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Jltustrirte Deutsche Monatshefte.
lung kurz zusammenfassen, dieselbe an einigen Stellen ergänzen und nur das Be- kenntniß des Mörders Schimidso Sedschi, welches besonders charakteristisch für die früheren Verhältnisse in Japan ist, mit einiger Ausführlichkeit wiedergeben.
Unter den Excursionen, welche die Mitglieder der Fremdenniederlassung von Ao- kohama zu meiner Zeit zu machen pflegten, war der große Ausflug nach Jnosima über Kauasawa, Kamakura und Daibuts der beliebteste. Es war ein langer Ritt, wenn man ihn in einem Tage machen wollte, und man brach dazu im Sommer schon mit dem Morgengrauen auf; im Winter gebrauchte man zu der Promenade gewöhnlich zwei Tage.
Die Tempelstadt Kamakura, auf der Halbinsel von Sagami gelegen, ist etwas mehr als drei deutsche Meilen von Joko- hama entfernt. Der Weg dorthin führt zunächst durch eine große Ebene und überschreitet dann eine niedrige Hügelkette, welche das Thal von Jokohama von dem von Kauasawa trennt. Die Straße ist schlecht unterhalten und so schmal, daß an vielen Stellen zwei Pferde nicht neben einander gehen können. Bon der Höhe der Hügel hat man eine selten schöne Aussicht über die japanische Landschaft: auf der einen Seite erblickt inan das friedliche, von malerischen Hügeln eingeschlossene Thal von Aokohama; im Hintergründe die dunklen Berge von Hakkoni und hoch darüber den mächtigen Krater des Fusiyama. Auf der anderen Seite: die Ebene von Kanasawa und das azurblaue japanische Meer. — Kanasawa, ein wohlhabendes, reinliches Fischerdorf, in dem sich ein hübscher Tempel und der Palast des Fürsten von Fossokawa befindet, ist zwei Meilen von Jokohama entfernt. Die Fremden, welche Kamakura oder Jnosima besuchen wollen, machen dort gewöhnlich in einem hübschen Thee- hause Halt, um den jungen Betto (Stallburschen), welche neben den Pferden herlaufen und in Kanasawa außer Athen: angekommen sind, eine kurze Rast zu gönnen.
Kamakura ist eine alte, berühmte Stadt. Im zwölften Jahrhundert hatte dort der General Joritomo seine Residenz aufgeschlagen. Er war ein siegreicher Feldherr und ein ehrgeiziger Mann und er
warb für sich und seine Familie außerordentliche Privilegien, welche von seinen Nachfolgern befestigt und noch vergrößert wurden und schließlich zur Folge hatten, daß die Macht der Mikado ganz in die Hände ihrer Heerführer, der Taikune, überging.
Kamakura wurde im Mittelalter nach einer blutigen Schlacht, die dort geliefert worden war, zerstört. Es ist seitdem nicht wieder in der alten Pracht hergestellt worden; aber es bewahrt unverkennbare Spuren vergangener Herrlichkeit und Größe. — Die Straßen von Kamakura sind so breit wie die schönsten Straßen von Jeddo, einer Stadt, in der für leichte Circulation ebenso gut gesorgt ist wie in europäischen Großstädten. Die Brücken von Kamakura sind aus festen Steinen und haben der Zerstörung und der Zeit widerstanden. Die Tempel gehören zu den größten von Japan, und nirgends im Lande findet mau schönere Bäume als die hundertjährigen Baumriesen, die den Tempelhain von Kamakura schmücken und in deren Schatten müßiggängerische Mönche einherwandeln. Unter den Tempeln befindet sich einer, der jährlich Tausende von Pilgern aus allen Theilen des Reiches heranzieht: der hochheilige Tempel des Kriegsgottes Hadsima.
Der „Daibuts" liegt eine Stunde von Kamakura, halbwegs zwischen dieser Stadt und Jnosima. Man bezeichnet mit diesem Namen eine fünfzig Fuß hohe Bronzestatue, welche einen sitzenden Buddha darstellt. Sie ist viele hundert Jahre alt und von überraschender Schönheit. Der unbekannte Künstler, dem man sie verdankt, hat der Gottheit einen wahrhaft imposanten Ausdruck milder erhabener Ruhe gegeben.
Jnosima ist eine Insel, die einen Umfang von etwa zwei Kilometern hat und sich dreihundert Fuß hoch über den Meeresspiegel erhebt. Eine schmale Landzunge, so niedrig, daß sie bei Spring- fluthen nicht selten ganz überschwemmt wird, verbindet Jnosima mit dem Festlande. Die hübsche Insel ist regelmäßig kuppelförmig gewölbt und mit Bäumen und Tempeln von oben bis unten dicht bedeckt. Von Weiten: sieht man nur die grünen blühenden Bäume: so gleicht Jnosima einem kolossalen Blumenstrauß.