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Literarische Notizen.
nach Danzcl's eigener Anleitung, etwas näher auf die, wie schon vor, so auch nach Danzel vielbehandelte (ganz neuerlichst wieder lebhaft aufgegrissene) Frage über das eigentliche Ver- hättniß Emilia's zum Prinzen einzugehen. Allein nichts dergleichen findet sich.
Von dieser bis zum völligsten Verschweigen getriebenen Kargheit in Verwerthung der neueren Forschungen und Auffassungen betreffs Lessing'scher Werke sticht es dann sonderbar ab, wenn dem „Nathan" ein eigenes Capitel im Texte selbst «Zweiter Band, S. 470 bis 480) gewidmet ist, worin die ganze neuere Literatur über dieses Drama sammt den darin ventilirten Fragen ausführlichst besprochen wird. Das Berhältniß des Nathan zur „Erziehung des Menschengeschlechts" betreffend, hätte wiederum Manches aus der neueren theologischen Literatur <z. B. Gelzer's „Protestantische Monatsblätter von 1853"; Stirm's „Apologie des Christenthums" rc.) erwähnt werden können. Auch bei der so wichtigen Seite der philosophisch-theologischen Thätigkeit Lessing's, seiner Stellung zum Spinozismus, ist die Bezugnahme auf die eiuschlagende Literatur ziemlich dürftig. Abgesehen davon, daß dem Leser wenig damit gedient ist, wenn ihm bloß der Titel der Schrift: „Lessing's Stellung zur Philosophie des Spinoza" (von Rehorn) oder- gar einer Schrift mit so ganz allgemeinem Titel wie die „Lessing-Studien" von Hebler genannt wird, ohne ihm wenigstens mit zwei Worten einen Wink zu geben, ob er darin Argumente für oder gegen Lessing's Spinozismus, oder was sonst, finde, — abgesehen davon, war hier jedenfalls auch auf Schwarz, Ritter, Pfleiderer n. s. w.
zu verweisen, betreffs der religiösen Grundanschauung und Stimmung Lessing's überhaupt (wie solche von Guhrauer aufgefaßt wird) auf Dorner, Gelzer, Dilthey u. A.
Als ein Uebersehen bei der Berücksichtigung philologisch-kritischer Schriften, die auf Lessing Bezug haben, darf cs wohl bezeichnet werden, daß die Herausgeber bei der Stelle (erster Band, S. 467), wo Danzel jede Zurückführung der Miß Sarah Sampson auf eine Anregung seitens Diderot's sehr apodiktisch als einen „großen literarischen Jrrthum" zurückweist, nicht mindestens Notiz genommen haben von der Stelle in „Diderot's Leben und Werke" von Rosenkranz (erster Baud, S. 268), wo Rosenkranz auf ein seiner Meinung nach schon 1740 verfaßtes „triste ckruli»6"(!) von Diderot hinweist, nämlich „lli'buiimnite ou Is tubleau ck« I'iuckiAeiuw". Eine Berücksichtigung, wenn auch nur in der Form der Zurückweisung dieser Rosenkranz'schen Stelle war schon dadurch nahegelegt, daß Rosenkranz daselbst sagt: „Es ist mir unbegreiflich, weshalb Niemand von diesem Drama, das Lessing in der Dramaturgie mit Lob anführt, spricht; weshalb keiner der vielen Kritiker, die sich mit der Theorie des bürgerlichen Dramas beschäftigt haben, z. B. Danzel und Guhrauer in ihrem gelehrten Werk über Lessing, es auch nur im Vorübergehen wenigstens als Curiosität erwähnen."
Wegen der Schulcensuren Lessing's wäre wohl besser, als auf eine Nummer der Gartenlaube, die nicht immer leicht zu haben sein wird, auf Kreyssig's „Afrauer-Album" zu verweisen gewesen, wo dieselben in der Ursprache mitge- theilt sind. Karl Biedermann.
Literarische Notizen.
Das Bedürfniß geistreicher Lebensbetrachtnng ruft mancherlei literarische Erscheinungen hervor, so zunächst zwei Schriften über die Frauen: Das Weib. Philosophische Briefe von E. Du Mont. Zweite Ausl. «Leipzig, F. A. Brockhaus) und: Ehret die Krauen. Von F. S. Warneck. (Mitau, E. Behre.) Zwei Schriften, welche beide den Emancipationsgelüsten gegenüber die Grenzen der weiblichen Natur festzustellen suchen. Du Mont thut dies mit vielem Geiste. Er gehört zu jener Schule Schopenhauers (wie Bahnsen), welche die geniale Vertiefung des großen Philosophen in die Erfahrung des Lebens mit Selbständigkeit weiter verfolgen. — Ein anderes geistreiches Buch dieser Art ist: Moderne Zustände. Von Alexander Jung. «Rostock, W. Werther's Verlag.) Alexander Jung ist inmitten der gegenwärtigen Literatur eine höchst sympathische Erscheinung.
Ein Manu, in welchem der Zusammenhang mit der großen Zeit der deutschen Literatur noch lebendig ist, welcher noch Schelling und Tieck gesehen, und nicht nur gesehen, sondern mit lebendigem Gefühl für das Große und Ideale aufgefaßt hat. Doch zeigt sein letzter Aufsatz, daß er auch denjenigen Fortschritt anzuerkennen weiß, welchen die außerordentliche Erweiterung des Gedankenkreises den heutigen Schriftstellern gewährt. Es ist insbesondere Carlyle, den er als Philosophen der Geschichte Allen voranstellt.
Aus dem Gebiet der neueren Literatur erwähnen wir zunächst eine neue Sammlung einzelner Musterstücke: Deutsche Dichter und Denker. Geschichte der deutschen Literatur mit Probeusammlung von Friedr. Sehrwald.