Issue 
(1880) 38
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166
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s66 Alfred Meißner in Bregenz. -

Toni mit bloßen Füßen ans Fenster eilen gehört, aber kein Wort war zwischen uns gewechselt worden. Endlich hatte mich die Müdigkeit über­wältigt, und ich hatte von ihr zu träumen begonnen. Wir saßen zusammen aus der Mauer der alten Ruine, die Eidechsen raschelten an uns heran. Da klang ihr:Hast Du mich doch lieb?" an mein Ohr, und es war kein Traum. Ich war erwacht, das Weinen von vorhin erfaßte mich wieder, ich vergrub meinen Kopf in die Kissen und wollte nichts hören. Da hatte ich mich von ihren warmen Armen umschlungen gefühlt. Das Weitere vermischte sich mit meinem Traum.

Schlafe, dachte ich. Im Traum vermissest Du nichts. Nichts drückt Dich, Du lächelst. Sobald Du aufwachst, wirst Du unglücklich sein. Welche Vorwürfe werde ich hören, welche Vorwürfe! . . . Ach, sind wir nicht Schachfiguren in des Schicksals Hand? Umstände entscheiden über unser Thun und Lassen und die Folgen davon erstrecken sich über das ganze Leben. Oder was brachte uns hierher? Eine zufällige Begegnung der Sturm. Und was hielt uns fest? Unser Blut. Ja, das war mit dabei. Nun es wird die Folge haben, daß sie mein wird, daß ich nie von ihr lasse. Damit will ich ihrem Vorwurf entgegentreten und mich selbst vor ihr ent­sühnen ...

So monologisirte ich vor ihrem Bette im Alkoven, an das ich vor­sichtig herangetreten war.

Als ich in ineine Schlaskammer zurückging und mich vollends ankleiden wollte, wurde ich gewahr, daß ich den Schlüssel des kleinen Handkofferchens, der unser beider Effecten enthielt, verloren habe. Er war mir durchaus nothwendig. Ich trat zur Thür hinaus und gab einem vorübergehenden Kellner den Auftrag, einen Schlosser zu holen.

Fatal", erwiderte er.Es ist heut Sonntag. Die Werkstätten sind um diese Stunde geschlossen, die Leute fort doch ich will sehen"

Er ging; unmittelbar darauf kehrte er zurück und fragte:

Ist die Sache recht dringend?"

Allerdings", erwiderte ich.

Sie sollen bedient werden", erwiderte der Kellner und entfernte sich.

Ich trat wieder in's Zimmer; Toni schlief noch immer fest, so fest, daß es fast unheimlich war. Einige Minuten später klopft es, ich werfe noch einen prüfenden Blick auf die fest zugczogeueu Vorhänge, hinter welchen die Geliebte schläft, dann öffne ich. Ein junger Bursche zwischen achtzehn und zwanzig Jahren tritt ein, ein Bund Schlüssel und Sperrhaken in der Hand, eine Cigarre im Munde, die Mütze auf dem Kopfe. Ich bringe den kleinen Koffer herbei, der Bursch setzt ihn schweigend auf den Tisch, besieht das Schloß, wählt einen gekrümmten Drahtstift und in weniger als einer Minute geht der Deckel in die Höhe. Da ereignet sich etwas sehr Sonderbares. *Der junge Mensch sieht sich die beiden Gegenstände, die im Koffer zu oberst liegen, einige Augenblicke lang an, seine Züge verändern sich, ich sehe ihn