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geschichte das Historische und Biographische mit dem Aesthetisch-Kritischeu zu verbinden und die Beziehung der Musikstile und Musikformen zu den Zeitideeu und der allgemeinen Geschichte hervorzuheben. Die vollständige Durchführung dieser Aufgabe bedingte einen viel größeren Umfang des Buches, als ihn der geschätzte Verfasser nach seiner eigenen Erklärung geben wollte, um es den Lehrerkreisen zugänglich zu erhalten. Von den vierhnndertnndsechzig Seiten hat er die ersten fünfundfünfzig der alten Musik gewidmet, von der keine Werke existiren, bei der also eine geistige Wechselwirkung zwischen ihnen und dem Culturleben nicht nachzuweisen ist; und da er auf alle Musikbeispiele und Analysen verzichten mußte, so ließ sich die Klippe jener Darstellung nicht vermeiden, die mehr in die „Essays" und Feuilletons als in eine Musikgeschichte gehört. Doch besitzt das Buch den großen Werth, daß es überall der gesunden Anschauung der Kunst den Weg zeigt und alle lieber- schwänglichkeit und auch alle Polemik vermeidet.
Wenn diese Studie sich nicht noch eingehender mit den verschiedenen Musikgeschichten beschäftigt, so geschah dies, weil dieselben zur Aesthetik nur in in- directer Beziehung stehen und weil die genannten Musikhistoriker ihre ästhetischen Ansichten in anderen Werken kundgegeben haben, welche von mir in den vorhergehenden Abschnitten besprochen wurden. Hier will ich zum Schlüsse noch aus eine kleine sehr anregende Schrift Hinweisen: „Zur Periodisirung der Musikgeschichte", von Di-. Schneider. Der Verfasser weist in manchen treffenden Bemerkungen die Unzulänglichkeit der bisherigen Eintheilung der Musikgeschichte nach und begründet einen Vorschlag zur „objectiven Periodisirung der Musikgeschichte". Allerdings stellt er sich zu Richard Wagner und den Bestrebungen der Neuzeit nicht objectiv; und da seine Schrift im Jahre 1863 erschienen ist, so läßt sich voraussetzen, daß er jetzt noch entschiedenere Gegnerschaft bekunden würde. Insofern als die ganze Zeitströmung Elemente des Parteiwesens niit sich führt, wollen wir mit dem Einzelnen nicht zu sehr rechten, besonders wenn er neben parteilichen und Verschiedenartiges znsammenwerfendeu
che Monatshefte.
Aeußernngen so viel Richtiges nnd Anregendes bietet wie Schneider in seinem Schriftchen.
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Zwischen der eigentlichen Musikgeschichte und den schöngeistigen Werken, welche sich mehr mit den gangbaren musikalischen Tagesfragen beschäftigen, liegen jene Schriften, welche einzelne Perioden oder einen bestimmten Zweig der Tonkunst wissenschaftlich behandeln. Selbstverständlich kann ihre Beziehung zur Aesthetik nur eine mittelbare sein; aber sie lehren den Einfluß der Zeitideen, der gesellschaftlichen Gewohnheiten aus gewisse Tonformen kennen, bieten eine Grundlage zur richtigen Anschauung des Empfindungslebens der verschiedenen Generationen, sind also für die Beurtheiluug des Inhaltes der Musik ein sehr schätzbares Material. Von diesen Werken wollen wir die wichtigsten hervorheben. „Das deutsche Singspiel von seinen ersten Anfängen bis auf die neueste Zeit" von Schletterer ist ein vortreffliches, von gründlichstem Studium zeugendes Werk, dem größere Verbreitung zu wünschen wäre, da auch der Stoff zu den interessantesten der Musikgeschichte gehört. Auch seine „Geschichte der geistlichen Dichtkunst" (nicht vollendet) ist ein sehr verdienstliches Buch.
Reißmanu's „Geschichte des deutschen Liedes", Lindner's „Geschichte des deutschen Liedes im achtzehnten Jahrhundert" und „Die erste deutsche stehende Oper" (eine vortreffliche Arbeit), Naumann's „Italienische Tondichter" sind daukens- werthe Beiträge. Ein ausgezeichnetes Buch ist Pohl's „Haydn und Mozart in London". Hanslick's „Moderne Oper" wird für alle Zeiten eine Fundgrube geistreichster und gründlichster Betrachtungen sein, ebenso sein „Coneertwesen in Wien" — wenn auch in diesem Manches eine mehr locale, weniger allgemeine Bedeutung besitzt.
Riehl's „Musikalische Charakterköpfe" sind auf ernste und gründliche Studien gestützt, und insofern gehören sie zu den wissenschaftlichen Werken; sie besprechen die allgemeinen Kuustfragen vom ästhetischen Standpunkte, sind im glänzendsten Stile geschrieben und erinnern an Macaulay's