Ich war wie aus den Wolken gefallen.

„Weißt Du vielleicht, wie die Verwandten heißen?"

„Den Namen weiß ich nicht", war die Antwort des Knaben. „Nur^ daß sie mit Holzschnitzereien handeln".

Ich kehrte ohne Weiteres um, den Brief in der Tasche.

,,Da haben wir es!" dachte ich. „Die Mutter schickt die Tochter fort, weil sie mich in der Nähe weiß. Und Toni fügt sich, ist an der Stadt vorübergegangen, ohne mich es wissen zu lassen, ohne es mir mit einer Zeile zu melden. Welcher Zufall, daß der Knabe davon wußte, und daß ich auf ihn verfallen bin. ... Ich wüßte nicht, wo ich sie zu suchen habe. Hier ist sie bewacht, ich konnte sie kaum sprechen, in B. . . . mache ich sie gleich ausfindig und habe den Einfluß der Mutter nicht zu besiegen. Fort!

Schnell ordnete ich meinen Plan. Ich miethete mir für den nächsten Morgen einen Einspänner, den ich bereits mehrere Mal zur Fahrt nach Kranberg benützt. Ich pflegte ihn selbst zu kntschiren, ich wußte mit Pferden umzngehen, der Schmied, der ihn auslieh, traute mir unbedingt.

Ich war am anderen Morgen in meinem leichten, halboffenen Korb­wägelchen noch nicht weit gekommen, als ich auf der Landstraße vor mir ein Mädchen schreiten sah, das ein kleines Bündel in der Hand trug. Sie war ländlich gekleidet und hatte einen breitrandigen Strohhut auf.

„Mein Gott", dachte ich, „wenn ich nicht wüßte, daß Toni schon fort ist, ich würde schwören, die einsame Pilgerin dort ist sie".

Jndeß beschleunigte die Wandernde ihre Schritte und senkte das tiefbe­schattete Köpfchen. Ich trieb das Rößlein mit einem Peitschenhieb an und hatte bald die süßeste Gewißheit.

„Toni, Du bist es!" ries ich, vor der Wallerin haltend, und war mit einem Sprung unten und bei ihr.

Toni sah blaß und verhärmt ans.

„Ich gehe auf einige Zeit zu Verwandten", sagte sie in gedrücktein Tone. „Die Mutter kömmt bald nach, vielleicht schon morgen. Sie verkauft das Haus. Ich sollte schon gestern gehen, es gab aber noch so viel zu thun" —

„Und das alles sollte ich nicht erfahren!" ries ich. „Und so allein schickt Dich die Mutter in die Welt?"

„Mein Gott", sagte Toni beleidigt. „Seh' ich denn wie eine Land­streicherin aus? Was kann mir geschehen? Mein Weg ist genau vorge­zeichnet. Mittags kehre ich bei der Krugwirthin ein. Das ist eine gute Be­kannte, sie läßt mich gewiß ein Stück fahren. Gehe ich aber auch zu Fuß weiter, so bin ich doch schon vor Sechs, ehe es dunkelt, bei unserer Base

in.Wenn ich dann morgen zu guter Zeit aufbreche, bin ich kurz vor

der Essenszeit bei den Verwandten".

„Das ist alles gut ausgerechnet", meinte ich, „und doch solltest Du nicht so allein ansziehen".