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_ Literarisch
Eine gute monographische Würdigung enthält ein Buch: Aliirecht v. Halter und seine Bedeutung für die deutsche Literatur. Von Adolf Frey. (Leipzig, Verlag von H. Hässel.) Den Mittelpunkt bildet die vortreffliche Analyse der dichterischen Thätigkeit Haller's. Welche Anlage den großen Gelehrten zum Dichter befähigte, spricht er selbst in folgenden Worten aus: „Was bleibt mir dagegen? Nichts als die Empfindlichkeit! Dieses starke Gefühl, das eine Folge von Temperament ist, nahm die Eindrücke der Liebe, der Bewunderung und am meisten noch der Erkenntlichkeit mit vieler Lebhaftigkeit an, dabei mir die Ausdrücke der Empfindungen sehr theuer zu stehen kommen. Noch jetzt brechen mir Thränen beim Lesen einer großmüthigen That aus; und was habe ich nicht gelitten, da das Schicksal in den aller- hülflosesten Umständen eine junge und geliebte Gemahlin mir von der Seite riß. Diese Empfindlichkeit, wie man sie zu nennen anfängt, gab freilich meinen Gedichten einen eigenen schwermüthigcn Ton und einen Ernst, der sich von Hagcdorn's Munterkeit unendlich unter- schcidete." Ausführlich wird auch die Stellung Haller's zu den ihn anregenden und bestimmenden Dichtern entwickelt und ansprechend gewürdigt.
Ansichten über Aesthetik und Literatur von Wilhelm v. Humboldt. Seine Briefe au Gottfried Körner. Von F. Jonas. (Berlin, Verlag von L. Schleiermachcr.) Diese Briefe gewähren einen tiefen Einblick in die Entstehung der wissenschaftlichen Weltanschauung von Humboldt, zugleich aber treten hier wieder schöne Beiträge zur Keuntniß Schiller's auf. So bemerkt Humboldt über ihn sehr tief: „Das Letzte, worauf sich Alles zurückführen und woraus sich Alles erklären läßt, könnte man vielleicht die Alleinherrschaft des Geistes, der
e Notizen.
inneren Kraft nennen, die ihn sowohl gegen die äußeren Einwirkungen des Zeitalters, die Umstände u. s. w. als gegen die inneren der Sinnlichkeit, der bloßen Empfänglichkeit, des bloßen pathologischen Charakters frei bewahrt und selbst in der Art, wie die Natur auf ihn einwirkt, ein selbstbestimmtes eigenes Vcrhältniß festsetzt." Endlich findet man in dieser Schrift gewichtige Beiträge zu der Keuntniß jener ästhetischen Debatten, welche zwischen Körner, Humboldt, Schiller und Goethe geführt wurden.
Zierden der englischen Literatur. Erstes Bändchen enthält: „Oliver Goldsmith von William Black. Frei bearbeitet und mit Anmerkungen versehen von Leopold Kätscher"; zweites Bändchen: „Daniel Defoe, der Verfasser von Robinson Crusoe, von William Minto"; und endlich der dritte Band: „William M. Thackeray von Anthony Trollope." (Leipzig, Ed. Wartig's Verlag.) Das Leben von Thackeray ist bisher wenig bekannt, und so werden die Mittheilungen dieser Schrift über einen der größten Menschenkenner aller Zeiten mit sehr lebhaftem Interesse entgegengenommen werden. Die beiden anderen Schriftsteller bieten in Bezug auf ihren Charakter ein Interesse sehr entgegengesetzter Natur. Es giebt keinen Fall von sorgloserer Gutmüthigkeit und Kindlichkeit des Charakters, als ihn das Leben des Verfassers des „Landpredigcrs" darbictet: die rührende Kindlichkeit, durch welche der Held jenes Romanes so anziehend, ist auch der Grundzug seines Dichters. Und es giebt kaum einen Fall von solcher Verschlagenheit, so com- plicirter List und Verlogenheit bei einem hervorragenden Schriftsteller, als ihn das Leben von Defoe darbietct, welches schließlich mit jener immer noch nicht aufgeklärten Flucht aus allen seinen Verhältnissen in tiefe Verborgenheit endigt, in der er gestorben ist.
Literarische Nötigen.
Nachklänge. Ausgcwählte Schriften von Karl v. Gcbler. (Breslau, S. Schottlaender.) Zwei Bändchen. Es ist der literarische Nachlaß eines in der Blüthe seiner Jahre gestorbenen vielversprechenden, ja bereits durch ein anerkannt gediegenes Werk: „Galileo Galilei und die römische Curie", als tüchtiger Forscher bewährten jungen Gelehrten, den hier der tiefbetrübte Vater als ein geistiges Denkmal des geliebten Sohnes veröffentlicht. Karl v. Gebler, 1850 zu Wien geboren, Sohn eines k. k. Feldmarschalllieutenants, anfänglich selbst Militär, dann infolge eines Lungenleidens, das er sich durch einen nächtlichen Ritt während des Winters im Dienst zugezogen, genöthigt, diesen Beruf aufzugeben
und, von den zärtlichen Eltern begleitet, in einem wärmeren Klima dauernd sich aujzuhal- ten, warf sich auf Geschichtsstudien, gerieth dabei spcciell auf Forschungen über Galilei's Leben und Proceß, widmete sich diesen mit größtem Erfolg, aber auch mit einem so glühenden Eifer, daß er dadurch sein Brustleiden aufs äußerste verschlimmerte und, kaum mehr als achtundzwanzig Jahre alt, zum nicht geringen Theil ein Opfer seiner wissenschaftlichen Begeisterung, starb. Von seiner Specialität, den Galileistudien, sind auch in diese Sammlung einige werthvolle Abfälle übergegangen, ein Aufsatz: „Ist Galilei gefoltert worden?" (Gebler verneint dies) und ein zweiter: „Auf den Spuren Galilei's", der