Heft 
(1881) 295
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38 Jllustrirte Deutsche Monatshefte.

darf, welche dem hier schaffenden Genius adäquat ist. Wenn es mir nur gelingen möchte, einen Begriff von dem Leben zu geben, das diese Schöpfung durchranscht wie ein ungeheurer Accord; jede Be­schreibung, welche dem Werke zu folgen sucht, nimmt daher wie von selbst einen mehr dithyrambischen Charakter an.

Wie die orientalischen Märchen uns deshalb ganz gefangen nehmen, weil über sie hinaus auch die geschäftigste und reichste Phantasie Befriedigenderes, Vollkomme­neres nicht schaffen könnte, so ist hier der Kampf der Götter und der erdgeborenen Giganten auf so vollkommene Weise ge­geben, daß unserer Vorstellung noch Größeres und Kunstreicheres sich anszu- malen unmöglich ist. Hätte je zwischen Wesen dieser Art ein Kampf stattgefunden, dann müßte er, denken wir uns, so ans­gesehen haben, wenn er schön und groß zugleich und würdig des Siegers wie des Besiegten gekämpft worden wäre.*

Die ganze Kraft der Künstler ist aus die Darstellung des Kampfes gerichtet; keine Nebendinge sollen beirren, und so ist nur hier und da eine Andeutung des Schlachtfeldes, des Bodens gegeben, ob­gleich die Sage Vieles und Staunens- werthes auch von ihm zu singen wußte. Aber wie gewaltig wogt der Kampf! Schon die großen Dimensionen der Ge­stalten steigern diesen über alle früheren Kampfdarstellnngen auf Friesen hinaus. Blag man nun auf die Hoheit der gött­lichen Wesen, ihre Kampsesart und Sieges­gewißheit, mag man auf die bunte Man­nigfaltigkeit ihrer Gegner blicken, die bald jugendlich, bald gereiften Alters, hier ge­flügelt, dort ohne Schwingen, zu einem Theile menschlich gebildet sind, zum ande­ren in Schlangenleiber ausgehen, welche in Schlangenköpfe endigen - immer er­scheint die großartige Einbildung und künstlerische Einsicht völlig gedeckt durch ein ebenso großes Können. Wunderbar genug, an diesem ganzen ausgedehnten Werke, an welchem doch zahlreiche Hände betheiligt gewesen sein müssen und offen­bar auch betheiligt waren, giebt es nur

* Ob das so hier zum ersten Male geschah, ist freilich eine ganz andere Frage (s. S. 45, Anm,); den Charakter der Originalität im engeren Sinne sichert dem pergamenijchen Werke allerdings schon von vornherein die Art seiner Ausführung.

wenige einzelne Stellen, an welchen die Ausführung nachläßt, so verschiedenartig sie im klebrigen ist. Sehen wir auf die nackten Leiber, die idealeren der Götter, die mehr irdischen muskulösen und natura­listischen (vergl. die Hautfalten und die Behaarung) der Giganten, die weichen vollen Formen der göttlichen Weiber; sehen wir ans die hoheitsvollen mächtigen Bewegungen der kämpfenden Götter, auf die behutsameren oder rascheren der Frauen, auf die drohenden, schleudernden, zum Tode getroffenen und hingefunkenen Giganten überall die gleiche, oft hin­reißende Meisterschaft in der Form, die gleiche Beherrschung auch der kühnsten leidenschaftlichen und augenblicklichen Be­wegungen, ebenso viele Beweise, daß die Künstler Triumph und Sieg, aber auch Kampf und Sterben mit eigenen Augen geschaut hatten. Fragt man sich, wie es nur komme, daß Körper und Gewand so voll von warmem Leben und Natur sind, so ist nicht der kleinste Grund technischer Art, daß nämlich überall die Spur der letzten Feile stehen geblieben; das ist es, was den Marmorgestalten ihre wunder­bare unmittelbare Frische verleiht. Und wir erkennen wieder einmal, wie außer an­deren Gründen die glatte, todte Politur es ist, welche die Sculpturwerke unserer Zeit oft so leblos und puppenartig erscheinen läßt, wobei freilich zu bemerken, daß ja die Behandlung von Galeriewerken von solchen verschieden sein muß, welche zur Aufstellung im Freien bestimmt sind.

Wie fein sind hier die Gegner gegen einander abgewogen: Wohl ruht der Nach­druck durchgehends auf dem Siege der Götter; da erscheint kaum einer der Un­holde auch nur vorübergehend im Vor­theil, wie das bei früheren Kämpfen ge­schah, z. B. im Weftgiebel zu Olympia, weil die Künstler noch nicht vermochten, auch ohne diesen Behelf die Ebenbürtigkeit der Gegner auszndrücken. Wie ist auch hier die Würde der Unterliegenden ge­wahrt: nur zweimal ist ihre Kraft als eine thierische bezeichnet, der Eine hat Kopf und Tatzen eines Löwen, ein Ande­rer den Nacken und die vorwärts stoßende Kopfbewegung eines Stieres; und in Uebereinstimmung mit ihrer Bildung ver­greift eine Schlange des Einen, die Tatzen des Anderen sich selbst an den