Heft 
(1881) 296
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Ehrlich: Die musikalisch-ästhetische Literatur seit 18ö0.

Essays". Man kann mit dem von uns hochgeschätzten Verfasser nicht überall ein- ! verstanden sein und doch aus seinen Arbeiten ! Anregung schöpfen. Im Jahre 1878 hat! er einen längeren Artikel veröffentlicht: > Die Kriegsgeschichte der deutschen Oper, ! Vorstudien zu einem Charakterkopfe der ^ Zukunft", dem wir hier eine eingehendere i Betrachtung widmen müssen, weil er eine j brennende und nie zu löschende Frage be­handelt. Riehl geht von dem Grundsätze! aus, daß die Oper eine zwitterhafte Kunst- , gattung sei und auch nichts Anderes sein I könne, die Zwitterhaftigkeit seibedingt durch ihre Eigenthümlichkeit". Das ist wahr imd doch wieder nicht. Ich habe lange über diesen Gegenstand nach­gedacht; auch inir ist die Oper als eine niedriger stehende Kunstgattung erschienen. Schon daß die Helden und Heldinnen alle singen müssen, dünkte mir bedenklich denn im Leben existiren sie nicht, sie sind nur ein Operngebilde. Dann die vielen Nebendinge, von denen der künstlerische Eindruck theilweise abhängt: Decorationen, Costüme, Beleuchtung, Regie, Maschinen­wesen und hunderterlei derartige Mit­hebel sind sie nicht geeignet, jeden reinen Kunstgenuß zu trüben? Es ließen sich viele Seiten füllen mit den Beweisen, daß die Oper kein Musikkunstwerk sei im Vergleich znm Oratorium oder zur Sym­phonie.

Aber nach langer, reiflicher Erwägung bin ich zu der Ueberzeugung gelangt, daß die Verwerfung der Oper gleichbedeutend ist mit der Verwerfung dramatischer Kunst überhaupt, weil die meisten Bedenken, welche gegen die Oper erhoben werden können, in gleichem Maße das Drama treffen, und zwar gerade das höhere. Helden und Heldinnen, die in Versen reden, sind im Leben ebenso wenig vor­handen als singende; und nun garge­wöhnliche" Leute aus dem Volke. Und dennoch! wer wollte es anders haben im wirksamsten dichterischen Kunstwerke, im Drama! Kann irgend ein Gebildeter der Erde sichWallenstein's Lager" in Prosa denken? Und es sind doch meistens recht ungebildete Soldaten, die da ihre Meinungen austauschen! Allerdings giebt es ja auch wirkungsreiche Dramen in Prosa; überall, wo die mehr alltäglichen Empfindungen angeregt werden sollen

Monatshefte.il. 2 SK. Mai 1881. Vierte Fol

oder wo heftigen Leidenschaften nngebän- digter Ausdruck gegeben wird, im bür­gerlichen, sentimentalen oder im höhe­ren Gesellschaftsdrama, ist vielleicht die Prosa allein anwendbar. Aber die größ­ten Kunstwerke dramatischer Dichtung aller Nationen sind in Versen geschrieben. So lange also Gretchen imFaust" uns ent­zückt als ein unvergleichliches Gebilde natürlicher Anmuth und kindlichen Ge- müthes: so lange Valentin uns als eine Gestalt erscheinen wird, in welcher das modernste Ehr- und Standesgefühl mit wahrhaft antiker Gewalt und mit wunder­barster dichterischer Schöpfungskraft dar­gestellt ist: so lange Niemandem die Frage einfällt, ob denn eigentlich die Beiden in Versen reden dürften, da sie gewiß im Leben nicht eine Ahnung davon hatten: so lange werden auch die im ersten Mo­ment anscheinend gerechtfertigten Bedenken gegen singende Helden haltlos bleiben. Und so lange wir uns nicht um den Privatcharakter der Herren und Damen, welche im Oratorium singen, bekümmern, nicht ein Zeugniß des Pfarrers von ihnen verlangen, wenn sie den Heiland und die Apostel singen, nicht den Juden ver­bieten, in christlichen Messen und Ora­torien die Hauptpartie auszuführen, so lange wollen wir auch die in letzter Zeit wieder auftauchende Sittlichkeitsfrage beim Theater ruhen lassen.

Riehl meint:Die Oper ist die ver­gänglichste Kunstgattung, ihre Werke ver­alten am raschesten", und der Versuch, eine alte Oper von Händel oder Scarlatti im Theater aufznführen, wäre ein vergeblicher, die Mode spiele hier eine zu große Rolle. Ganz richtig! Aber die Dramen von Houwald, Müllner, Ranpach sind viel jünger als die Opern von Scarlatti, und ich möchte sehen, wie der Versuch einer Aufführung vonIsidor und Olga" oder Das Bild", die einst volle Häuser machten, heute ausfiele. Ja selbst die viel werth­volleren Dramen von Grillparzer und Halm sie kommen nur noch als Expe­rimente zum Vorschein, um bald wieder zu verschwinden. Wenn aber Riehl auf Shakespeare, Calderon und Sophokles hin­weist, deren Stücke noch heute aus der Bühne erscheinen, während Händel's und Scarlatti's Opern nicht gegeben werden können, so möchte ich behaupten: wenn

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