Heft 
(1881) 299
Seite
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Lindau: Reise-Erinnerungen.

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nachdem er zu Pferde durch alle Haupt­straßen der Stadt umhergeführt, auf dem öffentlichen Richtplatze durch das Schwert enthauptet werden solle.

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Die Haltung Sedschi's während des peinlichen Rittes durch Jokohama und unmittelbar vor seinem Tode zeugte von jener vollkommenen Ruhe, welche die Asiaten und namentlich die Japaner an­gesichts des unvermeidlichen Todes zu be­wahren wissen.

Sedschi faß, als er durch Pokohama geführt wurde, auf einem zwei Fuß hohen Sitze, der an Stelle des Sattels auf der Kruppe eines Pferdes angebracht war. Er konnte von allen Seiten deutlich ge­sehen werden und nach allen Seiten Hin­blicken. Er war sauber gekleidet und hatte sein Haupthaar mit großer Sorg­falt geordnet. Er war blaß, von jener eigeuthümlich grünlichen Blässe seiner dunklen Räce, und er schien abgemagert; aber keine Spur von Furcht oder Er­regung war auf seinem scharfgezeichneten, grausamen Gesicht zu lesen. Er kauerte in ungezwungener Haltung auf dem brei­ten Sattel und wandte sich langsam bald nach dieser, bald nach jener Seite, um die wogende Menge, die ihn umgab, zu mustern.

Von Zeit zu Zeit öffnete er den Mund und sang, die Augen starr in die Ferne gerichtet, mit hoher, lauter Stimme. Der Ausdruck seines Gesichtes blieb dabei un­verändert ruhig; der Mund allein mit den geraden schmalen Lippen bewegte sich, wahrend die langgezogenen, klagenden Töne hell und klar die Luft durchzogen.

Ich heiße Schimidso Sedschi, ich bin ein Lonin, und ich sterbe, weil ich Fremd­linge getödtet habe.

Heute Abend fällt mein Haupt, und morgen wird es auf dem Marktplatze von Jokohama ausgestellt sein. Die Fremden werden dann ein Antlitz schauen, das bis zum Tode Furcht vor ihnen nicht gekannt.

Es ist ein bitterer Tag für Japan, da ein Edelmann sterben muß, weil er einen Fremdling erschlagen.

Starken Muthes würde ich wie ein Edelmann zu sterben gewußt haben. Aber

die Gnade des Herrschers von Japan hat mich den Feinden des Vaterlandes über­lassen, und der Tod eines gemeinen Ver­brechers erwartet mich.

Männer von Pokohama, die ihr mich hört, erzählt den Patrioten von Japan, daß der Lonin Schimidso Sedschi ange­sichts des Todes nicht gezittert hat."

Ans dem Richtplatze angelangt, sprang Schimidso elastisch zu Boden, und den Kopf zurückwersend, schöpfte er einige Male tief Athem. Dann blickte er meh­rere Secunden lang, wie in einem stillen Gebete versunken, in die Sonne, und da­rauf ging er schnellen, festen Schrittes dem Platze zu, wo ihn der Henker erwartete. Ein kaltes Lächeln, ein Lächeln des Hohns und der Verzweiflung, kräuselte seine schmalen Lippen. Als er an der offenen Grube angelaugt war, vor der er knieen und in die sein Haupt fallen sollte, wech­selte er einige Worte mit dem Scharf­richter. Er schien sich zu unterrichten, in welcher Weise die Execution vor sich gehen werde. Man hatte ihm gestattet, mit unverbundenen Augen zu sterben, und er ließ sich nun langsam, ohne zu zittern, auf den Kuieen nieder. Darauf machte er eine kurze starke Bewegung mit den Schultern, so daß das weite Gewand, welches bis dahin den unteren Theil sei­nes Nackens noch bedeckt hatte, herab­fiel und Hals und Schultern sich nackt zeigten.

Ist Alles fertig?" fragte Schimidso den Scharfrichter; und nachdem er eine bejahende Antwort erhalten hatte, fügte er hinzu:So gieße heißes Wasser über dein Schwert, damit es gut schneide, und habe wohl Acht, mich mit einem Hieb um­zubringen. Ich will jetzt mein Sterbelied singen; und wenn - ich mich zu dir wende und sage: , Gut!^ (^oroKelli), so will ich gleich darauf meinen Hals vorrecken und bewegungslos bleiben, so daß du ruhig zielen und schlagen kannst." Er ver­zerrte daraus seiu Gesicht in schauerlicher Weise, wie man dies auf japanischen Bil­dern sehen kann, die den Tod von Hel­den oder Halbgöttern darstellen, und sang mit lauter Stimme, aus voller Brust, so daß es weit über den stillen Richtplatz klang:Jetzt stirbt Schimidso Sedschi, der Heimathlose; er stirbt ohne Reue, denn einen Barbaren getödtet zu

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