Heft 
(1881) 299
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Jllustrirtc Deutsche Monatshefte.

die Kellner fliegen und werden festgehal- ! ten, man geht und kommt unter lebhaften Begrüßungen. Hier befand sich die Gruppe von Herren, welche sich um die Gräfin Spach gesammelt hatte. Die brei­ten und schönen Gartenanlagen den Fluß abwärts sind in diesen Stunden nur wenig belebt, denn Alles drängt dem Orte zu, wo man etwas hört, sieht und gesehen wird. Und doch ist es nur ein enger Raum zwischen den mächtigen Fel­sen und der Lahn, so daß die vielen Hunderte wie viele Tausende erscheinen. Denn um den Platz, oft zwischen den Sitzreihen hindurch, zieht sich das Gewühl der Wandelnden auf und ab, und immer ist es das Orchester, welches den Mittel­punkt bildet, das Gewoge zum Stillstand bringt, Gruppen um sich sammelt und das Gedränge oft beschwerlich macht. Zur Zeit, da die Spielhölle in Ems noch ein Anziehungspunkt für internationale Gestalten aller Art war, mochte den Augen eine wohl noch buntere Schau ge­boten Werdens immerhin aber trifft der Blick auch heutzutage noch auf Typen von Nationalitäten verschiedenster Art, auf Erscheinungen, welche zur Betrachtung anreizen, auf Gesichter, in welchen sich ein besonderes inneres Dasein ausspricht. Oft fallen uns Physiognomien auf mit scharfen, krankhaften Zügen, unheimlich berührend, welche eine ganze Lebensge­schichte zu erzählen scheinen; dann wieder blickt uns plötzlich ein ganz fremdartiger Gesichtsschnitt entgegen, den wir vergeb­lich bei einem vorhandenen Racetypus unterzubringen suchen; und endlich thut die herausfordernde Gefallsucht das Ihrige, ° durch bunten und verwegenen Aufzug das Auge zu überraschen, wenn auch nicht über die innere Hohlheit zu täuschen. Wer in der glücklichen Lage ist, nur zu seiner Unterhaltung ein paar Tage in dieser Schaustellung von Menschen umher­zuwandeln, wird allerlei Merkwürdiges

entdecken, und mehr als derjenige, welcher, mit sich selbst und seiner Cur beschäftigt, sich an das Auffällige entweder gewöhnt hat oder das seinen Zuständen und Ver­hältnissen nicht Zusagende mißbilligend ablehnt.

Um das Orchester bildete sich jetzt ein Zusammendrang, der bald wie fest ge­mauert stand, so daß, wer einmal in das Gesuge hineingerathen war, wollend oder nicht wollend, darin ansharren mußte. Ein Musikstück hatte begonnen, worin ein Violinsolo, welches schon vor einigen Tagen lebhaftesten Beifall gefun­den, in Aussicht stand. Bald begann denn auch die Melodie, erst einfach, dann variirt, in Cascaden von Tönen rieselnd und perlend, mit den krausesten Virtuo­senkünsten abschließend. Das Orchester fiel rauschend ein, übertönt von dem Sturm des Beifalls, der von tausend Händen gespendet wurde. Er wiederholte sich, man wollte den Virtuosen besonders belohnen. Der Kapellmeister winkte dem­selben wiederholt, sich zu erheben. Er that es und verneigte sich nach rechts und links. Man erblickte eine noch sehr jugendliche Gestalt mit einem krauslockigen Knaben­kopfe. Das Publikum begann sich zu ver­laufen, der Geiger aber, der seinen Platz wieder eingenommen hatte, wendete das Gesicht bald da-, bald dorthin und schien in der Menge Jemand zu suchen. Endlich hatte er gefunden. Dicht am Orchester war ein junges Mädchen in unscheinbarer schwarzer Tracht stehen geblieben und hielt den Blick auf ihn gespannt, in Er­wartung von dem seinen getroffen zu wer­den. Vier glänzende Augen blickten in einander, zwei glückliche junge Gesichter grüßten sich mit dem Ausdruck der Freude.

Da hörte sich das junge Mädchen von einer fremden Stimme angesprochen. Es wendete sich erschreckt und erschrak noch mehr, als es in die Züge des Redenden