Heft 
(1880) 38
Seite
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s60 Alfred Meißner in Bregenz.

Nachts heimgekehrt, gegen Mitternacht, schritt ich leise wie ein Dieb, die finstere Treppe hinauf. Ich gelangte auf den ersten Flur, Fidelens Thür war offen, ein Lichtschimmer strömte heraus. Ich schlich näher. Mein Blick tauchte in ein tiefes dämmriges Gemach, dessen Boden ein Teppich bedeckte. Wirklich, Fidele war noch aus. Zwei Lichter brannten auf dem Toilettentisch, vor dem Spiegel saß Fidele und kämmte ihr Haar. Ich sah im Spiegel die offene, von den rothblonden Locken umspielte Brust. Von den vollen Schultern war das Nachtgewand herunter geglitten.

In tiefer Selbstvergessenheit, lässig, träumend, saß sie da. Doch wußte sie wirklich nicht, daß die Thüre offen geblieben? . . All' mein Blut schoß mir in die Wangen. Wenn es kein Zufall wäre, daß die Thüre offen ge­blieben? Nun etwas halb ein Gähnen, halb ein Seufzer vielleicht eine Aufforderung, sie auznsprechen sie zu überraschen

Fort, fort!" ries ich, wie der Knabe, der eine Nixe gesehen, aber schwer, schwer ward mir der Weg ins Dachkämmerchen hinauf.

Endlich hörte ich, wie unten Fidelens Thür sich schloß.

Ich war auf meinem Zimmer und machte Licht. Ein elegantes Briesleiu lag auf meinem Tische, ich öffnete es, es war von der Gräfin, ich las die Anfangsworte :

Warum lassen Sie sich seit Ihrer Rückkehr gar nicht mehr sehen, mein junger Freund?"

Ich warf den Brief über den Tisch.

Sonderbar!" dachte ich bei mir.Die Liebe kömmt mir zugleich von drei Seiten entgegen. Von der blasirten Weltdame, von der leichtfertigen Nixe. Von ihr! Immer die drei Wege vor mir! die drei Wege! Ich habe gewählt. Dir bleibe ich treu, die Du Dich vor mir zurück ziehst, liebliches Dorfkind. Dir bin ich treu, treu, treu!

Als Tag um Tag vergangen war, ohne daß ich Toni wiedergesehen, ging ich eines Nachmittags nach Kranberg. Ich streifte lange unsicher da und dort umher und suchte endlich einen Jungen auf, der in einem kleinen Kramladen zu sitzen Pflegte. Ich kannte ihn, hatte ihm bereits mehrmals Erzstufen, Bergkrystall, Frauenglas abgekauft. Dieser kleine Mineraloge sollte mir ein Briefchen an Toni bestellen.

Recht gern", war die Antwort.Sie können sich darauf verlassen, daß ich den Brief richtig abgebe. Nur weiß ich nicht, wann sie zurückkommt".

Was!" rief ich,ist sie denn fort?"

Ja", erwiderte der Junge.Gestern Abends war sie noch bei .uns und hat gesagt, daß sie in aller Frühe fortgeht. Nach B. . . ., wo sie Ver­wandte hat. Jetzt wird sie schon dort sein".

Er hatte ein etwa vier Meilen entferntes, im Flachland gelegenes Städtchen genannt.