Heft 
(1880) 38
Seite
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Alfred Meißner in Bregenz.

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ragt sie sie alle. Ob meine Mutter ihre Einwilligung gäbe, wenn ich ihr gestände, daß ich ohne Toni nicht leben mag?"

So grübelte ich fort und fort. Bald sah ich Toni in der Stadt, als meine erklärte Braut, bald stellte ich mir alles vor, was uns trennte: Un­gleichheit der Geburt und Bildung, Vorurtheil der Eltern beiderseits. Ich kam zu keiner Klarheit. Ein Widerhaken saß in meiner Brust und ich hatte eine dämonische Lust, die schwärende Wunde immer wieder aufzureißen, indem ich mir einerseits alle Holdseligkeit Toni's vor die Augen zauberte, andererseits mir alles erzählte, was uns entgegenstand. Bald überfiel mich ein Gefühl der Leere, das verzehrender war, als physischer Schmerz.

Nur heimlich und auf kürze Minuten konnte ich fortan Toni sprechen; wir trafen uns ein paar Vormittage auf eine kürze Weile bei einer Quelle unter den Bäumen. Toni war ganz Vertrauen, ganz Liebe und ich war stetig.

Wie rauh ist die Mutter!" klagte ich der Geliebten mein Leid.Sie hat mich wie einen Fremden behandelt, ja wie einen Feind. Was kann ich dafür, daß mein Onkel gegen Deinen Vater ungerecht war und meine Tante jetzt hart gegen Euch ist?"

Du mußt ihr verzeihen", sagte Toni.Das Leben hat sie verbittert. Sie hat wenig Freude gehabt und wenig Gutes von den Menschen erfahren. Du siehst, wie einsam sie lebt, daß sie mit Niemand umgehen mag. Selbst ein gutes Wort zu geben, fällt ihr schwer. Sie mißtraut Allen, überall ahnt sie Arges und sieht eine Gefahr".

Wohin wird sie ziehen, wenn sie Kranberg verläßt?" fragte ich weiter, denn daran war mir vor allem gelegen.

Ach, sie weiß es selbst noch nicht. Vermuthlich nach Pilsen, wo der Bruder lebt".

Ich erfuhr dabei gelegentlich die Geschichte dieses Bruders. Er mußte nach Tonis Erzählung ein bildhübscher Mensch und voll Anlagen sein. Doch konnte ich nicht umhin, anzunehmen, daß er eitel, hochmüthig und voll Selbst­sucht sei. Er war bei einem Meister eingetreten und hatte sich in die reiche Meisterstochter verliebt. Sie liebte ihn wieder, er faßte die ausschweifendsten Hoffnungen. Plötzlich wird er aus seinen Himmeln geworfen. Das Mädchen nahm einen reichen Fabrikantensohn, der junge Mensch, grausam betrogen, verfiel in grenzenlose Melancholie. Seitdem thut er nicht mehr gut, wurde unstät, unordentlich, heftig, vermuthlich liederlich. Seine Unzufriedenheit war krankhaft. Die Mutter mußte täglich einer gewaltsamen Handlung, oder irgend eines wilden Streiches von seiner Seite gewärtig sein.

Nachdenklich hörte ich zu und fragte, wo er jetzt arbeite?

In einer großen Fabrik in Pilsen, wo sie die eisernen Geldkassen ver­fertigen", war die Antwort.

Ein traurig Geschäft für einen Habenichts, der die Reichen beneidet und alles Glück im Reichthum sieht!" dachte ich still, und es regte sich in mir der Wunsch, den jungen Menschen kennen zu lernen.