Heft 
(1906) 52
Seite
1090
Einzelbild herunterladen

zu hören, daß Du ganz sicher bist. Ich bin immer so sehr fürs Sichere. Denn der Mensch denkt, und Gott lenkt, und heute rot und morgen tot. Und er hat auch mit­unter so rote Backen, was mir nicht gefallen hat. Und auch die Runtschen sagte, glauben Sie mir, Frau Möhring, es sitzt ihm hier. Und nun grüße Deinen lieben Mann und sag ihn:, ich ließ ihm ein glückliches neues Jahr wünschen, er verdient es, und es wird sich schon belohnen. Es ist ja viel drauf gegangen, aber es schadet nicht, und ich habe es alles gern gegeben, und die Schmädicke sagte neulich: Aufs Kapital kommt es nicht an, wenn man bloß gute Zinsen hat.

Deine Dich liebende Mutter

Adele Möhring, geborene Printz."

Gott, nun auch noch Printz, meinte Thilde, was sich Mutter nur eigentlich denkt! Und was sie da schreibt, als ob sie sich geopfert und mir mit ihrem Sparkassenbuch, was doch mein war, mein Glück bereitet hätte. Na, sie war immer so, und auf ihre Art meint sie's gut, erst mit sich und dann mit mir. Und dann war das Gute, daß sie mir immer freie Hand gelassen hat. Eine weimerige alte Frau, aber ich habe doch mit ihr leben können. Und vielleicht muß ich wieder mit ihr leben.

Heute rot und morgen tot", und daß sie auch gerade so was schreiben mußte. Hugo gefällt mir nicht, und der Doktor mit seinemeinigermaßen" hat mir auch nicht gefallen. Ich möchte ihn doch ungern verlieren. Er ist so gut und hat mir eine Stellung gegeben. Denn, wenn ich es auch gemacht habe, ohne daß er da war, ging es doch nicht. Aber alles hat

doch so seine zwei Seiten, und wenn ich so den Platz hier und die drei Scharren sehe jetzt kuckt sich der Provisor im Spiegel an und findet sich hübsch da weiß ich doch nicht, ob es nicht hübscher war, wenn ich nach der Stadtbahn 'rüber sah, und wenn Bolle durch die Straße klingelte. . . Nun, Mutter hat ja auch geschrieben:Der Mensch denkt, und Gott lenkt". Sie hat immer solche neuen Sätze, aber richtig ist es, und ich muß es abwarten, wie Gott lenkt.

4 : *

>!-

Hugo genas, und Ende Februar saß er im Garten in Front von einem Wemspalier, auf das eine warme Frühjahrs­sonne fiel. Thilde saß neben ihm und las ihm die Zeitung vor, denn es waren die Tage, wo Bismarck ins Schwanken kam. Hugo fing jedes Wort auf und zeigte großes Interesse, ergriff aber nicht Partei.Sie werden wohl beide recht haben", meinte er.

Thilde lächelte.Ja, Hugo, das bist ganz du. Beide recht. Ich bin für einen."

Über den Zaun fort grüßten die Nachbarn, die sich schon in ihrem Garten zu schaffen machten, und stellten auch Fragen nach seinem Befinden, denn so kurze Zeit er in der Stadt war, so war er doch sehr beliebt, und jeder freute sich seiner Wiedergenesung.

Die Landrätin kam persönlich und klagte sich an: eigent­lich sei sie schuld, er habe sich's bei Ostwind auf dem Eis geholt. Und der alte Graf schickte eine große Melone aus seinen Treibhäusern mit einem Billett voll phantastischer Ver­bindlichkeiten und Ratschläge.

Nach Berlin hin war all die Wochen über kein Wort über die Krankheit vermeldet worden, weil Thilde den: Gejammer der Alten entgehen wollte, und auch jetzt, wo die Genesung im Gang war, schrieb sie nichts von der zurückliegenden schweren Sorge.

Vielleicht unterließ sie es auch, weil sie der Genesung mißtraute, wozu wie sich bald zeigen sollte nur zu viel Veranlassung vorhanden war.

