604_ Jltustrirtc Deutsche Monatshefte.
gelebt, die Taching kennen gelernt und sich an das etwas abenteuerliche Leben gewöhnt, welches die Fremden in China und Japan damals führten. Es kam ihm deshalb auch nicht in den Sinn, zu erwägen, daß eine Promenade in der Umgegend von Jokohama irgendwelche Gefahren darbieten könnte; und er selbst schlug bei einem Frühstück in Marschallls Hanse einen Ritt nach Kawasaki vor, einer Ortschaft am Flusse Lokungo gelegen, der damals die Grenze des Gebietes bildete, in dem es den Fremden vertragsmäßig gestattet war, sich ungehindert zu bewegen. Mac- pherson fand sich behindert, an der Promenade theilzunehmen, auch Frau Marschall zog vor, zu Hause zu bleiben. Die kleine Gesellschaft, die sich am 14. September zu Pferde nach Kawasaki begab, bestand aus den Herren Lenox Richardson, Clark und Marschall und aus Frau Bourradeal. Sie passirte Yokohama und die nächste Ortschaft Kanagawa und erreichte den Tokaido, die große Landstraße, welche ganz Japan durchschneidet und namentlich in der Nähe von Jeddo zu jeder Jahresund Tageszeit sehr belebt ist. Hinter Kanagawa begegneten die vier Reiter einer großen Anzahl japanischer Soldaten, die ihnen in zerstreuten Banden von zehn bis dreißig Mann eutgegenkamen. Die Fremden ritten an zwei- bis dreitausend dieser Leute ungestört vorüber und befanden sich plötzlich, unglücklicherweise au einer Stelle, wo der Weg auf beiden Seiten von Reisfeldern eingeengt war, vor einem stattlichen feierlichen Zuge, der sich in fester Ordnung langsam vorwärts bewegte. Wohlbewasfnete Männer mar- schirten aus beiden Seiten des Weges, und in der Mitte der Straße wurde eine kolossale Sänfte, ein sogenannter Nori- mono, getragen, dessen Gleichen sich nur Fürsten und die höchsten Staatswürdenträger ans ihren Reisen bedienen dürfen. — Die Europäer ritten dem Zuge ohne Mißtrauen entgegen und lenkten ihre Pferde seitwärts, um seine Ordnung nicht zu stören. Da trat ihnen ein Japaner entgegen, stellte sich vor die Pferde des Herrn Richardson und der Frau Bourradeal und richtete einige von lebhaften Gestieulationen begleitete Worte an die Beiden. Richardson, der kein Wort Japanisch verstand, wandte sich um und
fragte, was er thun solle, da man ihn verhindern zu wollen scheine, weiterzureiten.
„Umkehren!" rief Marschall, ein alter Einwohner von Jokohama und deshalb mit der Gefahr eines Zusammentreffens mit bewaffneten Japanern bekannt.
Richardson und Frau Bourradeal lenkten vorsichtig um, konnten es aber trotzdem nicht vermeiden, einige Unordnung in den Reihen der marschirenden Japaner hervorzubringen. Da ertönte aus der Säufte eine zornige Stimme, die Stimme des Fürsten. In demselben Augenblick hatte auch schon der Japaner, der zuerst die Pferde angehalten, sein bauschiges Gewand, das ihm den Oberkörper bedeckte, abgeworfen, nackt bis an den Gürtel seinen Säbel gezogen und mit furchtbarem Streiche Richardson, der ihm den Rücken kehrte, getroffen. Darauf stürzte er auf Frau Bourradeal los, ohne sie jedoch zu verletzen. Der Hieb, der ihr bestimmt war, schwirrte dicht über ihrem Kopse vorbei und schnitt ein Stück von ihrem Hute ab.
Alles dies war das Werk weniger Augenblicke gewesen. Aber schon erbebte die Lust von wildem Geschrei, und überall sah man Waffen blitzen. Die vier Bedrohten eilten im Galopp davon. Einige Japaner, die ihnen den Weg versperren wollten, wurden von den scheuen Pferden niedergerissen. Die Reiter konnten jedoch nicht allen Hieben, die auf sie geführt waren, ausweichen. Richardson, durch den ersten Hieb bereits tödlich verletzt, erhielt noch viele andere schwere Wunden, Marschall einen Stich in die Seite; Herrn Clark wurde der Arm zerschlagen — die Pferde jagten weiter und hatten die Spitze des Zuges bald hinter sich gelassen.
Marschall ries seiner Schwägerin und Clark, der sich an ihrer Seite befand, zu, sich durch schnelle Flucht zu retten; darauf wandte er sich zu Richardson, aus dessen Gesicht der Tod geschrieben stand.
„Mit mir ist es aus," sagte der Unglückliche. Er ritt noch einige Schritte weiter; dann aber fielen ihm die Zügel aus den verstümmelten Händen, und er glitt langsam und schwer zur Erde. Rettung war nicht mehr möglich. Meuchlings von hinten angegriffen, ohne daß es ihm möglich gewesen wäre, sich zu vertheidigen,