Heft 
(1881) 296
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Illustrirte Deutsche Mo n a tsheft e.

manches der Werke des erstgenannten Meisters einer solchen Revision und Ein­richtung sür das Theater unterworfen würde, wie das bei vielen Shakespeare- schen Dramen der Fall war, so ließe sich ihnen eine ebenso gute Aufnahme Vorhersagen, als die Calderon'schen und Sophokles'schen Stucke finden.

Vortrefflich ist die Darlegung Riehl's, wie die Oper, zuerst ein specifisch italieni­sches Erzeugnis^, erst nach und nach deutsch wurde und von einer schwachen Berthei- diguug gegen italienische und französische Einflüsse zum starken Angriffskrieg über­gehenkonnte. Dieser wurde allerdings von Richard Wagner begonnen, gegen den Riehl eine so entschiedene Abneigung hegt, daß er in ihm nichts anerkennt. Und das ist ungerecht. Man mag von der Verwendung der Gaben denken und ur- theilen, wie man will aber daß gar Vieles in sämmtlicheu Werken Wagner's nur von einem der höchst Begabten ge­schaffen werden konnte, dürste heutzutage wohl schwer zu bestreiten sein. Diese Wahr­heit wird immer mehr und mehr anerkannt, und erst die neueste Zeit hat wieder einen wahres Aufsehen erregenden Beweis ge­geben, daß es unmöglich ist, der Wagner- schen Musik grundsätzlich die Pforten der Kunsttempel, selbst der exclusivsten, zu ver­schließen. Die königl. Hochschule für aus­übende Tonkunst in Berlin steht bekannt­lich unter der Leitung von Josef Joachim, dem glorreichsten Vertreter der elastischen ausübenden Kunst, der sich in den fünfziger Jahren in einer Erklärung öffentlich von der Schule Wagner's losgesagt hat. Bei der letzten Prüfung der Opernclasse, die vor geladenen Gästen, also nur vor einem mit den Principien der Hochschule gleich- gesinnten Publikum stattfand, wurde unter Joachim's Leitung das Vorspiel und der Anfang des zweiten Actes vonLohengrin" aufgeführt. Das Vorspiel mußte wieder­holt werden, und die Sängerinnen der Elsa und Ortrud ernteten stürmischen Beifall. Diese Thatsache bedarf keines Commentars von unserer Seite. Jeder Leser kann ihn selbst erdenken von seinem Standpunkte.

Vortrefflich sind Riehl's Bemerkungen überDon Inan" undFreischütz", daß in diesen Sagenopern die handelnden Figuren menschliches Fleisch und Blut

und Geist haben und nur von fern die Dämonenwelt in die rein menschliche Handlung hineinragt, wie im Hamlet und Macbeth. Auch seine Darstellung der Widersprüche, in welche die Oper mit den Anforderungen der Poesie und der Musik gerätst, enthält vieles Wahre und zu Beherzigende. Aber wenn er zu­letzt zu dem Schluffe gelangt, daß die Oper verschwinden und durch das Ora­torium ersetzt werden wird, und von einem politischen" Oratorium spricht, welches viel höher stände als die politische Oper, in welchemman weit gedankenhafter motivirend vorbereiten kann als auf der Bühne", so befindet er sich in einem edlen, aber darum nicht weniger entschiedenen Jrrthum.Tell" von Rossini ist aus dem Drama Schiller's entstanden, eine Zeit lang alspolitische" Oper betrachtet, dann aberSonntagsoper" geworden. Das mag wohl richtig sein. Aber das politische Oratorium" Tell wäre doch eiue noch sonderbarere Erscheinung als die politische Oper. Ueberhaupt wird ein anderes Oratorium als das auf religiöser Grundlage entstandene niemals feste Wur­zel fassen und niemals allgemein in gleichem Maße wirken. Eine ausführliche Beweis­führung dieses Satzes würde zu weit von dem eigentlichen Ziel dieser Studie abseits gehen müssen; doch wollen wir die Tat­sachen auführen, welche den besten Beweis liefern. Die neueren Versuche von Orato­rien, denen ein anderer als ein biblischer oder religiöser Text unterlag, haben öfters die Aufmerksamkeit und den Antheil des Publikums erregt, wenn sie so überaus herrliche Momente enthalten wie Schu- mann'sParadies und die Peri", oder wenn sie den Concertsängern so effectvolle, sehr gut in der Stimme liegende und auch edel gehaltene Arien bieten wie Bruch's Odysseus"; aber eine wahrhaft nachhaltige eindringliche Wirkung haben sie nicht er­zeugt. Dagegen haben Brahm'sDeut­sches Requiem" und Kiel'sChristus" einen solchen bleibenden Eindruck hinter­lassen. Des genialen Rnbinstein geistliche OperDer Thurm von Babel", die als modernstes Oratorium vielleicht den Andeutungen Riehl's am meisten ent­sprechen mag, ist bei all' ihren großen Schönheiten vielen Hörern nur alsZwit­terding" erschienen.