Heft 
(1906) 52
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Und wenn sie damals, wo sie bloß ein armes Mädchen war, den Großmann gekriegt hatte, so konnte sie jetzt jeden heiraten, denn sie hatte ja nun einen Titel und war eine junge Witwe, und die Trauer stand ihr gut, und wenn sie Zum Schulrat ging mit dem geteilten langen Schleier, sahen ihr die Leute nach.

Als die Alte aber merkte, daß Thilde die Heiratsidee ganz entschieden ablehnte und wirklich nur Lehrerin werden wollte, kam sie auf einen andern Plan, der geraume Zeit nach der Unterhaltung über den alten Grafen und das mutmaßlich ver­scherzte Glück auch wieder nächtlicherweile erörtert wurde. Diesmal nicht in dem sauerstoffarmen Alkoven, sondern noch in der Vorderstube, die Alte steif aufrecht auf dem Sofa, Thilde zurückgelehnt auf der Chaiselongue.

Na, Thilde, du warst ja heute wieder da. Wenn glaubst du denn, daß es so weit is?"

Du meinst mit dem Examen und mit der Stelle und möchtest wissen, wann ich das erste Gehalt kriege?"

Ja, Kind, das meine ich. Du willst immer davon nichts hören, aber es ist doch was Sicheres."

Ach, sicher ist. das andere auch."

Meinst du? Na, ich will es dir wünschen. Aber wenn es auch nich so sicher is, das mit der Schule, das is doch nu die Hauptsache. Das hast du ja selber gesagt, und da habe ich dich nun schon lange fragen wollen, ob du nich das mit der Witwe fallen lassen und deinen Mädchennamen wieder aufnehmen willst. Es werden ja so viele mit andern Namen getauft, und bei dir is es nich mal so, da kommt das Alte bloß wieder obenauf."

Thilde schüttelte den Kopf, ersichtlich mit einiger Ver­stimmung. Aber die Alte, die sich, solange sie den Wieder­verheiratungsplan verfolgte, vonWitwe" viel versprochen hatte, wollte bei der veränderten Sachlage mit ihrem neuen Plan nicht Nachlassen und fuhr fort:

Ich denke mir, Thilde, du mußt es nu lieber so nehmen, als ob es. . . ja, wie heißt es doch, wenn was ganz kurze Zeit gedauert und dann wieder vorbei ist..."

Ich weiß schon, was du meinst."

. . . also so nehmen, wie wenn es gar nich gewesen wäre. Daß dir als Witwe was zugute getan wird, kann ich mir nich denken, und Fräulein is doch das Gewöhnliche..."

Thilde richtete sich auf, nahm ein von Woldenstein mit­gebrachtes Luftkissen in den Rücken und sagte:

Ja, Mutter, was denkst du dir eigentlich dabei! Das ist doch wie eine Defraudation, wie Unterschlagung, wie Lug und Trug."

Gott, Thilde, rede doch nicht so was."

Doch, Mutter, das ist Ableugnung des Tatsächlichen und straffällig."

Gott, Gott..."

Ich habe dir wohl öfters gesagt, wenn du so beständig anbohrtest und alles wissen wolltest, was auch nicht richtig war

und immer nur davon kam, daß du gegen den armen Hu was hattest nun, da habe ich dir wohl mal gesagt, d es nicht so was Besonderes gewesen sei, was ich vielleicht ni hätte sagen sollen, denn alles, was man in der Art sagt, w doch bloß mißverstanden. Und nun bist du gerade doch wie die andern Menschen! Aber es ist alles falsch, was da denkst, und ich muß dir sagen, ich glaube beinah, daß besser hätte nicht heiraten sollen. Er sah so stark aus r seinem Vollbart, aber er war nur schwach auf der Brust, u ich bin ganz sicher, es hat ihm geschadet . . . Und nun s es gar nichts gewesen sein. Das wäre ja doch schändlich u undankbar, wenn ich ihm so was in seinem Grab nachsag sollte! Fräulein Möhring! Was denkst du dir nur! Ich l kein Fräulein und habe meinen Stolz als Frau und Witv wenn ich auch kein Pfand seiner Liebe unter meinem HerZ trage."

Gott, Thilde, was du redest ..."

Ja, so sagt man, Mutter, das ist gerade das richti Wort. Und es ist bloß ein Zufall, daß es ist, v es ist ..."

Meinst du?"

Ja, das meine ich, und mitunter denke ich, es wc doch hübsch und besonders für dich, wenn es anders c kommen wäre."

Ja, Kind, wenn du so denkst ..."

s *

*

Das war kurz vor dem Examen gewesen, das Thilde w glänzender bestand als Hugo damals das seine. Noch am selb Tag sagte man ihr, daß eine Stelle für sie frei sei. Man frei sich,-sie ihr geben zu können. Am ersten Oktober trat sie ei in Berlin zwischen Moabit und Tegel. Sie ging mutig a Werk, hatte frischere Farben als früher und war gekleidet n an dem Tag, als sie von Woldenstein wieder in Berlin ei getroffen war, nur ohne Krimstecher. Das seitens der Schi deputation in sie gesetzte Vertrauen hat sie gerechtfertigt. Hina fährt sie jeden Morgen mit der Straßenbahn, den Weg zuri macht sie zu Fuß und kauft immer was ein für die Mutter, ei Tüte voll Prünellen, einen Pfannkuchen, einen Geraniumte oder oft auch am Oranienburger Tor eine Hasenleber, weil weiß, daß Hasenleber das Lieblingsgericht der Alten ist. U die Alte sagt dann:

Gott, Thilde, wenn ich dich nich hätte."

Laß doch, Mutter, wir haben es ja."

Ja, Thilde, es is schon wahr, aber wenn es man bleibi

Es wird schon."

Von Hugo Großmann wird selten gesprochen, seine Phol graphie hängt aber mit einer schwarzen Schleife über ! Chaiselongue, und zweimal im Jahr kriegt er auf das Gr in Woldenstein einen Kranz. Silberstein legt ihn nieder u schreibt jedesmal ein paar freundliche Zeilen zurück.

Erfrierungen.

Von vr. Z. Herrn. Baas.

ärme, Kälte, Hitze, Frost sind von uralters her geltende, rein subjektive, also nur unbestimmt ab sch ätzbare Emp­findungsbezeichnungen für die vorhandenen oder fehlenden stärkeren oder geringeren Einwirkungen der Sonne auf die mensch­lichen Nerven, besonders die der Haut; fei es, daß diese von ihnen direkt, durch die Lust oder von festen oder flüssigen, anorganischen oder organischen Gegenständen her getroffen werden.

Die gleiche unsichere Abschätzung galt von jeher auch für die Wirkung des irdischen, künstlichen Feuers oder künstlicher Kälte, die beide ja im Grunde auch gar nichts anderes sind als

eine Auslösung oder Abschließung der in den Brennstoffen m gespeicherten Sonnenkraft. Mit derartig unzuverlässigen Av drücken für Temperaturunterschiede begnügten sich Leben u Wissenschaft Jahrtausende hindurch, bis endlich die im sic zehnten Jahrhundert entstandenen neuzeitlichen, sogenannt exakten, d. h. mit Gewicht, Maß und Zahl arbeitenden Natr Wissenschaften sichere oder doch genauere Bestimmungen c bieterisch erforderten und auch zustande brachten.

Das erste Meßinstrument für Temperaturen erfand im sie zehnten Jahrhundert der Italiener Santorio Sartoro, aber e im achtzehnten gelang es Fahrenheit, Reaumur und Celsir