Heft 
(1881) 296
Seite
212
Einzelbild herunterladen

212 Jllustrirte Deuts

was in dieser Gattung, nicht etwa bloß in der musikalischen Literatur geschrieben ^ worden ist. i

Hiller ist nicht bloß ein ausgezeichneter Meister des eleganten und klarsten Stils und eine überaus liebenswürdige, heitere Natur er besitzt auch die sür einen Ton­künstler merkwürdige Eigenschaft, daß er nämlich die Dichtkunst noch höher stellt als seine, daß er bei aller Begeisterung für die Meisterwerke der großen Componisten doch nicht vergißt, daß in der Culturgeschichte dem großen Dichter insofern der erste Platz gebührt, weil er nicht nur die Empfindungen dargestellt, sondern den großen Ideen klaren Ausdruck verliehen hat. Daß Hiller eine sehr große Ab­neigung gegen Wagner und dessen Schule hegt, wird sehr begreiflich, wenn man er­wägt, daß er ein Schüler Hummel's seine Jugendjahre in Weimar, in Goethe's Nähe und unter dessen Angen verlebt hat, als Jüngling mit seinem Lehrer nach dem aristokratisch heiteren Wien gereist ist und als Mann im freundlichsten Verkehr mit Mendelssohn und Schumann gestanden hat. Bei solchem geistigen Entwickelungs­gange und solchen gesellschaftlichen Ge­wohnheiten mag Einer wohl der neueren Richtung, besonders der Form, in welcher sie ihre Tendenzen sehr oft kundgiebt und verficht, wenig Sympathien entgegen­bringen.

Bon Riehl's Bedeutung haben wir schon gesprochen und wollen hier nur noch bemerken, daß diejenigen Essays, welche zu den schöngeistigen gehören, sich durch besonderen Humor und durch geschickten Hinweis auf die verschiedenartigsten cultur- historischen Richtungen auszeichnen.

Unter den unendlich vielen Broschüren und Aufsätzen, welche die letzten zwanzig Jahre neben den Werken der eben erwähn­ten Autoren gebracht haben, möchte ich Tappert'sMusikalische Studien" als die interessantesten bezeichnen. Jeder ein­zelne Aufsatz giebt Zeugniß von außer­ordentlicher Belesenheit, fleißigem Stu­dium, glücklichster Gabe der richtigen Vew werthung und vom Talent humoristischer Darstellung.Wandernde Melodien",

.Umbildungsproceß" und dieZooplastik in Tönen" gehören zu den originellsten und besten Erzeugnissen der kleineren Musikliteratur. Hätte Tappert den hier

>che Monatshefte. _

eingeschlagenen Weg verfolgt, so mußte er ^ allgemeine Anerkennung, Achtung und i Einfluß gewinne«. Leider hat er in den letzten Jahren nicht bloß sich den fanatisch­sten Wagnerianern angeschlofsen, sondern auch sie noch in persönlichen Angriffen gegen Andersdenkende überboten. Ich achte jede künstlerische Neberzeugung gehässige Polemik aber ist verwerflich, gleichviel, von wo sie ausgeht. Bei der wenig freundlichen Beachtung, welche die Haltung dieses Autors in neuerer Zeit fand, sind seine besseren Erzeugnisse aus früheren Jahren in unverdiente Vergessen­heit gerathen.

Zwischen diesen schöngeistig-musikalischen Schriften und den eigentlichen Kritiken liegen dieGesammelten Aufsätze" von Robert Schumann, der eine lange Zeit durch seine herrlichen, geistvollen und aus tiefster Kenntniß hervorgehenden Analysen und Studien ebenso weitgreifend und heil­sam wie durch seine unsterblichen Compo- sitionen gewirkt, mit Liebe und warmer Anerkennung alle künstlerischen Bestre­bungen jeder Richtung der Kenntniß des Publikums empfohlen und der Kunst auch durch seine Schriften unschätzbare Dienste geleistet hat. Sie sind noch heute das beste Muster liebevoller und gründlichster Fachkritik.

Unter den schöngeistigen Elementen, welche auf die musik-ästhetische Beurthei- lung des Publikums den größten Einfluß üben, steht die Tageskritik weit obenan; ja, man kann füglich behaupten, daß sie in vielen musikalischen Angelegenheiten das allgemeine Urtheil bestimmt. Nur wenige Componisten und Künstler, entweder die sehr berühmten, welche dem Tagesgeschmack die verlangten Genüsse zu bereiten ver­stehen, oder diejenigen, welche von einer ganz entschiedenen und einflußreichen Partei getragen werden, können die Tageskritik einigermaßen unbeachtet lassen. Aber Alle, die nicht zu den eben bezeich­nten Kategorien gehören, find mehr oder weniger von ihr abhängig, das heißt von der Beurtheilung, welche unmittelbar nach der Aufführung eines Werkes oder dem Auftreten eines Künstlers in den politi­schen Tagesblättern erscheint.

Ich habe schon in dem ersten Abschnitte