Literarische Notizen.
rauft und Heini. Geschichte zweier Wiener Kinder. Bon Leopold Kompert. (Berlin, Verlag von Otto Jonke.) Levin Schücking erzählte jüngst in diesen Blättern, daß Karl Gutzkow seines Wissens nur von einem deutschen Schriftsteller mit großem Wohlwollen und lebhaftem Interesse gesprochen habe, nämlich von Kompert. Auf den ersten Anschein mochte diese Mittheilung etwas Befremdliches haben, da man sich nicht leicht zwei verschiedener geartete Naturen als Gutzkow und Kompert denken kann; nach dem vorliegenden neuesten Werke des Dichters wird uns dieses Interesse Gutzkow's erklärlicher und verständlicher. Auf dem Wege zu ihren Zielen haben beide Schriftsteller ein Gemeinsames: einen lehrhaften Zug, dem wir das Genre der pädagogischen Romane zu danken haben. „Blasedow und seine Söhne", „Die Söhne Pestalozzi's" waren die ersten Anläufe aus diesem Gebiete — später haben verschiedene unserer ersten Autoren dasselbe cultivirt, und gegenwärtig hat Kompert demselben eine neue Provinz mit großem Glück erobert. Der Dichter ist aus dem Ghetto, das bisher seine ureigenste Domäne war, heraus- gctreten und führt uns in eine Wiener Volksschule ein, in der sich der anmuthige Kindcr- roman zwischen Franzi und Heini abspielt. Wir lesen „auf der Tafel, die noch des Lebens verworrene Runenschrift nicht bekritzelt hat", mit dem Dichter die Geheimnisse der Kindesseele und entdecken mit ihm, der ein ebenso bedeutender Pädagoge wie hervorragender Dichter zu sein scheint, eine neue, allen Aerzten bisher gewiß unbekannte Krankheit in dem Organismus dieser unverdorbenen Naturen — die beiden Kinder sind „moralkrank", und diese neueste Schulkrankheit ist eine Folge unseres Erziehuugswesens, in dem ein Trieb ans Kosten der anderen übermäßig ansgebildct wird. Bei Franzi und Heini ist es der Schönheitstrieb, der sie auf Abwege fuhrt. Me nun der Dichter die beiden Kinder aus
der Schule vor die Schranken des Gerichts bringt — Heini's eigene Mutter hat ihn dem Staatsanwalt übergeben —, wie der Mann des Gesetzes die Anklage wegen Diebstahls erhebt und wie Clemens Fittig, der provisorische" Lehrer Franzi's, durch sein glänzendes Plaidoyer die Geschworenen überzeugt, daß sic Heini freisprcchcn, wie dieser dann in ehrlicher Arbeit zum Bildhauer von Ruf und Bedeutung heranrcift, indcß Franzi die treue Gattin des „Provisorischen" wird, dies Alles und noch viel mehr ist von Kompert mit so viel poetischer Innigkeit, tiefer Naturwahrheit und entzückender Feinfühligkeit geschildert worden, daß wir dieses Werk nicht nur seinen besten und reifsten Schöpfungen anreihen, sondern es als einen der gediegensten pädagogischen Romane unserer Literatur schätzen dürfen.
Heinrich von Plauen. Historischer Roman in drei Büchern. Von Ernst WiHert. (Leipzig, Karl Meißner.) Eine Dichtung ans der Schule Gustav Freytag's, welche als eine durchaus rc- spectable Arbeit angesehen werden darf. Einzelne Kinderkrankheiten des historischen Romans: behagliche Beschreibung von Aeußerlichkeiten, von Kleidern und Festen, breites Ausmalen des Zuständlichen und Localen, welches für die Oekonomie des Kunstwerkes keine Bedeutung hat, haften auch diesem Romane an. Aber der Hauptvorgang desselben hat, in seinem wesentlichen Inhalte erfaßt, ein allgemeines Interesse, und die Gestalt Heinrich v. Plauen's, welche sein Träger ist, wurde von dem Dichter mit lebendigem und anziehendem Detail reich ausgestattet. Es handelt sich wie in „Markus König" um die Kämpfe des deutschen Ordens in Preußen mit den Polen einerseits, den großen Städten Danzig, Thorn. Elbing andererseits; Heinrich, der Hochmeister, findet die Rettung für den im Absterben begriffenen Orden in der Einsetzung eines „Landesrathcs", er erläßt eine Art von constitutioneller Verfassung, die ihn aus dem Hochmeister zum Landesfürsten zu machen verspricht. Allein