Eines Tags, als Hugo wieder in der Sonne saß, schlug das Wetter plötzlich um, ein Schüttelfrost stellte sich ein, und ehe noch der Arzt es feststellen konnte, war es klar,

daß ein Rückfall eingetreten war. Er nahm die Form einer rapide fortschreitenden Schwindsucht an, und am zwei­ten Osterfeiertag abends trat der Tod ein, nachdem der Kranke Thilde nochmals ans Bett gerufen und ihr für ihre Tüchtigkeit, ihre Liebe und Pflege gedankt hatte. Diese Worte waren ehrlich gemeint, denn die Bedenken einer früheren Zeit waren ganz geschwunden, und er sah längst in Thilde nichts mehr als die rührige kräftige Natur, die sein Leben bestimmt und das bißchen, was er war, durch ihre Kraft und Umsicht aus ihm gemacht hatte.

Am dritten Osterfeiertag bei untergehender Sonne wurde er auf dem Woldensteiner Kirchhof begraben. Alles war da: der alte Graf, der alles auf den Arzt schob und dann wieder versicherte, er habe es schon am Neujahrstag gewußt. Der Landrat, der, weil Osterferien waren, gerade in seinem Kreis sein konnte, viel Adel aus der Nähe und die ganze Bürger­schaft einschließlich der dritten Konfession. Auch der Provisor, der sich zufällig einen neuen Frühjahrsanzug hatte machen lassen, wollte nicht fehlen. Alle Bläser bliesen, der alte Graf unterhielt sich ziemlich laut, und was Woldenstein an Blumen hatte, wurde auf das Grab gelegt.

Der Geistliche geleitete Thilde in ihre Wohnung, und während der alte Graf imHerzog Kasimir" eine Flasche herben Ungar ausstach, saß Thilde auf dem Trittbrett ihres Wohnzimmers und sah auf den immer dunkler werden­den Marktplatz, über den ein Westwind einige braune Winter­blätter trieb.

Dann wurden ein paar an Ketten hängende Laternen an­gesteckt, und im Schatten des Rathauses, da wo die Stiege hinaufführte, stand plaudernd ein Liebespaar. Sie ließen sich durch den immer heftiger werdenden Wind nicht stören, der die Laternen hin und her bewegte, daß sie an ihren Ketten quietschten und knarrten.

Als Thilde wohl eine halbe Stunde lang auf das alles hinausgestarrt hatte, zündete sie die Lampe an und setzte sich an ihren Schreibtisch, um ein paar Zeilen an ihre Mutter zu schreiben:

Liebe Mutter!

Heute gegen Abend haben wir Hugo begraben. Es war sehr schön und feierlich, alle Welt erschien, auch der Adel aus der Umgegend. Prediger Lümmel hielt die Rede. Sie wird gedruckt und wird uns dann denn bis dahin denke ich wieder in Berlin Zu sein von hier aus zu­gestellt werden. Wie ich Dir gleich bemerken will, kosten­frei, auch der Druck. Denn Du wirst wohl sehr in Angst sein. Ich muß Dich aber ernsthaft bitten, mich mit dieser Angst nicht quälen zu wollen. Ich habe von hier aus für Dich gesorgt, und ich werde weiter für Dich sorgen. Du denkst immer an jämmerlich zugrundegehen, aber solange Deine Thilde lebt, so lange wirst Du zu leben haben, dessen sei versichert.

Ich empfange noch das Gehalt bis Jahresschluß und die Witwenpension vom ersten April an. Dies nürd Dir einen Stein von der Brust nehmen, und wenn Du erst weißt und deshalb habe ich dies alles vorausgesetzt- daß Du nicht ins Spittel kommen und nicht wie die alte Runtschen reinmachen und einholen brauchst, wirst Du vielleicht auch zuhören, wenn ich Dir sage, daß Hugo gut gestorben ist. Ganz wie ein feiner Mensch, der er immer war. Denn er war aus einem guten Haus, was immer die Hauptsache bleibt. Er hat mir auch noch gedankt, als ob ich wunder was für ihn gewesen wäre. Das macht, er hatte so was Edles. Und Dich hat er grüßen lassen.

Daß er bloß schwächlich war, dafür konnte er nicht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre er stärker gewesen. Alle Leute hier haben ihn sehr geachtet, weil alle sahen, daß er sehr gut war, und selbst Srlberstein, von dem ich Dir schon geschrieben, hat an seinem Grab gesprochen, so daß sogar Pastor Lämmel zufrieden war und ihm die Hand gab. Silber-