Heft 
(1881) 299
Seite
609
Einzelbild herunterladen

Lindau: Rcise - Erinnerungen.

seines Verhörs, Geständnisses und seines Urtheils angekündigt. Wenige Tage spä­ter brachten die Zeitungen von Aokohama die versprochenen Documeute.

Man erfuhr aus denselben, daß Sedschi in einem der berüchtigten Theehäuser von Sinagawa, einer Vorstadt von Jeddo, verhaftet worden war, wo er sich in trunkenem Zustande durch aufrührerische Reden verdächtig gemacht hatte. In seinem Verhör hatte er zunächst auf die gewöhn­lichen Fragen: woher er komme, wovon er lebe, was er treibe, keinen klaren Be­scheid geben wollen; als der Untersuchungs­richter aber gedroht, die Tortur anzu­wenden, um Sedschi zu der gebührenden Achtung vor der Gerechtigkeit, das heißt zum Bekenntniß der Wahrheit zu zwin­gen, hatte der Verbrecher ein Geständniß abgelegt und unterschrieben, das bald darauf in Jeddo und in Jokohama in japanischer und englischer Sprache ver­öffentlicht wurde und, wie folgt, lautete:

Ich heiße Schimidso Sedschi; ich stamme ans Awomori; ich bin fünfund­zwanzig Jahre alt. Meiner Mutter er­innere ich mich nicht mehr. Sie verließ meinen Vater, als ich kaum drei Jahre alt war, und zog sich in ihre Familie zurück. Ich wurde durch die zweite Frau meines Vaters erzogen. Mein Vater stand da­mals im Dienste des Fürsten von Awo­mori und bekleidete eine hohe Stellung. Eines Tages gerieth er mit einem nahen Verwandten seines Herrn in einen hefti­gen Streit, infolge dessen er seine Stel­lung verlor und aus Awomori verbannt wurde.

Als Lonin (Heimathlose) zogen wir nach einer kleinen Stadt der Provinz Sendai. Meine Stiefmutter begleitete uns nicht. Mein Vater hatte voransge- sehen, daß wir in ärmlichen Verhältnissen leben würden, und deshalb angeordnet, daß seine Frau, die an Wohlleben ge­wöhnt war, zu ihren Verwandten zurück­kehre. Sie schrieb ihm regelmäßig und schickte ihm auch von Zeit zu Zeit etwas Geld; aber sie konnte nicht viel für den Abwesenden und in Ungnade Gefallenen thun. Unsere Lage wurde bald eine sehr drückende. Mein Vater verkaufte nach und nach seine Waffen und überflüssigen Kleidungsstücke und behielt zuletzt nur noch zwei Schwerter, von denen er sich

609

nicht trennen wollte, da sie nach seinem Tode in meine Hände gelangen sollten. Sorgen und Entbehrungen warfen ihn endlich auf das Krankenlager, von dem er sich nicht wieder erhob. Vor seinem Tode gab er mir die beiden Schwerter und er­innerte mich daran, daß ich aus einer guten Familie stamme und daß ich mich bemühen müsse, unserem Namen seinen alten Glanz wiederzugeben.

Ich war im Waffenhandwerk unter­wiesen worden. Nach dem Begräbniß meines Vaters verließ ich Sendai und bot meine Dienste verschiedenen Prinzen an; aber ich konnte keinen Herrn finden und mußte Lonin bleiben. Ueberall hörte ich, daß Japan verarme, daß sein alter Ruhm vergehe, weil Fremdlinge als Herren des Reiches hausten und die Schätze des Landes auf ihren großen Schiffen sortschleppten. Die Fürsten waren genöthigt, Anleihen zu machen und Grundbesitz zu verpfänden, um in der Lage zu sein, standesgemäß zu leben; sie konnten nicht daran denken, die Anzahl ihrer Beamten und Soldaten zu vergrö­ßern.

Ich erfuhr, daß sich im Süden von Japan, im Reiche des Fürsten von Nagato, ein Aufstand gegen die Fremden vorbereite und daß es mir dort leicht werden würde, Beschäftigung zu finden. Ich durchwanderte ganz Japan, um mich an dem Kampfe zu betheiligen; ich litt von Hunger und Kälte während der beschwer­lichen langen Reise. Als ich endlich in Simonoseki anlangte, sagte man mir, daß die Patrioten geschlagen seien und daß man den Fürsten von Nagato, den Taikun und sogar den Mikado gezwungen habe, entehrende Verträge mit den fremden Siegern abznschließen.

Darauf ging ich mit einigen anderen Lonin nach Aeddo zurück, vergrub meine Waffen vor der Stadt und suchte Be­schäftigung als gemeiner Tagelöhner.

Eines Tages erhielt ich von einem Kaufmann, der mich seit einiger Zeit be­schäftigte, den Auftrag, ein Packet nach Dokohama zu tragen. Was ich in dieser Stadt sah, erfüllte mich mit Verwunde­rung. Niemand zollte den Beamten und Offizieren dort die geringste Achtung; Kaufleute und Handwerker trabten zu Pferde durch die Straßen, als wären sie

39

Monatshefte, N. 29S. August 1881. - Vierte Folge, Bd. VI. 3S.