Literarische Notizen.
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nur zu bald wird Heinrich das Opfer seiner Pflichttreue und Energie, die Vertreter der alten, überlebten Anschauungen tragen noch einmal den Sieg über den kühnen Reformator davon und erlangen seine Absetzung; ein gebrochener Mann, stirbt er in hohem Alter als der einfache „ehrwürdige Bruder von Plauen". Mit diesen allgemeinen Vorgängen von historischer Bedeutung verknüpft sich eine Reihe von hübsch ersonnenen romanhaften Episoden, denen der Dichter indeß wohl einen allzu großen Raum gelassen hat. So hätte vor Allem die historische Episode von den Kämpfen des Comthurs in Danzig mit ihren fatalen Blut- und Gräuel- thatcn unbedingt größere Beschränkung und sparsames Colorit gefordert. Im Ganzen hat sich Ernst Wichcrt auch in dieser Arbeit als ein fleißiger und reichbcgabter Dichter bewährt.
Me kleine Mett. Drei Novellen von Rudolf Lindau. (Berlin, Verlag von Gebrüder Paetel.) „Die Welt ist zu klein," — so heißt es in der ersten dieser Erzählungen, nach der die Sammlung ihren Titel hat. „Es ist unmöglich, sich dort lange zu verstecken. Flüchtige Verbrecher werden eingeholt, oder sie stürzen beim Davonlaufen und brechen den Hals. — Dann findet man ihre Leichen. — Nichts geht verloren in der Welt!" Auf diesem dunklen Hintergründe baut sich zuvörderst die erste der drei Novellen auf, die von der Kunst dieses Autors, fesselnd zu erzählen, ein neues glänzendes Zeugniß ablegt. Ueber diese Art brauchen wir uns hier nicht des Weiteren auszulassen, die Leser haben sie zur Genüge aus den überaus anziehenden Reiseschilderungen, die Rudolf Lindau in diesen Blättern veröffentlicht, schätzen und lieben gelernt. Die zweite Novelle: „Ein verkehrtes Leben", ist nach der Seite der Erfindung eine der originellsten und interessantesten Erzählungen Rudolf Lindau's, und die dritte: „Der Scher", athmet wieder jenen Reiz des Selbst- crlebten und Natürlichen, der uns aus allen Novellen Lindau's anweht und dem er zunächst seine große Beliebtheit bei der deutschen Lese- wclt zu danken hat.
Außerhalb der Gesellschaft. Roman von Hieronymus Lorm. (Dresden, Verlag von Heinrich Minden.) Lorm weiß so geistreich zu plaudern und so interessant zu erzählen wie wenige deutsche Schriftsteller. Ueberdics sind die Probleme, die er sich stellt, und die Vorwürfe, die er erfindet, so originell ersonnen und so kunstvoll durchgeführt, daß seine Romane und Novellen schon darum allein lebhaften Interesses von vornherein sicher find, mag man auch mit der Erzählung an und für sich oder auch mit vielen Details nicht einverstanden sein und vor Allem einer durchaus verschiedenen Weltanschauung huldigen. Der vorliegende Roman spielt überwiegend in Un
garn und fesselt durch die Erzählung selbst wie nicht minder durch die Art des Erzählens, die Lorm zu einer so eigenartigen Erscheinung in unserer Literatur gemacht hat.
Stille Geschichten. Von Karl Emil Franzos. (Dresden, Verlag von Heinrich Minden.) Eine Anzahl wenn auch nicht gleich- werthiger, so doch gleich gut erzählter Geschichten hat der liebenswürdige Entdecker „Halbasiens" in diesem zierlich ausgestatteten Buche vereinigt, das gewiß viele Leser finden wird. „Die Locke der heiligen Agathe" ist eine seiner stimmungsvollsten und poetischsten Schöpfungen; „Unser Hans" ist ein Genrebild voll Lebenswahrheit nnd Anmuth. Dagegen hätten mehrere der hier veröffentlichten Erzählungen, wie „Friedrich von Schiller" u. a., wohl ausfallen dürfen.
Murillo. Ein Lied vom Guadalquivir. Von Ernst Eckstein. (Leipzig, Verlag von R. Eckstein.) Ernst Eckstein ist einer der formgewandtesten unter unseren jüngeren Dichtern. Mit dieser Gabe verbindet er eine reiche lyrische Ader und einen glücklichen Humor, der stets zu rechter Zeit hcrvorsprudelt, um die Führung der Handlung zu übernehmen. Seit seinen ersten, freilich hier und da noch etwas derb-komischen Epen „Schach der Königin" und „Gespenster von Varzin", „Venus Urania" und „Die Stumme von Sevilla" ist dem leicht und frisch schaffenden Poeten kein Wurf so gelungen wie dieses Lied vom Guadalquivir, das in der Composition wie im Colorit gleich vollendet ist und das die Phantasie auf das lebhafteste anzuregen weiß. Wäre die Empfänglichkeit unseres lesenden Publikums für poetisches Schaffen die gleiche wie etwa im Anfänge dieses Jahrhunderts, wo ein bedeutendes Gedicht im Stande war, dieselbe Aufregung hervorzurufen wie heute z. B. ein französisches Ehebruchsdrama oder eine neue Operette, so würde dieses echte Dichterwerk zweifellos sich allgemeinen Interesses zu erfreuen haben.
Goldene Ketten. Roman von Max Ring. 4 Bde. (Breslau, Verlag von S. Schottlaender.) Max Ring schildert in diesem für die Bedürfnisse des großen Lese- und Leihbibliothekenpublikums berechneten Roman mit gewohntem Geschick die Schicksale einer Ehe zwischen einem Fürsten und der armen Tochter eines Justiz- rathes. Die Moral der „goldenen Ketten" wird so deutlich illustrirt, als dies nur überhaupt denkbar und wünschenswert!) ist. Neben interessanten Schilderungen aus dem kleinstädtischen Leben der Fürstcnresidenz und einer im Ganzen treffenden Charakterzeichnung findet sich auch manche poetische Scene in diesem Roman des überaus productiven Autors.
Das Jubiläum des fünfzigjährigen Bestandes einer literarischen Zeitschrift ist in Deutsch-