterspiegel hatte. Dieser Fensterspiegel war eigentlich überflüssig, denn es gab so wenig zu sehen, daß es auch nichts zu spiegeln gab. Mitten auf dem Marktplatz stand das Rathaus mit einer schräglaufenden hölzernen Stiege, die bis zum ersten Stock ging und sich in einem schmalen Laubengang fortsetzte, aber alles von Holz. Dicht neben dem Rathaus standen ein paar alte Scharren, jetzt verschlossen und mit Schnee bedeckt. An der Marktplatzseite war die Löwenapotheke, deren Provisor gähnte, denn seit der Mixtur für den Herrn Bürgermeister war seine Tätigkeit noch nicht wieder in Anspruch genommen worden. Daneben ein Bäckerladen mit einem schräggestellten Blechkuchen im Schaufenster und einigen bewundernd davorstehenden Kindern. Die Sonne schien so grell darauf, daß Thilde die großen Zuckerstellen erkennen konnte.
Zwischen dem allen glitt ihr Auge hin und her und nahm erst eine andere Richtung, als sie — diesmal allerdings mit Hilfe des Spiegels — den Briefträger die Herzog-Kasimir- Straße heraufkommen sah. Er trat auch gleich darauf ins Haus, und Thilde ging ihm entgegen, um ein paar Briefe in
Empfang zu nehmen. Einer war aus Breslau, also wahrscheinlich eine Rechnung oder eine Preisliste, der andre eine Verlobungsanzeige von Rpbinski (aber mit einer andern Dame), und der dritte von der alten Frau Möhring. „Frau Bürgermeister Großmann, geborene Möhring. Woldenstein in Westpreußen." Die Buchstaben waren so steif gekritzelt wie auf einem Waschzettel.
Gott, dachte Thilde, wenn Mutter doch bloß nicht, immer „geborene Möhring" schreiben wollte. Möhring ist doch zu wenig.
Dann ging sie bis an die Portiere und horchte hinein, und als sich nichts in der Schlafstube regte, ging sie wieder bis ans Fenster und setzte sich in den kleinen schwarzen Stuhl mit drei Holzstäbchen, der hier stand, und nun las sie.
„Meine liebe Thilde!
Die Kiste kam gerade Heiligabend an, aber schon früh, und da gerade die Runtschen da war, so sagte ich, na, Runtschen, nu wollen wir sie aber auch gleich auf machen.
Und da hättest du sehen sollen, wie geschickt sie war, und wie sie jeden einzelnen Nagel rausholte ohne Kneifzange, bloß alles mits Küchenmesser. Und als wir alles 'raushatten, gab ich ihr eins von die Pakete, weil ich dran denken mußte, daß ihr die Petermann zu vorige Weihnachten auch ein großes Stück Steinpflaster geschenkt hatte. Sie war aber noch nicht ganz zufrieden, bis ich ihr sagte, na, Runtschen, wenn es so weit ist, den Schinkenknochen, den kriegen Sie auch.
Da bedankte sie sich: ich weiß das schon von Ulrike, sie sind immer sehr nach Fleisch, natürlich, wer soll es denn bezahlen. Und muß ich Dir doch sagen, daß ich mich sehr über alles gefreut habe, weil man doch die Liebe sieht, und dann auch, weil ich sehe, daß Jhr's könnt, und daß Jhr's dazu haben müßt. Und sieh, das ist doch die Hauptsache. Denn mit der Sparkasse, das ist ja nu vorbei, weil es alles so viel gekostet hat, und wenn ich mir denke, daß es auch noch knapp ginge, ja, was sollte da werden.
Ins Spittel mag ich nicht. Und nu sage mir, Thilde, wie steht es eigentlich mit Dir? Und Du hast mir noch immer nicht geschrieben von wegen der Witwenkasse. Die Schmüdicke sagte mir zwar neulich, sie müßten einkaufen, ob sie wollen oder nicht, aber es wäre mir doch lieb
1906. Nr. 52.
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