Issue 
(1881) 295
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Zabel: Adolf Wilbrandt.

jährlichen Experimenten treibt. Ueber- blicken wir seine Produetion in großen Zügen, so sehen wir, wie es sich in dem Norddeutschen früh poetisch rührte, wie es aber der Befruchtung seiner schönheits- dnrstenden Phantasie durch die Eindrücke der Kunst und landschaftlicher Reize be­durfte, um seinem Talente die Wege zu öffnen. Früh fand er im Anschluß an Paul Heyse den Kern seines Wesens, das Bedürfnis nach weichen Formen, die Lust, Seelenznstände zart zu zergliedern; aber dieser Kern war doch nicht ganz unver­änderlicher Natur, war bald ans festerer, bald ans weicherer Materie gebildet und sehnte sich gleichsam nach der Bereicherung durch das Studium fremder Meister. Des­halb sehen wir die Production Wilbrandt's sich in einer etwas eklektischen Weise ent­wickeln von den frischen, gesunden Novellen und Lustspielen bis zu den mehr ergrü- belten als erfundenen Rührstücken; von dem romantischen RitterstückGras von Hammerstein", der ein Liebling aller Frauen ist, bis zu den sinnlich erhitzten Römerstücken, denen die Frauen aus dem! Wege gehen; von den feinsten akademischen Studien bis zu sensationslustigen Ko­mödien, die ihr Sujet den Tagesblättern entnehmen. Wenn dies Suchen und Schwanken Wilbrandt's ein Vorwurf ist, so theilt er ihn jedenfalls mit der ge- ^

stimmten dramatischen Production der Gegenwart, die mehr tastet als trifft, weil die Gesellschaft, deren Spiegelbild sie sein soll, fortwährender Neugestaltung unterworfen ist. Goethe und Schiller konnten nur in den beruhigten Formen sich entwickeln, die eine Aristokratie der Bildung schuf und ängstlich vor jeder Zer­trümmerung durch die große Masse be­hütete. Dasselbe gilt von der Blüthezeit des spanischen, französischen und englischen Dramas, dem jedesmal eine feststehende Oeffentlichkeit als stützende und tragende Unterlage diente. Wir aber wollen froh sein, daß wir in Wilbrandt auf einem Gebiete, das nur zu oft dem traurigsten Handwerk als willkommener Tummelplatz dient, einen wahren Dichter besitzen, der die höchste Vorstellung von seinem Berufe hat und ihn, wenn auch mit ungleicher Kraft, so doch mit vollster Hingabe seines Talentes übt. Mögen wir an Einzelnem, was dieser interessante und feinsinnige Dichter geschaffen hat, kritische Ausstellun­gen nicht unterlassen können: die Totalität seines Wesens erfüllt uns schon jetzt, ob­wohl Wilbrandt eben erst ans der Höhe seines Talentes steht, mit reinster Be­wunderung und muß bei den verständniß- vollen Freunden seiner Schöpfungen dem Tadel jede verwundende und verletzende Wirkung rauben.