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Und nicht lange, so sahen sie, wie der Vater über die Brücke kam, und weil sie sich vor ihm fürchteten, traten sie hinter die Hecke zurück, um nicht gesehen zu werden. Aber sie selber sahen ihn. Er hatte seinen Stutzhut auf und den Hirschfänger umgeschnallt, und aus Allem war ersichtlich, daß er aufs Schloß hinaus wollte. Beide sahen ihm ängstlich nach, und erst als seine breite Gestalt auf dem Schlängelwege verschwunden war, kamen sie wieder aus ihrem Versteck hervor.
Auf der Diele trafen sie Griffel, die vor sich hin sprach und dem Hühnerhunde Brot einbrockte. Der aber ging immer nur um die Schüssel herum und begnügte sich, ein paar Fliegen zu fangen, die hin und her summten. Und daun schlich er aus das Rehfell zu, das neben der Hofthür lag, streckte sich aus und klappte verdrießlich mit den Ohren.
„Was ist, Griffel?" fragte Martin.
„Was ist? Er hat den Maus-Bugifch über den Haufen geschossen."
„Todt?"
„Versteht sich. Er wird ihn doch nicht halb todtschießen. Das ist gegen die Regel. Dein Vater thut nichts Halbes."
„Um Gottes Barmherzigkeit willen!" schrie Hilde, fiel in die Kniee und betete vor sich hin: „Vater unser, der du bist im Himmel." Und in ihrer furchtbaren Angst betete sie weiter, bis die Stelle kam: „Unser täglich Brot gieb uns heute."
Da riß Griffel sie heftig auf und sagte: „Was, täglich Brot! Als ob du's nicht hättest! Du hast dein täglich Brot; und wenn du beten willst, so bet' ums Rechte. Hier aber ist nichts zu beten. Er wollte deinem Vater ans Leben, und ist nun die dritte Woch', daß er's ihm zngefchworen. Aber der war flinker und fragt nicht lang und spaßt nicht lang. Ja, das hat er noch von den Soldaten her. Und ich sage dir, Hilde, das ist nun mal nicht anders, und mußt dich dran gewöhnen. Denn du
bist hier in eines Haidereiters Haus, und da heißt es: er oder ich. Und wie steht es denn in der Bibel? Ang' um Ange und Zahn um Zahn."
„Und liebet eure Feinde."
„Ja, das steht auch drin. Und für den, der's kann, ist es gut genug. Oder vielleicht auch besser oder vielleicht auch ganz gewiß; denn ich will mich nicht versündigen au meinem Christenglauben. Aber was ein richtiger Haidereiter ist, der hält auf den alten Bund und aufs alte Testament. Und warum? Weil es schärfer ist, und weil er's jeden Tag erfahren muß: Wer leben will, der muß scharf zufassen... Und nun komm, Hildechen, ich will dir ein Glas Wein geben, von dem ungerschen, den du so gern hast, und er wird nichts dagegen haben, 's ist ja für dich. Und dann mußt du wissen, so was kommt auch nicht alle Tag'... Aber sieh nur, da bringen sie ihn schon." Und sie wies vom Fenster aus auf eine Stelle, wo der Buschweg, der neben dem Bache hinlief, in den großen Fahrweg eiubog. Aber Hilde, die wie gestört war, wollte nichts sehen und lief auf die Hofthür zu, wo der Hühnerhund lag, und bückte sich und umarmte das Thier. Und der Hund, der wohl wußte, was es war, weimerte vor sich hin und fuhr ihr mit der Zunge über Stirn und Gesicht.
Inzwischen waren Griffel und Martin von der Stube her auf die Vortreppe gegangen und sahen in aller Deutlichkeit, wie sie den Wilderer auf der großen Straße herantrugen. Es waren ihrer vier, lauter Holzschläger; sie hatten aus ein Paar jungen Ellern eine Trage gemacht. Ueber den Todten selbst aber waren Tanneuzweige gebreitet. Und so gingen sie vorüber und grüßten nicht.
„Sieh, Martin," sagte Griffel, „sie grüßen uns nicht. Und ich weiß wohl, warum nicht. Weil ihnen Allen der Wilddieb im Leibe steckt. O, ich kenne sie!