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aber trat er zuletzt heran und sagte: „Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." Und sie wog jedes Wort in ihrem Herzen und kniete noch, als Alles schon vorüber war und jedes der Kinder sich schon gewandt hatte, um Vater und Mutter zu begrüßen.
Ganz zuletzt auch wandte sie sich und sah nun, daß ihr Vater auf seiner Bank allein saß.
Und ein ungeheures Mitleid erfaßte sie für den in seiner Ehre gekränkten Manu, und sie vergaß ihrer Angst und lief auf ihn zu und küßte ihn.
Von Stund' an aber wäre er jeden Augenblick für sie gestorben. Denn er war ein stolzer Mann, und es fraß ihn an der Seele, daß man ihn sitzen ließ, als säße er ans der Armensünderbank.
Und indem er sich höher aufrichtete, nahm er jetzt Hildens Arm und ging festen Schrittes auf den Ausgang zu, zwischen den verdutzt dastehenden Bauern und ihren Frauen mitten hindurch. Einige traten an die Seite und grüßten, und es war beinahe, als ob das, was Hilde ge- than, die Herzen Aller nmgestimmt und ihren Groll entwaffnet habe. Hinter ihnen her aber ging Martin und freute sich, daß sich die Schwester ein Herz genommen.
Und auch Griffel freute sich, die noch von ihres Vaters Tagen her ihren Platz oben auf dem Orgelchor hatte. Manches aber freute sie nicht, und sie sah dem Paare nach und sprach in Platt vor sich hin, wie sie's zu thun liebte, wenn sie mit sich allein war: „I, kuck Eens... Uns' Oll!... Un reckt sich orntlich in de Hücht... Un nn goar uns' Lütt-Hilde! Kuck, kuck. Seiht se nich nt, as ob se vun'n Altar käm'? Un fehlt man bloot noch de Kranz. Un am End' kümmt de ook noch... Un worümm fall he nich koamen?"
che Monatshefte.
Jahre waren seitdem vergangen, und im Dorfe gedachte Niemand mehr der Vorgänge jener Palmsonntagwoche, weder des erschossenen Wilderers noch des Einsegnungstages. Auch Hilde hatte sich in Grissel's Spruch: „Er oder ich" allmälig zurechtgefunden, und nur jedesmal, wenn der Haidereiter erregt nach Hause kam, die Stirn kraus und das Auge mit Blut unterlaufen, befiel sie wieder die Furcht jener Tage. Doch nie lange. Kaum daß seine Stirn wieder glatt und sein Aerger vorüber war, war auch ihre Furcht vorüber, und nur eine Scheu blieb ihr zurück, über die sie nicht weiter nachdachte, weil sie sie für natürlich hielt. War doch auch Martin scheu, ja, Griffel ausgenommen, eigentlich Jeder; unter allen Umständen aber schloß diese Scheu die Heiterkeit des Hauses nicht aus, und wenn in der Küche, wie jetzt öfters zu geschehen pflegte, das Gespräch auf des Haidereiters immer grauer werdenden Bart kam und Joost in seiner neckischen und dummschlauen Weise hinwarf: „O Jemine, Griffel, de Griffel kümmt em in!" so vergaß ein Jeder des mehr oder minder auf ihm lastenden Druckes und vergnügte sich und lachte. Am herzlichsten aber lachte Hilde.
Die war jetzt überhaupt anders als in ihren Kinderjahreu, und noch letzte Kirmes, als sich Alles im Tanze drehte, hatte Sörgel zu dem neben ihm stehenden Baltzer gesagt: „Und nun seht einmal, Haidereiter! Alle sind gesunderund blühender; aber die Hilde blüht." Und so dachte Jeder im Dorf, auch die, die's ihr neideten, und nur Griffel, wenn sie mit Joost ihren plattdeutschen Diseurs über Hilde hatte, fand seit Kurzem allerhand an ihr anszusetzen. „Ick weet nich, Joost, dat Grafische geiht ümmer mihr torügg, un uns' Muthe kümmt ümmer mihr rut. Finnste nich ook?" Und so ging es weiter. Aber so gern sie dieses und Aehnliches sagte, so hütete sie sich doch, es Baltzer hören zu lassen, der