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s5^ -Alfred Meißner in Bregenz.
schon wieder vom Abreisen. Bis Mitternacht höre ich ihn auf seinem Zimmer herum gehen".
„Wenn nur", erwiderte ebenso halblaut eine Stimme, die ich als die einer Freundin meiner Mutter erkannte, „nicht eine Liebschaft dahinter steckt. „Du mußt hinter die Sache zu kommen suchen. Dergleichen hat oft Folgen fürs ganze Leben".
„Ich glaube nicht, daß es das ist", erwiderte meine Mutter. „In wen sollte er sich verliebt haben?"
„Ja, in wen! Das mußt Du eben heransznbekommen suchen".
„Eine Person, die hier lebte? Eine Person, wegen der er so unerwartet schnell zurückgekommen? Ich denke nach, aber ich finde Niemand".
Wieder ward es still zwischen den beiden Frauen. Sie waren offenbar wieder bei ihrer Arbeit.
Zum ersten Mal dachte ich klarer über eine Seite im Charakter meiner Mutter nach. Sie war so still, es war ihr in allen Dingen ein eigen- thümlichcr leiser Tritt eigen. Sie war die verkörperte Umsicht, und ohne viel davon zu reden, hatte sie ihre Augen überall. Jedes zu Boden gefallene Blatt hob sie auf und sah es an, ehe sie es wegwars. Die Erste auf den
Füßen und die Letzte zu Bett, war sie immer beschäftigt, alles an seine
richtige Stelle zu bringen. Ehe sie schlafen ging, war sie gewohnt, mit
geräuschlosen Schritten das ganze Haus zu durchwandern, um bei jedem Fenster, jeder Thüre nachzusehen, ob sie gehörig geschlossen. Sie horte alles, sah alles, nicht nur jedes Spinnennetz in einer Ecke, auch jedes Thun und Unterlassen bei den Hausgenossen. Nie wurde sie durch ein Ereigniß überrascht, sie hatte immer alles vorausgesehen. Dabei war sie jeder Gewalt
samkeit abhold und ich hatte sie mehrmals sagen hören, daß man mit kleinen Mitteln, rechtzeitig angewendet, den meisten Uebeln Vorbeuge, und fast alles erreiche. So war sie recht eigentlich eine Homöopathin, auch im Thun und Lassen. Was sie erfahren wollte, verstand sie auf die unverfänglichste Art ans Jedem herauszubekommcn. Sie stellte so gern Fragen an Leute, die ihr der Zufall entgegenführte, ohne sich dabei selbst zu nennen, man hätte sie Frau Jncognito tituliren dürfen. Alle diese Eigenschaften hätten ihr den Charakter eines weiblichen Diplomaten anfdrücken müssen, wenn ihr sonstiges Benehmen nicht jeden Gedanken an Arglist verscheucht hätten. Wohlwollen bildete den Grundzug ihres Charakters.
Das alles übersah ich im Geiste, es forderte mich zu doppelter Vorsicht auf.
„Wenn ich nicht recht still verreise", sagte ich zu mir, „entdeckt sie alles. Ihre Augen sehen so klar, ihr Herz ist so wachsam —"
Ich hörte jetzt meine Mutter tief ausseufzen und wieder hob sie an:
„Deine Rede giebt mir zu denken. Ein Mutterherz kommt nie ans den Sorgen heraus. Ernstlich verliebt meinst Du? Sprich, hast Du eine Vermuthung?"