Heft 
(1880) 38
Seite
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Toni.

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Wenn es mir gelänge", dachte ich,ihn aus seinem Selbstzerfall her­auszureißen, ihn zu heilen, ihn den Seinigen wiederzugeben! Er ist ihr Bruder wie gerne war' ich sein Freund. Ein wohlgesinnter Mensch vermag viel".

Ich hegte den aufrichtigen Wunsch ihn kennen zu lernen.

Jndeß waren meine Stunden an der Quelle, unter den schattigen Bäumen gezählt. Eines Tages fand ich in der Höhlung des Baumes, unter dem wir zu fitzen pflegten, einen Zettel, der mir meldete, die Mutter sei unseren Zusammenkünften auf die Spur gekommen, Toni habe versprechen müssen, mich nicht mehr zu sprechen.

Mein Glück war zu Ende, mein Schmerz unaussprechlich.

Aber fo leicht gab ich meine Geliebte nicht auf.

Sie fürchtet die Mutter!" sagte ich mir.Nur allein sie sprechen, und ich flöße ihr wieder Zutrauen ein! Meine ich's denn nicht gut mit ihr?"

Zum mindesten mußte ich in ihrer Nähe sein. Abends ging ich hinaus und schlich langsam ans Haus heran. Es dunkelte, ringsum lagen die Ge­höfte, durch Wiesen und Gärten getrennt, im tiefsten Schweigen. Niemand kam des Weges. Nur die Grillen zirpten im Grase. Vom Himmel blickten die klaren Sterne hernieder.

Ich sah durchs Fenster. Mutter und Tochter saßen beieinander, sie hatten eine Lampe vor sich, sie nähten. Die Stirn war auf die Arbeit ge­senkt, die Hand zog den Faden. Dann und wann fiel ein Wort zwischen beiden, wie es schien ein trauriges Wort. Auf den Gesichtern war, wenn sie aufblickten, schmerzliche Ruhe zu lesen.Sie fühlen sich unglücklich", sagte ich,weil sie nicht lange mehr hier in diesen Mauern sitzen sollen. Ich könnte ihnen helfen, und sie verschmähen meinen Beistand". So stand ich lange da in der Hitze und der Unruhe meines jugendlichen Bluts. Droben im Dorfe schlug es Zehn, die Frauen erhoben sich und gingen ins Nebenzimmer, wo die Betten standen, alles ward finster. Noch blieb ich, aber ich kam mir wie ein Jäger im Busch, wie ein lauernder Wolf, wie ein Verbrecher vor. Endlich, finster, Verdruß im Herzen, trat ich den Rückweg an.

Nein", sagte ich zu mir,ich will kein Bösewicht sein. Ich will ihren Frieden achten, ihre Ruhe nicht stören. Ich will sie nicht verführen, gewiß nicht. Ob sie je meine Gattin werden könnte, in drei, vier Jahren? Ich will nicht darnach fragen, ich will meinen Gefühlen Schweigen gebieten, fortziehen, sie verlassen".

Aber was war das? Ich liebte das Mädchen und hatte eigentlich für nichts anderes Sinn und Gefühl. Der Gedanke an Verführung erschien mir scheußlich, aber ich verkehrte doch weiter mit Gedanken, deren Gefährlichkeit ich kannte. Das Schlimme ist, daß der Mensch nicht früh genug umkehrt, daß er sich weis macht, es gäbe in solchen Lagen, solchen Stimmungen, noch ein anderes Mittel, nicht auszugleiten, nicht zu stürzen, als rasche Umkehr. Er kehrt nicht um, geht Schritt um Schritt weiter und ist verloren.