Alfred Meißner in Bregenz.
§62
„Wir Landmädchen", erwiderte Toni, „sind nicht wie die vornehmen Fräulein, die immer eine Gouvernante zur Seite habe» müssen".
„Jedenfalls steigst Du jetzt bei mir ein", sagte ich. „Ich bringe Dich mit dem Pferde da schon um Elf zur Base, bei der Du sonst erst um sechs Uhr Abends wärst".
„Dann könnte ich wohl gar noch heute an's Ziel kommen?"
„Allerdings".
„Gut", sagte sie und setzte vertrauensvoll den Fuß auf den Tritt. Es ist eigentlich gut, daß ich Dich so unerwartet treffe. Ich habe . . .", setzte sie mit einem Seufzer hinzu, „Dir noch so Vieles zu sagen — und — wir sprechen uns ja heut das letzte Mal!"
„Toni, wo denkst Du hin!"
„Ja doch, das letzte Mal. Denke doch, ich habe Dich nie mehr sehen sollen. Die Mutter —"
„Ja, die meint es so bös mit mir".
„Du darfst ihr nicht grollen", sagte das Mädchen. „Sie ist so unglücklich. Sie grübelt fortwährend. Denke Dich in sie hinein. Sie sieht in Dir noch immer den, durch den der Vater so unglücklich wurde — abergläubisch ist sie auch — doch ich sage: denk' Dich nur in sie hinein".
„Toni", rief ich, „wie soll ich für das dulden, was ich als Kind verschuldet?"
„Ich weiß, es ist thöricht. Du kannst nichts dafür. Aber dann noch
Eines: mein Bruder wurde unglücklich, weil er ohne Verstand liebte-
Eine, die hoch über ihm stand. Dadurch kam er ganz aus seiner Bahn heraus. Mir weissagt die Mutter ein gleiches Unglück, wenn ich nicht Dir entsage, Dich vergesse. Und ich sehe es ein, sie hat Recht, ich kann nur unglücklich werden, wenn ich so an Dir hänge, wie es seit der letzten Zeit der Fall war", —
„Toni, böse, kleinmüthige Toni! Giebt Dir denn Deine Liebe gar kein Vertrauen? So höre mich doch nur an! Da Ihr nun einmal von Kranberg fort wollt, überrede Deine Mutter, nach Prag zu ziehen. Da sehen wir uns täglich. Du würdest Dich meiner Mutter nähern. Sie würde Dich
lieb gewinnen — Niemand kann Dich kennen, ohne Dich zu lieben — glaub'
mir, sie würde schließlich meinem Glücke nicht zuwider sein. Wären wir nicht das glücklichste Paar unter der Sonne?"
„Ein Paar, ja ein Paar. Gäbe es Deine Mutter zu, die reiche, vornehme Frau? Und ein Ehemann von zwanzig Jahren?" —
„Mein Vater war nicht älter, als er in die Lebensbarke sprang, entschlossen, durch eigene Kraft sein Schicksal zu gestalten. Es gelang ihm, er kam an's Land. Was er konnte, das kann ich auch".
„Täusche Dich nicht!" erwiderte Toni. „Du bist zu weich, zu rücksichtsvoll. Du bist — ich habe es oft gedacht — für den Frohsinn und das Glück geboren — nicht für den Krieg mit den Deinigen".