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Lindau: Reise
starb Richardson wie Heusken, wie die Capitäne Boß und Decker, wie alle Diejenigen, die in den letzten vier Jahren von den Japanern ermordet worden waren. — Marschall sah ein, daß ihm nichts zn thun übrig bleibe, als an seine eigene Rettung zu denken. Er ergriff die Zügel des herrenlosen Pferdes, gab dem seinen die Sporen und gelangte bis nach Kana- gawa. Dort verließen ihn seine Kräfte, denn er verlor viel Blut aus der Stichwunde, die ihm beigebracht worden war, und nur mit Mühe erreichte er noch das amerikanische Consulat, wo ihm die erste Pflege zu Theil wurde. Inzwischen setzte Madame Bourradeal allein die Flucht nach Jokohama fort/ — Clark war in Kanagawa geblieben, um Marschallls Ankunft abzuwarten. — In Jokohama begegnete Frau Bourradeal Herrn Gower, einem Mitglieds der englischen Gesandtschaft, dein sie in kurzen Worten erzählte, was sich zugetragen habe. Herr Gower verbreitete die Schreckensnachricht im „Zsttlsment", und eine Viertelstunde später war auch schon die Straße nach Kanagawa mit mehr als hundert Reitern bedeckt, die den Leichnam des unglücklichen Lenox Richardson aufsuchen und womöglich seinen Tod rächen wollten. Der Zug des Fürsten war nicht mehr zu erblicken; man fand die Stelle, wo Richardson gefallen, aber die Leiche selbst war verschwunden. Ein Kind zeigte den Suchenden jedoch den Platz, wohin man sie geworfen hatte: auf ein Reisfeld, einige Schritte vom Wege. Man schaffte den Leichnam nach Pokohama und constatirte dort in amtlicher Weise, daß „Lenox Richardson, englischer Unter- than, im Consulardistricte von Jokohama, auf der großen Landstraße, die von Joko- hama nach Kawasaki führt, von Japanern, die mit Lanzen und Säbeln bewaffnet waren und deren Namen noch nicht ermittelt werden konnten, ermordet worden sei."
Diesmal konnte die japanische Regierung nicht vorgeben, daß es ihr unmöglich sei, der Mörder habhaft zu werden. Der Damno, auf dessen Befehl die vier Reiter angefallen worden waren, war eine mächtige und bekannte Persönlichkeit. Das Verfahren gegen ihn fand jedoch vor ausschließlich japanischen Behörden statt, und wennschon die japanische Regierung dem
-Erinnerungen.
englischen Minister später die Mittheilung machte, daß der schuldige Daimio in die Verbannung geschickt worden und zwei seiner Leute die Todesstrafe erlitten hätten, so schweben doch noch immer Zweifel darüber, ob der Mord Lenox Richardson's wirklich gesühnt worden ist. Als Erklärung desselben wurde angeführt, daß es nach japanischen Gebräuchen ein schweres Verbrechen sei, die feierliche Ordnung eines fürstlichen Zuges zu stören. Die Diener des Daimio, welche die vier englischen Reiter angefallen, einen von ihnen getödtet und zwei verwundet haben, hätten die Tragweite ihrer Handlung gar nicht ermessen können, sondern wären der Meinung gewesen, daß sie eine ihrem Herrn zugefügte Beleidigung gerächt hätten.
Die Mitglieder des „8sttle>msnt" hatten im Verlaufe weniger Jahre viele ihrer Landsleute ermorden sehen; sie richteten auch diesmal wieder die übliche Petition an die fremden Minister in Peddo, um zu bitten, man möge energische Maßregeln zum Schutze ihres bedrohten Lebens ergreifen; darauf wohnten sie der Beerdigung von Lenox Richardson bei und gaben sich sodann wieder ihren alten Beschäftigungen und Zerstreuungen hin, dein Anschein nach unbekümmert darum, daß das Schicksal des unglücklichen Lenox Richardson auch sie jeden Tag erreichen konnte.
Die Lirmordung der englischen Offiziere Major Baldwin und Lieutenant Wird in Kamakura im November 1864.
Das tragische Ereigniß, mit dem ich die Aufzählung der Ermordungen, die mir von meinem Aufenthalt in Japan her im Gedächtniß geblieben sind, schließen will, ereignete sich im Monat November 1864. Ich habe den Vorfall schon einmal erzählt und veröffentlicht,* und wennschon den meisten meiner heutigen Leser die kleine Arbeit, welche aus dem Jahre 1871 da- tirt, unbekannt sein wird, so darf ich mir doch nicht gestatten, hier einfach zu wiederholen, was ich bereits vor zehn Jahren niedergeschrieben hatte. Ich werde deshalb den Inhalt meiner älteren Erzäh-
* „Erzählungen und Novellen aus Japan." Von R. Lindau. Berlin 1871.